32. Kapitel

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Harper Thea Osborn

«Wir müssen jetzt die Videoaufnahme starten, Harper», sagte Comet, nachdem wir mehrere Minuten still dagesessen hatten. «Wir können nicht länger warten, wenn sie wirklich wissen, dass wir hier sind»

«Ich weiss», brachte ich hervor und wischte mir die Tränen vom Gesicht. Ich atmete tief ein und aus, um die Trauer zu verdrängen.

Comet machte sich an einem Bildschirm zu schaffen. Er tippte schnell darauf herum. «Bist du bereit?», fragte Comet mich.

«Warte», sagte ich, «Kannst du mir Willow zeigen, das wird ja schliesslich alles gefilmt. Ich muss wissen, ob es ihr gut geht»

«Klar», sagte Comet und tippte wieder auf dem Bildschirm herum. Auf einem grossen Bildschirm an der Wand war die Kameraaufnahme zu sehen, die gerade im Fernseher zu sehen war. Gerade änderte sich die Einstellung.

Da waren zwei Personen in einem Kreis aus Feuer. Bei näherem Hinsehen erkannte ich Willow. «Willow!», sagte ich, mein Blick auf den Bildschirm gerichtet. Mir fiel ein Stein vom Herz, als ich sah, dass es ihr so weit gut ging. Gleichzeitig wurde mir mulmig zu Mute, da sie sich inmitten von Flammen befanden. Wir hatten nicht mehr viel Zeit, wir mussten uns beeilen.

«Bereit!», sagte ich zu Comet, der mich abwartend angesehen hatte. Er tippte ein paar Mal auf den Bildschirm, dann nickte er mir bestätigend zu.

Ich sah, dass ich nun auf dem Bildschirm zu sehen war. Ganz Panem konnte mich sehen. «Ich bin Harper Thea Osborn, die Gewinnerin der 50. Hungerspiele», begann ich etwas unsicher. «Und ich melde mich heute, um euch allen die Wahrheit über die Hungerspiele zu erzählen. Nicht nur die 50. Hungerspiele, sondern die Hungerspiele im Allgemeinen. Ihr habt das Recht auf die Wahrheit»

Ich sah kurz zu Comet. Er nickte mir aufmunternd zu und ich sprach weiter.

«Die Hungerspiele wurden manipuliert. Wir haben Beweise dafür, dass letztes Jahr nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Sie erinnern sich bestimmt noch, dass ich und mein Verbündeter Weylin die letzten Überlebenden in der Arena waren. Wir haben damals beschlossen, dass wir nicht ohne den anderen leben wollten, deshalb entschlossen wir uns dazu, gemeinsam von einer Klippe zu springen und zu sterben.

Doch es lief nicht wie geplant, denn wie durch ein Wunder überlebte ich den Sprung. Oder war es doch kein Wunder? Nein, war es nicht, denn die Spielmacher höchstpersönlich haben dafür gesorgt, dass ich überlebe. Sie brauchten einen Gewinner, also haben sie sich einen besorgt. Die Spielmacher haben die Spiele manipuliert, um zu bekommen, was sie wollen. Wer weiss, wie oft sie das schon gemacht haben»

Ich machte eine Pause. Zu viel Information auf einmal war nicht gut. Ausserdem musste ich auch einmal tief durchatmen, um meinen Puls unter Kontrolle zu bringen. Mein Herz pochte schnell gegen meine Brust und meine Beine schienen jeden Moment nachzugeben.

Ich warf einen Blick auf den Bildschirm. Er zeigte mich, doch im Hintergrund war immer noch die Arena zu sehen. Ich konnte Willow immer noch sehen. Es ging ihr so weit gut.

Ich wollte gerade weiterreden, als Comet plötzlich schrie. «Harper, hinter dir ist ein Spielmacher!», schrie er mir zu und ich wirbelte herum. Ich erwartete, dass ich gleich angegriffen werden würde, doch stattdessen machte der Spielmacher sich an einem Bildschirm zu schaffen.

Meine Augen weiteten sich, als ich verstand, was er vorhatte. Sofort warf ich mich auf ihn, doch noch bevor ich bei ihm war, erklang ein lauter Knall. Doch das Geräusch kam nicht direkt aus diesem Raum. Nein, es kam aus dem Lautsprecher, der mit der Kamera in der Arena verbunden war.

Der Kopf des Spielmachers knallte hart auf den Boden, sodass er reglos liegenblieb. Ich erhob mich so schnell ich konnte und ging näher an den Bildschirm heran, auf dem die Arena gezeigt wurde.

Meine Beine gaben unter mir nach, ich sank zu Boden. Ein verzweifelter Schrei entfuhr mir und Tränen bahnten sich einen Weg über meine Wangen.

Der Spielmacher hatte einen Feuerball abgeschossen. Er hatte ein Feuerball auf Willow geschossen. Ich hatte gerade noch gesehen, wie Willow von den Flammen verschluckt worden war.

«Bumm!»

«Nein!», schrie ich mit tränenerstickter Stimme. Mein ganzer Körper verkrampfte sich, in meinem Innern schien irgendetwas zu reissen, zu brechen oder was auch immer. Der Schmerz war kaum auszuhalten.

Ich konnte mich nicht bewegen, nicht denken. Einen Moment lang vergass ich sogar zu atmen. Und die Welt schien einfach still zu stehen, ewig in diesem Moment der Trauer und des Schmerzes verharren zu wollen.

«Harper», sagte auf einmal eine Stimme. Es klang wie durch Wasser und sie holte mich zurück in die Realität. Ich schreckte hoch und sah in Comets Augen, die mich mitleidig ansahen. «Harper, du musst das hier zu Ende bringen. Ich weiss, dass es schwer ist, aber wir haben nur diese eine Chance»

«Es war alles um sonst», schluchzte ich, «Alles, was ich getan habe, war um sonst. Ich konnte ihr nicht helfen, ich...konnte Willow nicht retten»

«Es war nicht um sonst, Harper», erwiderte Comet. «Bitte, du musst es zu Ende bringen»

«Willow ist tot» Ich weinte und raufte mir die Haare. «Sie ist tot, okay. Ich habe das hier alles für sie getan und nun ist sie tot»

«Ich weiss, wie schwer das für dich ist, ich weiss, dass du deine Schwester sehr geliebt hast», sagte Comet eindringlich und mit einem Flehen in der Stimme. «Aber denk an die vielen Kinder, an die vielen Familien, die du in der Zukunft retten wirst, wenn du jetzt nicht aufgibst. Ich weiss, dass du es kannst, okay? Ich glaube an dich»

Er hatte die Hände auf meine Schultern gelegt, sodass ich ihm in die Augen sah.

«Tu es für Willow. Tu es für Weylin, für Cosmo, Eleria und alle anderen, die ihr Leben an die Hungerspiele verloren haben», versuchte Comet es weiter. «Tu es für dich selbst, Harper»

Ich weinte immer noch, aber ich nickte. Ich nickte und sah ihn zustimmend an. Ich erhob mich langsam und trat vor die Kamera, die alles live im Fernsehen zeigte.

«Meine Schwester ist tot», sagte ich mit belegter Stimme, «Sie ist gerade gestorben. Die Spielmacher haben sie umgebracht»

Ich musste einen Moment warten, bevor ich weitersprechen konnte, denn neue Tränen sammelten sich in meinen Augen. Es kostete mich viel Mühe sie zu verdrängen.

«Das Kapitol ist betrügerisch, sie manipulieren die Spiele und sie versuchen es nicht einmal zu verbergen», sagte ich, «Meine Schwester hat bei ihrem Aufenthalt im Kapitol mitbekommen, dass die Spiele im letzten Jahr manipuliert worden sind. Das ist auch der Grund, weshalb die Spielmacher sie um jeden Preis töten wollten. Und es jetzt auch geschafft haben.

Denn Willow ist der Beweis dafür, dass das Kapitol ein Betrüger ist. Doch nun seid ihr alle der Beweis, denn ihr habt alle gesehen was eben geschehen ist. Ihr habt gesehen, wie meine Schwester umgebracht wurde.

Es ist an der Zeit, dass wir uns wehren. Wir können nicht länger mit diesem verkorksten System der Hungerspiele weitermachen. Allein kann ich es nicht schaffen, aber wenn wir alle sagen, was wir gesehen haben, dann kann das Kapitol die Wahrheit nicht weiter verleugnen. Wir sind es den vielen Kindern schuldig, die in den Hungerspielen ihr Leben gelassen haben»

«Man hat mir mitgeteilt, dass Harper Thea Osborn, die Gewinnerin der 50. Hungerspiele sich hier aufhält und einiges durcheinanderbringt. Ich glaubte es erst nicht, aber hier bist du», sagte eine bekannte Stimme hinter mir.

Ich drehte mich um. Im Türrahmen stand der Präsident von Panem und sah mich an.

«Es ist vorbei», sagte ich und sah ihn wütend an, «Alle kennen die Wahrheit über sie und das Kapitol. Wir haben sie besiegt»

Seine Miene änderte sich. Nun konnte ich deutlich erkennen, dass er geschockt war. Ich konnte regelrecht sehen, wie die Angst ihn nach und nach ausfüllte. Seine Lüge war aufgedeckt und jetzt wusste er nicht mehr weiter.

«Sie haben verloren», sagte Comet, der neben mich getreten war, «Und sie werden für ihr Vergehen rechtmässig bestraft werden»

Ich machte noch ein paar Schritte auf den Präsidenten zu, bis ich unmittelbar vor ihm stand und ihm in die Augen blicken konnte. «Sie hätten sich zweimal überlegen sollen, ob sie mich oder Weylin retten»

Truth Rising | Die 51. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt