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Ich habe schon Vieles über Don Andolini gehört.

Er war so etwas wie die Schreckensgestalt, der Unhold, meiner Kindheit.

Don Andolini, so meinte Donata, sei ein Wiedergänger, eine Art Katzenmensch, ausgestattet mit neun Leben, von denen bereits vier verbraucht wären.

Stets trage er eine Hasenpfote bei sich, die er als Kind einem Hasen abgeschnitten hatte, der mit den Hinterläufen in eine der Fallen geraten war, welche zur Zeit seines ersten Lebens überall im Wald lauerten.

Über seine vier Tode gab es natürlich ebenfalls jede Menge Legenden.

Eine besagt, dass er dem Tod das erste mal durch Gift zum Opfer fiel, welches seine Eingeweide in einem qualvollen Prozess ganz langsam auflöste. Sein Herz, so sagt man, sei niemals wieder komplett hergestellt worden. Auch nicht, als er das fünfte Mal zum Leben erwachte.

Nun sitze ich dieser Drudengestalt gegenüber, und verspüre kaum Angst. Auch nicht als seine Hand an das kantige Kinn fährt und es nachdenklich berührt, als überlege er bereits welche Todesart die geeignetste für mich sei.

Immer wieder schiele ich verstohlen zu dem Verräter hinüber. Jedesmal ruht sein Blick bereits auf mir. Angespannt und  verhasst starrt er mich an. Eine eisige Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus. Wie kann man sich so sehr verstellen? Sein wahres Gesicht bekomme ich erst  jetzt zu sehen. Aber wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, würde ich am liebsten zu ihm laufen und ihn bitten mit mir zusammen einfach nur wegzulaufen. Ganz egal ob er mich verraten hat oder nicht. Aber ich will nicht ehrlich zu mir sein. Vielmehr ist es von nun an meine Aufgabe, mein Selbst vollkommen zu verändern. Solange, bis mein kindisches verknalltes Ich nichts als eine traurige Erinnerung ist.

Ich schlucke hörbar, als Don Andolini seine Mundwinkel zu einem frostigen Lächeln hebt, welches seine Augen vollkommen unberührt lässt. Die Ähnlichkeit mit seinem Sohn ist frappierend. Ich betrachte meine Hände, auf denen noch der blasse Schleier meines eigenen Blutes zu sehen ist.

"Sieh mich an!" Herrscht Andolini. Doch ich starre weiter auf meine Hände. Beginne zu versuchen, den blutigen Schleier wegzureiben.

"Vater, lass ..."

"Halt den Mund Carlo! Du hast bereits genug Schaden angerichtet!"

Schaden angerichtet? Überrascht blicke ich auf. Wieder treffen sich unsere Blicke.

Doch diesmal ist es Santino, der zuerst wegsieht.

" Apollonia" Spricht Andolini mich erneut an, während ich fortfahre meine Hände zu bearbeiten. "Du hast Angst. Und ich kann das verstehen." Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie er eine umfassende Geste mit den Händen macht."Mein Sohn bringt dich auf dieses Schloss mit den fremden Männern in schwarzen Anzügen, und lässt dich einfach so mit ihnen allein." 

Ich sehe Capriccio vor mir. Seine wutverzerrte Fratze, die Faust die mich mitten ins Gesicht trifft. Einen Moment überläuft es mich kalt, als mir klar wird, dass ich vielleicht für immer entstellt bin. Was wenn der Wangeknochen gebrochen ist? Ich berühre die pochende Stelle mit den FIgnerpitzen. Die Haut  fühlt sich taub und gleichzeitig geschwollen an. So, wie sich die Unterlippe anfühlt, wenn man eine Spritze vom Zahnarzt bekommen hat.

"Ich habe keine Angst." Höre ich mich sagen. 

"Warum traust du dich dann nicht, mich anzusehen?" 

Ich hebe den Kopf. Andolinis Lächeln wird breiter. 

"Na siehst du , Apollonia . Ist doch halb so schlimm , nicht wahr?" Nachsichtig wiegt er den Kopf. Mir fällt auf, dass sein Haar keine Spur von Grau zeigt.  Im Licht des Kronleuchters liegt auf den dunklen Locken derselbe karamellfarbene Ton wie bei dem Verräter. Bis auf die zahlreichen Knitterfalten auf Stirn und Wangen gleicht er seinem Sohn so sehr, dass ich erneut den Blick abwenden muß.

PromiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt