29. Kapitel

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Harper Thea Osborn

Ich war ein paar Minuten vor Gray und Ley ins Kapitol gegangen. Denn auch normalerweise betrat ich das Kapitol nie in Begleitung von Friedenswächtern. Wir trafen uns im Treppenhaus, dann stiegen wir die Stufen empor, denn die Kommandozentrale der Spielmacher befand sich ein paar Stöcke weiter oben. Bird hatte uns den Weg ganz genau erklärt.

Wir begegneten keinem, bis wir nur noch ein paar Gänge von unserem Ziel entfernt waren. Dann kamen uns drei Friedenswächter entgegen.

«Ruhe bewahren», flüsterte ich Gray und Ley zu. Ich versuchte ruhig zu atmen und das angespannte Gefühl loszuwerden, doch es gelang mir nicht. Trotzdem achtete ich darauf, in gemächlichem Tempo durch den Gang zu gehen und so zu tun, als wäre nichts los.

Die Friedenswächter waren schon fast auf unserer Höhe angekommen, als einer sein Funkgerät ans Ohr hob und lauschte. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen und deshalb auch nicht, wie sich seine Miene veränderte, doch anhand seiner Haltung war klar, dass etwas nicht stimmte. Er hatte nämlich innegehalten und nun hob sich sein Blick. Obwohl ich seine Augen nicht sehen konnte, war ich mir sicher, dass er direkt mich ansah.

Mir war sofort klar, dass wir aufgeflogen waren. Was nun? War unser ganzer Plan jetzt für nichts gewesen, sollte das das Ende sein? Ich schüttelte den Kopf, denn das konnte ich einfach nicht zulassen. Wir waren zu weit gekommen und wir waren zu nahe dran, endlich etwas zu ändern, etwas zu verbessern.

«Wenn wir sie hier und jetzt erledigen, gewinnen wir etwas Zeit», sagte ich an Ley und Gray gewandt. «Wir müssen nur verhindern, dass sie Verstärkung rufen»

Ich sah mich zu meinen beiden Kollegen um – sie nickten zustimmend.

Ich griff als Erste an. Mit einem Ausfallschritt schoss ich vor und schlug einem der Friedenswächter meine Faust ins Gesicht, sodass er rückwärts taumelte. Ley und Gray würden die anderen beiden übernehmen.

Ich hatte schon lange nicht mehr gekämpft, doch meine Erfahrung von den letzten Hungerspielen war noch nicht vollständig verschwunden. Das Training war also nicht umsonst gewesen. Trotzdem war mir klar, dass der Friedenswächter um einiges stärker war als ich. Ich musste ihn also möglichst auf Abstand halten.

Ich wich geschickt zur Seite, als mein Gegenüber mich mit seiner geballten Faust zu treffen versuchte. Ich holte mit meinem Fuss aus und versuchte mein Gegner mit einem Schlag gegen das Schienbein zu Fall zu bringen. Bei einem gleichaltrigen Tribut, während den Hungerspielen hätte das vielleicht geklappt, doch dieser Friedenswächter stand dank seiner Trainings so sicher auf den Beinen, dass ich nichts ausser einem Fluch seinerseits erzielte.

Ich hielt mich im Kampf ganz gut, auch wenn ich mehr auswich, als selbst anzugreifen. Doch auch mein Gegner war gut, sehr gut. Mehrere Male brachte er mich beinahe zu Fall oder traf mich mit einem seiner Schläge. Meine Seite schmerzte und in meinem Gesicht fühlte ich ein schmales Rinnsal an Blut aus meiner Nase fliessen.

Dann traf mich einer seiner Schläge in die Magengrube und ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich sackte zu Boden und begann zu husten. Bevor ich mich aufrichten konnte, verpasste der Friedenswächter mir mit seinem Fuss einen Hieb und ich wurde zur Seite geworfen.

Ein Schuss erklang und das brachte mich und auch meinen Gegner aus der Fassung. Mein Blick folgte dem Geräusch und konnte erleichtert feststellen, dass der Schuss keinem meiner Freunde gegolten hatte. Doch einer der feindlichen Friedenswächter lag reglos am Boden – Blut verfärbte den weissen Stoff seiner Uniform. Er war tot.

Auch der zweite Friedenswächter lag reglos am Boden. Doch ich wusste nicht, ob auch er tot war. Vielleicht war er auch einfach bewusstlos.

«Harper, pass auf!», schrie jemand und ich erkannte Grays Stimme. Sofort fuhr ich herum und sah den letzten Friedenswächter, der eine Pistole auf mich richtete. Ich reagierte mehr instinktiv als bewusst und warf mich zur Seite. Der Schuss ging los, noch bevor ich auf dem Boden aufkam und der Knall schallte ohrenbetäubend durch den weiträumigen Gang. Nur um einige Zentimeter schoss die Kugel an mir vorbei.

Truth Rising | Die 51. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt