24. Kapitel

2 2 0
                                    

Willow Jane Osborn

Ich hörte nichts als den bebenden Herzschlag in meinen Ohren. Es war der einzige Grund, weshalb ich davon überzeugt war, dass das alles wirklich geschah. Alles fühlte sich so unecht an, wie in einem Albtraum, aus dem ich früher oder später erwachen würde.

Das Gewicht von Beverly drückte mit einer Kraft auf mich, die ich nicht mehr lange würde aushalten können. Trotzdem kämpfte ich mich weiter, denn ich musste ihr Leben retten. Sie hatte mein Leben auch gerettet und sie durfte einfach nicht sterben.

Dazu kam, dass die Schritte und Stimmen der Karrieros immer näherkamen. Sie waren dicht hinter uns und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie uns erwischen würden.

Ich rannte blind weiter und sah nicht, dass ich direkt auf einen Abhang zusteuerte. Ehe ich mich versah, stürzten Beverly und ich den Abhang hinunter. Wir rutschten über verwelkte Blätter und verschiedenste Pflanzen. Ich spürte, wie ein Dornenzwei sich in meinen Haaren verfing und ein schmerzhaftes Gefühl auslöste.

Mit einem unangenehmen Knall kamen wir am unteren Ende des Hangs an. Ungeplant hatten wir an Vorsprung gewonnen. Also kämpfte ich mich wieder auf die Beine und ging weiter.

«Wir schaffen das, Beverly», sagte ich und sah zu meiner Verbündeten. Ihre Augen schienen jeden Moment zuzufallen und sie schien jedes Bisschen Kraft aufzuwenden, um sich auf den Beinen zu halten. Wir mussten sofort einen sicheren Ort finden, denn viel länger konnten wir so nicht gehen. Beverly brauchte eine Pause, ich brauchte eine Pause.

Der Wald wurde wieder dichter und ich machte eine Linkskurve, um den Karrieros auszuweichen, die hinter uns den Abhang hinunterkletterten. Im Wald würden wir bestimmt ein Versteck finden, wo wir nicht sofort entdeckt werden würde. Meine Augen suchten aufmerksam das Unterholz ab.

Dann entdeckte ich in einiger Entfernung das ideale Versteck. Es war ein überwachsener, verrosteter Zug. Oder das, was davon noch übrig ist. Für unsere Zwecke schien er auf jeden Fall wie geschaffen zu sein. Ich brachte die letzten Meter hinter mich und trat durch die Öffnung, die wahrscheinlich mal von einer Tür versperrt worden war.

«Wir haben es geschafft», sagte ich erleichtert, als wir im Inneren waren. Ich sank auf die Knie und atmete erst einmal tief durch. «Ist alles soweit gut bei dir, Beverly», fragte ich und sah zu Beverly.

Erstarrt sah ich zu wie Beverly reglos zur Seite sank. Ihre Haut war schneeweiß, noch heller als sowieso schon und auf ihrer Stirn hatten sich kleine Schweißtropfen gebildet. Die Wunde an ihrem Bauch blutete wie verrückt, der Stoff ihres Shirts war blutdurchtränkt.

«Beverly? Beverly, wach auf. Bitte!», sagte ich und rüttelte an ihren Schultern. Tränen stiegen in meine Augen und ein Kloss bildete sich in meinem Hals. Ein Schluchzen brach aus mir hervor, doch ich musste mich zusammenreißen. Zitternd saß ich in dem verrotteten Zug und überlegte, was ich zu tun hatte. In dieser Situation wollte mir erst gar nicht einfallen.

Doch dann riss ich einen Fetzen meines Shirts ab und presste den Stoff aus Beverlys Wunde. «Bitte!», weinte ich und versuchte nicht zu laut zu sprechen. Schließlich könnten die Karrieros jeden Moment auftauchen. Mit aller Kraft drückte ich den Stoff auf die Wunde, doch er war innert Sekunden mit Blut vollgesogen.

Ich nahm den Rucksack vom Rücken und wühlte darin herum, bis ich ein Stück Verband fand, das ich auf die Wunde presste. Es dauerte nicht lange, bis auch dieses Stück vollkommen mit Blut voll war. Ich nahm ein neues Stück und wickelte es um Beverlys Bauch, dann nahm ich ein letztes Stück und presste es gleichzeitig noch auf die Wunde.

Unablässig flossen mir Tränen über die Wangen und immer wieder wurde die Luft von einem Schluchzer durchzogen. Stumm betete ich, dass die Wunde aufhörte zu bluten, dass alles gut werden würde. Es musste einfach gut ausgehen.

Ich wusste nicht, wie lange ich auf die Wunde presste. Die Zeit verging kaum zu vergehen, doch mittlerweile war schon die Sonne aufgegangen. Irgendwann merkte ich, dass die Wunde nicht weiter blutete. Zumindest drang kein Blut mehr unter dem Verband hervor.

Erschöpft liess ich mich zu Boden sinken. Ich konnte dennoch nicht aufhören zu weinen. Mein Körper wurde von den Schluchzern geschüttelt, doch irgendwann war ich so müde, dass ich einfach einschlief.

Truth Rising | Die 51. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt