Harper Thea Osborn
Verdammt, verdammt, verdammt. Was hatte sich Willow nur gedacht, als sie das Angebot der Karrieros angenommen hatte?Hatte sie denn nicht in Erwägung gezogen, dass sie sie nur im Bündnis haben wollten, um sie einfach loswerden zu können? Sie war die Schwester der Gewinnerin der 50. Hungerspielen, die Karrieros sahen sie als eine Bedrohung, auch wenn sie erst 13 Jahre alt war.
Aber nun war es zu spät. Sie hatte das Angebot bereits angenommen und die Karrieros würden es wohl kaum akzeptieren, wenn sie sich nun doch gegen das Bündnis entschied. Dann stände Willows Name erst recht auf der Abschussliste der Karrieros, und zwar ganz oben.
«War das gut?», fragte Rune mich und holte mich unsanft aus meinen Gedanken.
«Was?», fragte ich etwas verwirrt und blinzelte wiederholt.
«Hast du mir überhaupt zugesehen?», fragte er nun.
«Klar», log ich, «es war super»
«Also nicht», bemerkte Rune und verdrehte die Augen. «Du bist auch meine Mentorin, auch wenn deine Schwester an den Spielen teilnimmt. Und ich würde es begrüssen, wenn du dich so verhalten würdest»
«Tut mir leid», sagte ich aufrichtig, «aber es ist im Moment nicht so einfach. Willow muss wie gesagt an den Spielen teilnehmen und nun hat sie sich mit den Karrieros verbündet»
«Oh», war das Einzige, was Rune erwiderte.
«Die werden sie doch umbringen, weil sie meine Schwester ist. Dabei stellt sie keine grosse Bedrohung dar. Das alles, weil sie meine Schwester ist, es ist alles meine Schuld», brach es aus mir heraus. Vor lauter sprechen, vergass ich zu atmen.
«Ganz ruhig, Harper», sagte Rune und legte mir eine Hand auf die Schulter.
«Ich kann das doch nicht zulassen, sie ist schliesslich meine Schwe-«
Rune legte mir einen Finger auf die Lippen, sodass ich aufhörte zu sprechen und endlich richtig atmete. Mein Herz hämmerte so schnell wie noch nie gegen meine Brust und meine Beine fühlten sich an, als würden sie bald unter mir nachgeben.
«Alles ist gut», log er und legte seine Arme um mich. Erst wehrte ich mich gegen seinen Griff, wollte ihm widersprechen, aber dann sank ich kraftlos in seine Arme und begann haltlos zu weinen.
«Was soll ich nur tun», schluchzte ich.
«Abwarten ist wohl das Einzige, was du tun kannst», flüsterte er beruhigend, «und hoffen. Aber du darfst dir selbst nicht die Schuld geben, damit hilfst du deiner Schwester auch nicht»
Ich löste mich aus seinem Griff und rieb mir mit dem Ärmel über das verweinte Gesicht.
«Kannst du mir etwas versprechen?», fragte ich vorsichtig.
«Klar», erwiderte er.
«Kannst du in der Arena auf Willow aufpassen, dich um sie sorgen?», schniefte ich und fixierte ihn mit einem bittenden Blick.
«Das wird schwierig, wenn ich nicht zu den Karrieros gehöre», entgegnete er und blickte mich entschuldigend an.
«Sie werden dich bestimmt noch fragen», sagte ich hoffnungsvoll. «Du bist gut. Zeig ihnen wie gut du bist, dann müssen sie dich einfach nehmen» Ich nickte überzeugt.
«Wir werden sehen», sagte er und er klang dabei überhaupt nicht überzeugt.
«Lass uns trainieren», sagte ich nach einer stummen Weile, «ich bin schliesslich deine Mentorin» Ich zwinkerte Rune verschmitzt zu.
Wir trainierten mehr als eine Stunde an der Station mit den Wurfsternen. Ich selbst war zwar nicht wirklich gut darin, aber ich konnte ihm dennoch Tipps geben, da ich die Theorie kannte.
Danach wäre ich gerne in unser Appartement gegangen, um einfach einmal nachzudenken, aber Rune hatte darauf bestanden, dass ich ihm beim Nahkampf half. Und als seine Mentorin hatte ich mich natürlich nicht weigern können. Deshalb verbrachte ich eine weitere Stunde im Trainingscenter, bevor ich die Halle schliesslich verlassen konnte.
Bevor ich durch den Ausgang trat, liess ich meinen Blick noch einmal suchend durch die Halle schweifen. Ich entdeckte Willow bei einer Station, wo unzählige Dummies aufgestellt waren. Neben ihr standen ein paar Leute – die Karrieros.
Mein Magen verkrampfte sich bei dem Anblick. Sie war um Mengen die Kleinste und wahrscheinlich könnte jedes einzelne Mitglied der Karrieros sie mühelos umlegen. Ich musste mir einen Plan überlegen, und zwar schleunigst, denn in zwei Tagen würde sie bereits in der Arena sein.
Mit schnellen Schritten eilte ich durch die Gänge des Kapitols, stieg in den Lift ein und fuhr bis in die Etage unseres Appartements.
Mit einem Seufzen liess ich mich auf das weiche Sofa fallen. Ausser mir war keiner hier – zum Glück.
Ich nahm mir ein Blatt und einen Kugelschreiber und begann nach und nach, mir Ideen aufzuschreiben. Die meisten waren lächerlich, deshalb strich ich sie gleich wieder durch.
Zum Beispiel hatte ich die Idee, mich jetzt noch für Willow freiwillig zu melden. Diese Idee schrieb ich noch nicht einmal vollständig auf, bevor ich sie wieder durchstrich. Ich raufte mir die Haare und dachte weiter nach.
Nach gut einer halben Stunde war die einzige, einigermassen logische Idee, dass ich Rune ins Bündnis der Karrieros bringen musste. Ob er persönlich überhaupt daran interessiert war, wusste ich nicht. Deshalb musste ich die Karrieros dazu bringen, ihn nach einem Bündnis zu fragen. Denn dann würde er nicht ablehnen können.
Wie brachte man die Karrieros dazu, jemanden in seinem Bündnis haben zu wollen?
Minuten lang sass ich still da, überlegte und überlegte und überlegte. Erst wollte mir nichts einfallen, ausser, dass er im Training auffallend gut sein müsste, aber dann hatte ich die Idee.
«Wenn er beim Einzeltraining 10 oder sogar mehr Punkte hat, könnten sie ihn in ihrem Bündnis haben wollen», murmelte ich vor mich hin.
Nur, wie sollte er 10 Punkte hinkriegen. Nicht, dass ich ihm das nicht zutraute, aber es war eine äusserste Seltenheit, dass jemand eine solch hohe Punktzahl erbrachte. Normalerweise zählte 10 als sehr gut. Er müsste jedoch eine hervorragende Punktzahl erreichen, um ins Bündnis der Karrieros zu kommen.
Der Gedanke, den ich nun hatte, fühlte sich fremd an. Normalerweise verhielt ich mich vollkommen korrekt, frass niemals etwas schlimmes aus. Wahrscheinlich war es die Sorge um Willow, die mich so denken liess.
Ja, ich würde Runes Punktzahl manipulieren. Ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, damit die Juri ihm 12 Punkte gab. Die Karrieros würden keine andere Wahl haben, als ihn in ihr Bündnis aufzunehmen. Und dann könnte Rune Willow zur Seite stehen und ihr helfen, falls der schlimmste Fall eintreten würde.
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Truth Rising | Die 51. Hungerspiele
FanfictionTeil 2 ᯽᯽᯽ »Warum sagen alle, dass man ehrlich sein soll, wenn man später dafür umgebracht wird, die Wahrheit aussprechen zu wollen?« Nur ein Jahr, nachdem Harper Thea Osborn zur Gewinnerin der 50. Hungerspiele gekürt wurde, trifft ein Schlag des Sc...