53 - Vergiss es einfach

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Meine Zimmertür öffnet sich und statt dem erwarteten Kopf meiner Mutter oder meines Vaters schaut Simon herein.

„Hey", macht er und hebt schüchtern die Hand. „Darf ... darf ich reinkommen?"

Ich rapple mich auf und fahre nervös mit den Händen über mein Gesicht und meine Haare. Bei meinem Glück haben die Falten meines Kissens wahrscheinlich eine Landkarte von Mittelerde auf meinem Gesicht abgedruckt. „Klar", krächze ich und zerre meine Bettdecke zur Seite, falls er sich setzen möchte.

Simon schließt die Tür und steht unschlüssig davor, seine Hände in der Kängurutasche seines Hoodies verborgen. „Deine ... deine Mom hat gesagt, ich kann hochkommen. Wenn ich störe, dann–"

Ich schüttle den Kopf und klopfe auf die Matratze neben mir, um ihm zu bedeuten, dass er sich setzen kann. „Nein, ist okay", murmle ich.

Zögerlich kommt er auf mich zu und setzt sich auf die vordere Kante der Matratze, als wollte er jeden Moment wieder aufspringen. Sein Blick huscht durch mein Zimmer, scheint aber keinen Ankerpunkt zu finden, an dem er sich festhalten kann. „Wie ... wie geht's dir?"

Wieder reibe ich über mein Gesicht. „Hab bis eben geschlafen. Nach dem Aufwachen kann man das immer so schlecht beurteilen, finde ich."

Er nickt und presst die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Wie vorhin auf dem Schulhof wirkt er wieder so verzweifelt und ratlos und der Schmerz in meinem Bauch ist augenblicklich zurück. „Mein Dad ist auch unten und spricht mit deinem Dad."

Überrascht hebe ich die Augenbrauen. „Oh."

Er sagt nichts weiter und die Lautlosigkeit drückt richtig auf meinen Ohren.

„Wie war das Training?" Mir fällt keine andere Frage ein, um die unangenehme Stille zwischen uns zu unterbrechen.

Simon seufzt und reibt seine Hände aneinander. „Ganz okay. Ich musste natürlich mehr machen als alle anderen, weil ich am Wochenende nicht da war, aber das war zu erwarten."

„Du hast mir immer noch nicht erklärt, was genau deine Aufgabe in diesem Team ist", plappere ich weiter. „Also, ich habe grundsätzlich keine Ahnung von diesem Spiel, aber vielleicht verstehe ich ein bisschen mehr, wenn du mir die Regeln erklärst."

Simon dreht sich abrupt zu mir. „Bist ... bist du sauer auf mich?", platzt er heraus und ich reiße entsetzt die Augen auf.

„Was?"

Er atmet tief durch, während seine zitternden Finger rastlos über mein Laken streichen. „Ich ... wenn ich irgendwas falsch gemacht habe, dann sag es mir bitte."

Ich beuge mich zu ihm vor, berühre ihn jedoch nicht. „Du hast nichts falsch gemacht, Simon."

Seine feucht schimmernden, blau-grünen Augen betrachten mich eindringlich. „Aber irgendwas ist anders", bringt er erstickt hervor. „Und wenn es wegen mir ist, dann–"

„Es ist nicht wegen dir!", rufe ich aufgebracht.

Augenblicklich erhebt er sich, fährt mit seinen Händen über seinen Kopf und holt tief Luft. „O-Okay, ich–"

„Nein, Simon!" Ich springe auf, meine Beine verheddern sich in meiner Bettdecke, die noch immer wie eine Hülle um meinen Unterkörper gewickelt ist, und purzle fast vom Bett in dem verzweifelten Versuch, seine Hand zu packen. „Es ist nicht wegen dir!"

„Was ist es dann?", schreit er mich an, seine Hände zu Fäusten geballt. „Es ist nicht wegen mir, sondern wegen dir? Willst du jetzt mit so einer billigen Ausrede mit mir Schluss machen?"

Verdattert starre ich ihn an. „Schluss machen?", wiederhole ich ungläubig.

Er schnieft und dreht trotzig seinen Kopf weg, sein Blick auf meine Zimmertür gerichtet. „Dann sei wenigstens ehrlich, Eric."

Vorsichtig ziehe ich meine Beine aus dem Bettdeckenkokon, stehe auf und trete hinter ihn. „Bedeutet Schluss machen nicht, dass man vorher zusammen war?", frage ich leise.

Simon senkt den Kopf und wischt mit seiner Hand durch sein Gesicht, das noch immer von mir abgewandt ist. „Schon gut. Vergiss es einfach."

Rasch greife ich seine andere Hand und zwinge ihn so, sich zu mir zu drehen. „Ich will es aber nicht vergessen! Es ist nur–"

Seine tränengefüllten, blau-grünen Augen betrachten mich auf diese traurige Art und mit voller Wucht trifft mich die Erkenntnis, dass ich mich wahrscheinlich gerade genauso verhalte wie seine Mutter, als sie einfach aus heiterem Himmel abgehauen ist.

Ein lautes Schluchzen entweicht meiner Kehle und ehe er sich wehren kann, schlinge ich meine Arme um ihn. „Es ist nicht deine Schuld", schniefe ich an seiner Schulter, während er mich fest an sich drückt, sein Körper zitternd an meinem. „Ich will doch mit dir zusammen sein, aber ich ... ich ..."

Inzwischen weine ich so heftig, dass mein Atem nur noch stoßweise in meine Lungen gelangt, was dazu führt, dass ich kein einziges Wort mehr formulieren kann.

Die ganze Sorge um Simon und seinen Ruf, um Daphne und wie sie reagieren wird, alles, was mich den ganzen Tag seit Liams Drohnung beschäftigt und an mir genagt hat, bricht auf einmal aus mir heraus und so stehen wir einfach nur eng umschlungen da, halten uns gegenseitig und lassen alles raus.

Schließlich löse ich mich vorsichtig von ihm und wische mit dem Ärmel meines Hoodies über meine feuchten Wangen. „Versprichst du mir, dass du nicht sauer wirst?"

Simon rollt mit den Augen, die nun ganz rot und aufgequollen sind. Er schnieft leise und zwingt sich ein Lächeln auf. „Du weißt, dass man das nicht versprechen kann, oder? Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich sauer auf dich werde."

Ich schüttle den Kopf. „Ich hab auch nicht von mir gesprochen."

Seine Stirn runzelt sich fragend und ich deute auf mein Bett.

Wir krabbeln zurück auf die Maratze, lehnen uns mit den Rücken gegen meine Wand und als ich meine Bettdecke über mich lege, greift Simon danach und zieht sie auch über seine eigenen Beine, ehe er meine Hand nimmt und unsere Finger miteinander verschränkt. „Sag's einfach, Eric."

Ich hole tief Luft und drücke seine Hand einmal fest. „Liam weiß, dass zwischen uns was läuft und hat gedroht, dich vor der Schule zu outen, wenn ich ihm nicht ein Date mit Daphne organisiere."

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