15. Kapitel

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Willow Jane Osborn
«Na wen haben wir denn da?», fragte Titan mit überheblichem Unterton in der Stimme.

Rune und sein Verbündeter Castle Fallon stellten sich Rücken an Rücken aneinander. Beide hoben ein Messer in der Hand, um sich zu verteidigen. Gegen die Karrieros hätten sie dennoch keine Chance.

Eine Minute verging, dann zwei, in der keiner sich bewegte. Die beiden Tribute in der Mitte warfen nur panische Blicke auf uns und suchten nach einer undichten Stelle, durch die sie entkommen konnten. Mein Herzschlag hatte sich auch beschleunigt, obwohl ich mich gar nicht in einer kritischen Lage befand. Ich hatte vier Verbündete bei mir, die alle fabelhaft kämpfen konnten. Der Sieg war schon so gut wie unser.

Doch da war noch Rune, mein Distriktpartner. Ich kannte ihn kaum, war nicht mit ihm verbündet und doch machte ich mir Sorgen um ihn. Ich machte mir aber auch sorgen um den anderen Tributen, den ich gar nicht kannte und mit dem ich noch kein einziges Wort gewechselt hatte. Ich hatte Angst, dass irgendwer sterben könnte, ganz egal wer.

«Wollt ihr nicht um Gnade betteln, bevor wir euch erledigen?», kam es nun von Harmony, auf deren Gesicht ein freudiges Grinsen zu sehen war. Sie konnte es wohl kaum erwarten. Sie konnte es kaum erwarten, die beiden zu töten.

«Vergiss es!», sagte Castle, dann rannte er los. Und er rannte genau auf mich zu. Nach einigem Überlegen hatte er wohl entschieden, dass er am leichtesten an mir vorbeikommen würde. Da konnte ich ihm leider nur zustimmen.

Auch Rune hatte entschieden zu flüchten. Er rannte jedoch in die andere Richtung, sodass ich ihn aus den Augen verlor, da ich mich auf Castle konzentrieren musste.

Würde er mich umbringen? Ich wusste es nicht, aber die Angst war plötzlich übermächtig. Ich senkte meinen Bogen und hob panisch die Arme über den Kopf, um mich von ihm abzuschirmen. Vielleicht würde er einfach flüchten und mich nicht weiter beachten.

Als ich die Augen wieder öffnete, stiess Harmony von der Seite in Castle und warf ihn zu Boden. Ein Aufschrei entfuhr mir. Ich beobachtete, wie Harmony ihr Gegenüber fest auf dem Boden fixierte und dann einen Dolch zum Angriff hob.

Doch Castle befreite sich aus ihrem Griff, bevor sie zustechen konnte. Er rappelte sich hoch, doch Harmony packte ihn am Fussgelenk und riss ihn erneut zu Boden.

«Du entkommst mir nicht», zischte sie, dann rammte sie den Dolch mit voller Wucht in Castles Rücken, sodass Blut spritzte. Immer wieder stiess sie zu, immer wie mehr Blut floss.

Ich konnte nur noch zitternd zusehen. Ein leises Wimmern verliess meine Lippen, während ich zusah, wie Harmony von dem toten Körper von Castle abliess und zufrieden grinste. Ich sank auf die Knie und versuchte meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen und endlich meinen Blick abzuwenden.

Ich atmete tief ein und aus, immer wieder. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag und ich schaffte es leicht schwankend aufzustehen.

Ich zitterte noch leicht, als ich mich umsah. In einigen Metern Entfernung kämpfte Rune gegen Titan und Roger. Es war ein wildes Hin und Her und Rune hielt sich ganz gut gegen die beiden. Doch schon einen Moment später war er im Griff von Titan gefangen und konnte sich nicht mehr rühren. Der starke Arm von Titan lag auf seinem Hals und hielt gerade so fest, dass Rune noch knapp atmen konnte.

Wir versammelten uns um Titan und Rune. Ich starrte zu meinem Distriktpartner und unsere Blicke trafen sich. Entschuldigend sah ich ihn an. Angst loderte noch immer in meinem Inneren und ich konnte sie nicht bändigen. Wie ein aus dem Ruder geratenes Feuer züngelte sie in meinem Inneren und verbreitete sich weiter, und weiter.

«Titan», sagte Harmony, «Ist das nicht der Junge, der beim Training 12 Punkte erreicht hat?»

«Du hast Recht, Harmony», bemerkte Titan und presste seinen Arm noch ein wenig fester um Runes Hals. Rune gab ein ersticktes Röcheln von sich und wand sich weiter in Titans Griff.

Harmony sah zu Rune. «Du hast die Wahl, Süsser», begann sie mit überfreundlicher Stimme. Ganz so, als würde sie gerade ein freundliches Gespräch mit ihm führen. «Willst du kurz und schmerzlos sterben oder willst du dich zur Wehr setzen?»

Sie trat nun näher an ihn heran und liess die Spitze ihres blutverschmierten Dolches über seine Haut streifen. Ganz sanft, doch trotzdem bildete sich eine schmale, rote Linie auf Runes Haut.

«Wir würden dir ja anbieten unserem Bündnis beizutreten», sagte Titan und lachte überlegen, «doch du bist eine zu grosse Gefahr für uns. Wir können es nicht dulden, dass jemand eine bessere Punktzahl hatte als wir»

«Ich lass' mich nicht einfach von euch umbringen!», keuchte Rune, dann biss er Titan in den Arm, nutze den Moment der Überraschung und befreite sich aus Titans Griff.

Dann ging alles plötzlich ganz schnell. Rune entkam Titan, doch bevor er weglaufen konnte, war Harmony da, die das zweite Mal an diesem Tag von ihrem Dolch Gebrauch machte und ihn in Runes Brust stiess.

Ich realisierte erst, was geschehen war, als Rune zuckend zu Boden sank. Mit beiden Händen fasste er sich an die getroffene Stelle, aus der tiefrotes Blut floss.

Runde wand sich unter den Schmerzen, die er fühlte. Sein Blick wanderte umher, bis er mich fand und mich flehend ansah. «Willow», hauchte er, «Bitte!»

Doch ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nichts für ihn tun. Selbst wenn ich mich hätte bewegen könne, hätte ich ihm nicht helfen können. Da war so viel Blut, so viel Blut, so viel Blut und ich hätte es nicht aufhalten können. Weiter tränkte sich der Stoff seines Shirts mit Blut. Dann sackte sein Kopf nach hinten und Rune rührte sich nicht mehr.

Das Zittern setzte wieder ein. Wieder war ich gefangen in dem Käfig aus Angst, Panik und Schuld. Wieder sah ich dem Tod in die Augen. Und wieder war ich diejenige, die mit dem Leben davonkam.

«Wa-was habt ihr getan?», fragte ich mit brüchiger Stimme und starrte auf den toten Körper vor mir.

Truth Rising | Die 51. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt