Willow Jane Osborn
Eine kalte Hand legte sich auf meinen Arm und weckte mich augenblicklich aus meinem unruhigen Schlaf. Ich wirbelte herum. Über mir stand Beverly, die mich angrinste. Ein grinsen passte so gar nicht zu ihrem kühlen Aussehen und es liess sie noch etwas furchteinflössender aussehen.«Wir brechen bald auf», sagte sie, «Du machst dich besser mal bereit, damit wir nicht auf dich warten müssen» Der letzte Satz klang bei ihr eher wie eine Drohung als eine Aufforderung, sodass mir ein Schaudern über den Rücken lief.
Ich nickte und kaum war sie verschwunden, erhob ich mich aus meinem Schlafsack und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Unser Lager war leer, was wohl bedeutete, dass die anderen sich beim Füllhorn befanden.
Beim Füllhorn angekommen blieb mir kaum Zeit, bevor wir aufbrachen. Ich nahm mir ein Brötchen und ass es, während wir losliefen. Nuray und Roger blieben zurück, da sie später Wasser holen mussten.
Titan und Harmony bildeten die Führung unserer Gruppe, was Beverly nicht zu gefallen schien, denn sie schob sich immer wieder weiter nach vorne. Doch Titan stellte sich ihr jedes Mal in den Weg und bestand weiter darauf die Spitze zu bilden. Beverlys Augen sprühten beinahe vor Wut, doch schliesslich fand sie sich damit ab und gesellte sich zu mir und Khaos.
«Pff», machte Beverly, «Die halten sich für etwas Besseres, bloss weil sie aus Distrikt 1 kommen» Sie warf in einer theatralischen Bewegung ihre weissen Haare über die Schulter.
«Dann beweis ihnen doch, dass sie falsch liegen», schlug Khaos vor und wandte sich Beverly zu.
«Nee», machte diese, «Ich möchte unser Bündnis noch nicht jetzt zerstören, das wäre unsinnig und hätte für mich nur Nachteile» Sie zuckte mit den Schultern.
«Du denkst jetzt schon an das Ende unseres Bündnisses?», fragte ich. Ich wusste zwar, dass unser Bündnis sich irgendwann auflösen würde, doch ich hätte nicht gedacht, dass Beverly oder irgendjemand anderes jetzt schon darüber nachdachte. Offensichtlich überlegte sie sich bereits, wie sie vorgehen musste, um möglichst gut aus der Sache rauszukommen.
«Natürlich», antwortete sie, «Die Hungerspiele sind unberechenbar, da muss man sich anpassen, um zu gewinnen. Ich will auf alles gefasst sein»
«Macht Sinn», stellte Khaos vor und nickte.
«Erzähl mir Willow», begann Beverly erneut, «Deine Schwester hat doch die Hungerspiele gewonnen. Sie hat dir doch bestimmt ein paar Tipps gegeben, was du beachten musst oder wie sie vorgegangen ist» Sie lehnte sich bedrohlich nahe in meine Richtung und ich wich ein wenig zurück.
«Ehm...», begann ich und versuchte den furchteinflössenden Anblick von Beverly zu ignorieren, «Nicht wirklich. Sie sagte einfach, dass ich immer aufmerksam sein sollte und keinem vertrauen soll»
«Sie hat doch bestimmt noch mehr gesagt, deine liebe Schwester. Die will doch schliesslich nicht ihre liebe Schwester verlieren, oder?»
Sie kam noch weiter auf mich zu und ich wich wieder zurück. Doch dann blieb ich in einem Gestrüpp aus Dornenranken hängen und fiel nach hinten. Mit einem Aufschrei landete ich in den Dornen und ein Schmerzenslaut entfuhr mir.
«Oh!», machte Beverly, bevor sie mir die Hand reichte, um mich hochzuziehen. «Hab ich die etwa Angst gemacht?», fragte sie und ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht.
«Ehm...Ein wenig», gab ich ehrlich zu.
«Passiert mir ständig», sagte sie, «Liegt wahrscheinlich an meinem Aussehen. Das haben mir viele andere Leute nämlich auch schon gestanden» Sie kicherte. Wieder passte die Geste nicht zu ihrem Aussehen. Eigentlich passte ihre ganze Art, ihr Verhalten und ihr Benehmen nicht zu ihrem Aussehen.
«Tut mir leid», sagte ich.
