1-Mein zweites Ich

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Noch eine Unterrichtsstunde, dann habe ich endlich einen weiteren, unerträglich langen Tag überstanden.

Es ist fünf Minuten Pause, wie immer zwischen den Stunden. Während alle aufspringen, umher laufen und sich laut unterhalten, bleibe ich stumm auf meinem Platz sitzen.

Wie immer trommle ich nervös mit meinen Fingern auf dem Tisch.

Mein Blick wandert hektisch hin und her. Erst auf die Tafel, dort stehen noch einige Gleichungen aus der Mathestunde. Dann wandert mein Blick sprunghaft zu dem Fenster, wir haben eine der Klassen mit Aussicht auf den Park. Ein Eichhörnchen läuft über die Wiese.

"Wie süß ein Eichhörnchen!", ruft Laila, sofort laufen alle zu den Fenstern, um es anzusehen.

Warum so ein aufstand? Ich sehe nur ein Eichhörnchen, nichts süßes, nichts was es wert wäre aufzuspringen und hin zu rennen.

Pünktlich zur Klingel sehe ich auf die Uhr.

Tick....Tack....Tick....Tack....

Viel Sekunden, länger halte ich es nicht aus, auf einen Punkt zu sehen und blicke wieder aus dem Fenster.

Frau Fuchs, die Lehrerin, kommt herein und stellt ihre Tasche auf das Pult. Für kurze Zeit bleibt mein Blick auf ihr ruhen. Sie ist klein, hat braune Haare, die ihr bis zur Hüfte reichen und trägt eine Brille.

"Guten Morgen", sagt sie zur Klasse.

"Guten Morgen, Frau Fuchs", sagt die Klasse im Chor. Alle außer mir. Ich mache mir nichts aus Begrüßungen, erst recht nicht, wenn ich mich in 45 Minuten wieder verabschieden muss.

Mein Blick hüpft wieder von einer Ecke zur anderen.

"Guten Morgen, Mirko", sagt Frau Fuchs zu mir. Für eine Moment halten meine Finger inne.

"Morgen", murmle ich gezwungen und trommle weiter.

Frau Fuchs verdreht die Augen und beginnt mit dem Englischunterricht. Wie immer höre ich ihr nicht zu.

"Kannst du endlich mal aufhören ständig auf den Tisch zu tippen?!", sagt Laila, die neben mir sitzt, genervt. Ich sehe sie an und klopfe unbeeindruckt weiter.

Tu es... Rät mir mein zweites ich.
Es ist eine Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, was ich tun soll. Meistens ist sie ganz nützlich, da ich mich so wenigstens mit jemandem unterhalten kann.

"Nein, es würde nur Ärger geben", antworte ich laut.

"Was soll das denn jetzt bedeuten?", fragt Laila verwirrt. Ich sehe sie an und höre kurz auf zu trommeln.

Tu es...

"Nein! Es bedeutet nichts", sage ich zu Laila und hoffe, dass sie nicht weiter Nachfragt.

Verwirrt sieht sie wieder nach vorn.

Es ist so einfach, warum tust du es nicht...

Ja, warum eigentlich nicht? Richtig, es ist unmenschlich... Aber andererseits...

Ich greife an meine Federmappe und hole die schwarze Schere heraus.

Ob die wohl scharf genug ist?

Probier es aus...

"Nein!", sage ich, ohne zu bemerken, dass es in der Klasse ganz leise ist und ich damit die ganze Aufmerksamkeit auf mich ziehe.

"Was 'Nein', Mirko?", fragt Frau Fuchs neugierig.

"Ich habe nur laut gedacht", antworte ich. Sie dreht sich zurück zu der Tafel und unterrichtet weiter.

Tu es...

Ich drehe die Schere in meiner Hand.

Es ist so einfach...

Ja das ist es...

Dann tu es...

Ich umschließe den Griff fest mit meiner rechten Hand.

Ich konnte Laila noch nie leiden...

Ich hebe die Schere höher und will es zu Ende bringen, doch das klingeln der Schulglocke lässt mich innehalten.

Die Schüler packen schnell ihre Bücher ein um zu den Bussen zu laufen. Ich lasse mir Zeit.

Erst als alle weg sind, nehme ich meinen Rucksack und gehe aus der Klasse.

Wie ich zum Mörder wurdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt