Willow Jane Osborn
Mein ganzer Körper prickelte, als ich erwachte. Obwohl ich wieder wach war, fühlte mein Körper sich noch betäubt an, meine Sicht war getrübt und ich hatte Mühe, mich aufrecht zu halten.
Blinzelnd schaute ich mich um. Ich befand mich in einem tristen Raum, der von kühlem Licht erhellt wurde. Viel mehr als die Liege, auf der ich sass, gab es hier nicht. An einem Ende des Raums war eine gläserne Schiebetür, hinter der ein Gang lag, der sich hinter einer Ecke verlor. Am anderen Ende des Raums war eine Erhöhung und direkt oben dran war eine Öffnung, die in ein dunkles Loch mündete.
Nun beginnt es also. Ich wusste genau, dass in wenigen Momenten die Spiele beginnen würden. Es würde ein Blutbad geben und vielleicht würde es für mich schon das Ende sein.
«Bitte begeben Sie sich auf die kreisrunde Erhöhung», befahl mir eine blecherne Stimme, die aus dem Nichts kam. «Stellen Sie sich auf die kreisrunde Fläche, halten Sie die Arme am Körper und verhalten Sie sich ruhig»
Ich erhob mich von der Liege. Unfreiwillig knickte ich ein, bevor ich einen einzigen Schritt tat, doch ich konnte mich an der Liege abstützen und mich wieder aufrichten. Nun bewegte ich mich etwas vorsichtiger voran und kurz darauf hatte ich die runde Erhebung erreicht. Ich tat, was die Stimme mir gesagt hatte, etwas anders blieb mir gar nicht übrig.
«Halten Sie die Arme am Körper und verhalten Sie sich ruhig», ermahnt mich die Stimme noch einmal, dann erklingt ein piepsendes Signal und eine gläserne Scheibe schliesst sich um mich wie eine MRI-Röhre.
Was würde ich tun, wenn erst einmal das Startsignal ertönt war? Im Moment hatte ich kaum Hoffnung, das Blutbad zu überleben. Nicht nur, weil die Spielmacher mich loswerden wollten, sondern auch, weil ich so wacklig auf den Beinen war, dass jeder einzelne Tribut mich im Hand umdrehen umbringen könnte. An Flucht war auch nicht zu denken.
Meine einzige Hoffnung waren die Karrieros. Doch auch die würden beim Blutbad besseres zu tun haben, als sich um mich zu kümmern. Sie wollten schliesslich das Füllhorn für sich erobern.
Die Plattform setzte sich unter mir in Bewegung. Ich taumelte einen Moment, doch die gläserne Röhre war nicht gross genug, um darin umfallen zu könne. Deshalb konnte ich mich an der Scheibe abstützen und die Balance wieder finden. Ich spürte meine Hände zittern und mein Herz klopfte mit schnellen Schlägen gegen meine Brust.
Ein kühler Wind wehte mir entgegen, als ich in der Arena ankam. Mein Blick wanderte von rechts nach links und untersuchte meine Umgebung.
Vor mir erstreckte sich eine überwucherte Fläche. Man konnte den Boden vor lauter wuchernden Pflanzen gar nicht mehr sehen. Hier und da traten ein paar Bäume aus dem Boden, deren Stämme ebenfalls mit einer Unmenge an Efeu überzogen waren.
Das Füllhorn war in der Mitte von allem. Er bestand auf dunklem, verrostetem Metall. So wie es aussah gab es zwei Etagen. Eine war direkt am Boden, zu der anderen gelangte man über eine zerbrechlich aussehende Treppe.
Der Countdown zählte von zehn nach Unten. Ich starrte wie gebannt auf die Ziffern. Doch dann suchte ich mit meinen Augen nach etwas, was ich gebrauchen konnte, um mich zu verteidigen. In einiger Entfernung sah ich einen Speer stecken. Ich wusste, dass ich nicht damit umgehen konnte, aber näher würde ich mich nicht ans Füllhorn heranwagen.
3, 2, 1... Alle rannten los, sobald das Startsignal erklungen war. Nur ich stand noch auf meiner Plattform, mein Herz schlug so fest wie noch nie. Wie erstarrt stand ich da und konnte meine Augen nicht vor dem Geschehen in meiner unmittelbaren Nähe wenden.
Ein Junge und ein Mädchen warfen sich aufeinander, beide hatten eine Waffe in der Hand. Nur kurz darauf spritzte Blut durch die Luft und der Junge fiel tot zu Boden. Seine glasigen Augen starrten ins Leere. Meine Hände begannen bei dem Anblick noch mehr zu zittern und ich taumelte. Ich verlor den Halt und stürzte von meiner Plattform in das Gewächs unter mir.
Beim Aufstehen verfing ich mich mehrmals in irgendwelchen Pflanzen, aber schliesslich schaffte ich es. Noch immer zog das Bild des toten Jungen durch meine Gedanken, doch der Sturz hatte mich aus meiner Trance gerissen und in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Vorsichtig bewegte ich mich vorwärts und versuchte dabei möglichst nicht zu den kämpfenden Tributen zu sehen und das Klirren von Metall zu ignorieren. Ich kam bei dem Speer an, ohne dass jemand mich bemerkte und so nahm ich ihn an mich. Die Tasche, die daneben lag, legte ich mir ebenfalls um.
Ich wusste nicht, was ich nun tun sollte. Ich musste auf die Karrieros warten, schliesslich war ich mit ihnen verbündet. Aber sie waren beim Füllhorn und ich wollte da auf keinen Fall hin. Ich konnte aber auch nicht einfach hier stehen bleiben. Denn früher oder später würde jemand vorbeikommen und mir gegenüberstehen.
Wohl eher früher als später. Als ich mich umdrehte, um mir ein Versteck zu suchen, stand ein hochgewachsener Junge vor mir. Ich duckte mich instinktiv und kam mir so nur noch kleiner vor, als ich eh schon war.
Das Zittern setzte sofort wieder ein, als ich das Messer in seiner Hand zu Gesicht bekam. Meine Augen weiteten sich, aber ich versuchte, die Angst zu überwinden. Zitternd hob ich den Speer in die Höhe und streckte ihn in seine Richtung. Mein Blick suchte seine Augen und als er mich ebenfalls eindringlich ansah, erlaubte ich mir nicht, die zu sein, die als erstes wegsah.
Plötzlich machte er einen Schritt nach vorn und schlug mir den Speer aus der Hand. Ich fiel vor Schreck nach hinten und landete im Gestrüpp. Spitze Dornen bohrten sich durch meine Kleidung und stachen mir in die Haut. Geschockt sah ich zu ihm hoch. Er warf mir ein böses Grinsen zu und ich schauderte.
Schon war er über mir, sein Messer lag an meiner Kehle. Ich wagte nicht zu atmen, die Welt schien still zu stehen. Einen Monet lang dachte ich, das sei es gewesen, doch dann tastete ich neben mir nach dem Speer und schlug den Schaft gegen seinen Kopf, als ich den Stab zu greife bekommen hatte. Zu meiner Verwunderung taumelte der Junge zur Seite und ich konnte mich befreien.
Nun stand ich über ihm, die Spitze des Speers auf ihn gerichtet. Doch ich zögerte, obwohl ich ihn hier und jetzt hätte töten können. Dann wäre es schon einmal ein Gegner weniger, den ich überwältigen musste, wenn ich überleben wollte. Ein Schritt in Richtung Zuhause. Ich holte aus, doch mein Arm hielt in der Bewegung inne und begann wieder zu zittern.
Er hat es verdient, sagte ich mir selbst. Er hatte zuvor versucht mich zu töten, weshalb sollte ich ihm nun nicht einfach zuvorkommen? Warum sollte nicht ich diejenige sein, die überlebt?
Ich holte erneut aus, doch wieder weigerte sich mein Arm, die Bewegung auszuführen. Mit dem Speer bereit zum tödlichen Stoss stand ich da. Mein Gegner lag vor mir am Boden, seine Augen blickten in meine. Ich liess den Speer fallen und sank auf die Knie. Ich vergrub meinen Kopf zwischen den Armen.
«Willow!», rief auf einmal jemand, doch bevor ich aufsehen konnte, spürte ich einen brennenden Schmerz an meinem Arm. Meine Augen fanden den Jungen, den ich nicht hatte töten können. In seiner Hand hielt er das Messer. Auf seinem Gesicht lag ein entschuldigender Ausdruck, als er erneut mit dem Messer ausholte.
Ich war wie betäubt, weshalb ich es nicht schaffte, etwas zu tun, um mich vor dem Angriff zu bewahren. Ich beobachtete einfach die Klinge, die auf mich zuschoss.
Doch im letzten Moment wurde der Junge zur Seite gerissen und eine Gestalt warf sich auf ihn. Bei genauerem Hinsehen konnte ich Harmony erkennen, die gerade das tat, wofür ich zu feige gewesen war. Ohne zu Zögern stiess sie ihre Klinge in die Brust des Jungen. Ich hielt mir die Augen zu, bevor das Blut aus der Wunde hervorzusprudeln begann.
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Truth Rising | Die 51. Hungerspiele
FanfictionTeil 2 ᯽᯽᯽ »Warum sagen alle, dass man ehrlich sein soll, wenn man später dafür umgebracht wird, die Wahrheit aussprechen zu wollen?« Nur ein Jahr, nachdem Harper Thea Osborn zur Gewinnerin der 50. Hungerspiele gekürt wurde, trifft ein Schlag des Sc...