«Schon gut», sagte sie, «Du bist nicht die Einzige. Manchmal verschrecke ich selbst, wenn ich in den Spiegel sehe» Wieder kicherte sie und sogar ich konnte mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
«Ich wünschte, ich würde ein wenig furchteinflößender aussehen», sagte Roger nun und sah an sich herunter, «Die Leute sagen mir immer, dass ich total freundlich aussehe, so, als könnte ich keiner Fliege etwas zuleide tun»
Naja, das stimmte tatsächlich. Roger sah mit seinen hellbraunen Haaren, die in alle Richtungen abstanden, den zahlreichen Sommersprossen auf seiner Nase und den Grübchen echt nett aus. Er war mir aus der Gruppe der Karrieros gleich am sympathischsten gewesen. Auch seine schlaksige Figur wirkte kein bisschen bedrohlich.
«Wir können gerne tauschen», sagte Beverly.
«Glaub mir, das willst du nicht. In den Hungerspielen ist es nicht unbedingt ein Vorteil so auszusehen, als könnte man keiner Fliege etwas zuleide tun. Keiner nimmt mich ernst. Und die beiden da vorne erst recht nicht!» Bei den letzten Worten deutete er zu Titan und Harmony, die ein Stück vor uns gingen.
«Dann nutz' es aus», sagte ich zu Roger, «Wenn sie denken, dass du harmlos bist, kannst du sie überraschen, indem du genau das Gegenteil tust, was sie erwarten»
«Nicht schlecht, Kleine», sagte Beverly, «Zeig's ihnen, Roger!»
«Eigentlich habt ihr Recht», bemerkte Roger und rieb sich nachdenklich am Kinn, «Das könnte tatsächlich funktionieren»
«Natürlich wird es das!», sagte Beverly und legte freundschaftlich einen Arm um seine Schulter. Dabei grinste sie wider und diesmal sah es schon nicht mehr so unheimlich aus.
«Ihr da!», schrie auf einmal Titan zu uns. Er hatte sich in unsere Richtung gedreht und das Schwert erhoben, «Wir haben besseres zu tun, als reden. Da vorne sind andere Tribute, macht euch also bereit zum Angriff»
Wir drei schauten uns gegenseitig einen Moment lang an, dann packten wir unsere Waffen ein wenig fester und schlossen zu den beiden anderen auf. Ich zog im Laufen einen Pfeil aus meinem Köcher und spannte ihn in den Bogen ein, auch wenn ich nicht vorhatte, ihn tatsächlich zu schiessen. Niemals würde ich auf einen Menschen schiessen.
Wir befanden uns in einem Wald, die Bäume standen jedoch nicht dicht beieinander, sondern liessen genug Platz. Auf einer Lichtung standen zwei Tribute, die uns noch nicht bemerkt zu haben scheinen. Und das sollten sie wohl auch noch nicht.
Wir streckten unsere Köpfe zusammen, um die Lage zu besprechen. «Wir müssen sie überraschend umkreisen, sodass sie uns nicht entkommen können», sagte Titan.
«Titan und ich schleichen uns auf die andere Seite», begann Harmony im Befehlston, «Roger, Beverly, ihr übernehmt die beiden Seiten. Und Willow, du bleibst hier»
«Klar soweit?», fragte Titan in die Runde und alle nickten. Alle, bis auf Beverly.
«Beverly?», hakte Harmony noch einmal nach.
«Ich würde es vorziehen, deine Position einzunehmen», sagte sie mit einem teuflischen Grinsen, «Ist das ein Problem? Nein? Wunderbar!» Sie setzte sich in Bewegung, bevor Harmony etwas sagen konnte und wenn sie nicht wollte, dass die beiden anderen Tribute uns bemerkten, musste sie den Mund halten und Beverly gehorchen. Ich konnte mir ein Grinsen gerade noch verkneifen.
Wahrscheinlich war es Beverly ziemlich Schnuppe, in welcher Position sie stand. Doch sie wollte sich den beiden Tributen aus Distrikt 1 nicht einfach untergeben. Und im Gegensatz zu mir oder Roger hatte sie den Mut etwas dagegen zu tun. Ich beneidete sie um ihren Mut.
Nun setzten wir uns auch in Bewegung. Mit vorsichtigen Schritten bewegten wir uns auf die beiden Gestalten zu, von denen ich nur den Rücken sehen konnte. Sie waren männlich, so viel konnte ich erkennen.
Dann bemerkten die Beiden uns, wirbelten herum, drehten sich in alle Richtungen und suchten nach einem Ausweg, den es nicht gab. Wir hatten sie umstellt, die Waffen erhoben.
Doch dann erkannte ich einen von ihnen. Es war nicht irgendein Tribut, sondern Rune, mein Distriktpartner.
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Truth Rising | Die 51. Hungerspiele
FanfictionTeil 2 ᯽᯽᯽ »Warum sagen alle, dass man ehrlich sein soll, wenn man später dafür umgebracht wird, die Wahrheit aussprechen zu wollen?« Nur ein Jahr, nachdem Harper Thea Osborn zur Gewinnerin der 50. Hungerspiele gekürt wurde, trifft ein Schlag des Sc...