Kapitel 7

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Langsam lief ich neben Ophelia her. Sie wirkte noch immer extrem blass und sah sich immer wieder suchend um.

Wir hatten extra einen Weg gewählt, der weit weg von der Bibliothek und dem Unfallort lag. Allerdings konnten wir nicht in unseren Zimmern bleiben. Der Unterricht fiel zwar aus, doch Ophelia und ich musste zu Magistra Drya, um uns untersuchen zu lassen.

Für mich war es nicht das erste Mal, dass ich eine Leiche gesehen hatte, doch für Ophelia schon und das nahm sie mehr mit, als ich erwartet hatte. Sie brauchte Hilfe und dafür würde ich tun, was ich konnte. Allerdings wäre vermutlich Drya diejenige, die ihr helfen konnte und nicht ich.

„Habt ihr gehört? Dieser Junge, der aus dem Fenster gesprungen ist soll verflucht gewesen sein", hörte ich ein Mädchen flüstern.

Mein Blick wanderte zu einer kleinen Gruppe Schüler, die an uns vorbeilief. Sie sahen nicht gerade ängstlich aus, was vermutlich daran lag, dass für sie dieses Ereignis weit weg war. Wenn man nicht dabei war, neigte man dazu, sich die Dinge nicht zu klar vorzustellen und sie nicht an sich heranzulassen. Dieses Verhalten kannte ich sehr gut.

„Das habe ich auch gehört, aber glaubst du an Flüche?", fragte eine ihrer Freundinnen.

„Nein, eigentlich nicht."

„Habt ihr nicht gehört, dass die ganze Schule angeblich verflucht sein soll?"

Ihre Worte beschäftigten mich. Handelte es sich wirklich um einen Fluch oder war es sogar ein gezielter Angriff auf Ophelia und mich gewesen?

Vielleicht war ich nach der Sache mit Achat paranoid geworden, doch ich wollte auf Nummer sichergehen. Zudem konnte ich mir gut vorstellen, dass Ophelia ein gutes Ziel für dunkle Mächte war. Immerhin war sie der strahlende Stern der Schule.

Wir hielten vor dem Gebäude an, welches die Dryade als ihr kleines Schulkrankenhaus umgebaut hatte.

Als wir eintraten, wurden wir bereits erwartet und Drya führte uns in einen Raum mit einem Schreibtisch und Sesseln. Dort ließen wir uns nieder, während die Dryade uns Tee servierte.

„Ihr wisst, warum ihr hier seid?", fragte sie und blickte besonders zu Ophelia, die benommen nickte.

Dann sah sie zu mir und musterte mich, als würde sie etwas suchen, das nicht da war. „Wegen des ... Unfalls", sagte ich murmelnd und seufzte leise. „Ich bin mit dem Tod aufgewachsen. Ich brauche Eure Hilfe nicht, aber Ophelia", sagte ich sofort. Ich wusste, dass es in einigen Regionen der Welt noch immer üblich war, Menschen hinzurichten oder den Tod als etwas Alltägliches zu betrachten, mit dem auch Kinder konfrontiert wurden. Außerdem hatte ich in meinem Leben schon genug Leben zu ende gehen sehen. Auf die ein oder andere Art.

Dieser Junge war mir nicht bekannt, weshalb ich mit seinem Anblick besser klarkam, als mit anderen. Leider weckte er Erinnerungen und Bilder, die ich nicht zulassen wollte. Nicht jetzt.

Das würde Drya nur als Anlass nehmen, mich auch noch zu behandeln. Dabei hielt ich nicht viel von Therapien dieser Art. Was aber eher daran lag, dass ich nicht wollte, dass meine Geheimnisse aufgedeckt wurden und ich am Ende noch die Dryade verstörte.

Drya musterte mich noch einmal eingängig. „Dieses Treffen ist keine Pflicht", sagte sie beruhigend. „Komm zu mir, wenn du der Meinung bist, dass du darüber sprechen möchtest."

Erleichterung durchfuhr mich. Das hieß, ich musste nicht hierbleiben. Das war gut.

Ich blickte kurz zu Ophelia, die mir ein vorsichtiges Lächeln schenkte. „Ich würde gern darüber sprechen", sagte sie, weshalb ich nickte. Ob sie wollte, dass ich hierblieb?

Ephemera und das Amulett der Schatten (Band 2) BEENDETWo Geschichten leben. Entdecke jetzt