56 - Solltest du auch mal versuchen

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„Ist das wirklich okay für dich?", frage ich Mom zum dritten Mal am nächsten Morgen, während ich den Reißverschluss meiner Jacke zuziehe.

Sie steht neben mir, hat einen breiten Kuschelschal um ihre Schultern gelegt und beobachtet mich durch viel zu kleine Augen, die darauf hindeuten, dass sie kaum geschlafen hat.

Gestern Abend, als Simon und sein Dad sich verabschiedeten, hatte sie von sich aus angeboten, dass Simon mich heute mit dem Auto zur Schule mitnehmen könnte, wenn er seinen Vater auf dem Weg ohnehin bei Second Helping vorbeibrächte.

Heute sieht sie allerdings so aus, als würde sie diesen Vorschlag zutiefst bereuen. Vermutlich hat sie die halbe Nacht kein Auge zugetan.

„Ja, mein Schatz", beteuert sie zum wiederholten Mal. „Es ist wirklich okay für mich."

„Wir können auch den Bus nehmen."

Sie winkt ab. „Jetzt hör auf."

Genau in diesem Moment klingelt es und ich öffne die Tür, an der ich ohnehin schon stehe.

Auf unserer Veranda steht ein strahlender Simon mit roten Wangen. „Guten Morgen."

„Hi", grinse ich ebenso zurück und mein Herz macht einen Hüpfer, als er sich vorbeugt und mir einen Kuss gibt. Seine kalte Nasenspitze streift über meine und ich kichere.

„Hey Mrs. Thompson", lächelt er auch meine Mutter an und ich verliebe mich noch ein kleines bisschen mehr in ihn, als er Mom einfach in eine Umarmung zieht und sie diese liebevoll erwidert. „Wir fahren vorsichtig und melden uns, wenn wir da sind, okay?"

Mom nickt mit einem leicht gequälten Lächeln, macht aber eine scheuchende Handbewegung und klammert sich an ihren Schal. „Viel Spaß und jetzt beeilt euch, sonst kommt ihr zu spät."

•••

Wie versprochen, holt Simon sein Handy hervor, nachdem wir sicher auf dem Parkplatz der Schule zum Stehen gekommen sind, und schreibt meiner Mutter eine Nachricht.

„Dass du die Nummer meiner Mom hast, sollte mich wohl nicht verwundern, oder?", frage ich kichernd.

Sein Mundwinkel hebt sich ebenfalls, als er den Text abschickt und das Handy sicher in seiner Jackentasche verstaut. „Nö." Er blickt nach draußen, wo die meisten Schüler sich bereits auf den Eingang zu bewegen. „Bereit?"

Ich atme tief durch. „Das frage ich dich. Wir können auch–"

„Los geht's", kündigt er unvermittelt an und steigt aus dem Auto.

Ich folge kurz danach und das wilde Klopfen meines Herzens übertönt sogar das Geräusch der zufallenden Autotür, als Simon zu mir herumkommt und ganz selbstverständlich meine Hand mit seiner umschließt.

Seine Finger sind warm und leicht schwitzig, doch er drückt etwas zu, um mir zu bedeuten, dass er mich nicht loslassen wird.

Ich erwidere den Druck und gemeinsam gehen wir unter den neugierigen Blicken einiger anderer Schüler zum Eingang des Schulgebäudes.

Im Korridor häufen sich die Blicke, das gegenseitige Antippen und auf uns gerichtete Finger, doch Simon geht festen Schrittes neben mir her und lächelt mich gelegentlich an, als wollte er mir zeigen, dass alles gut wird.

Kurz bevor wir meinen und Daphnes Spind erreichen, biegt er allerdings überraschenderweise ab und steuert geradewegs auf Liam zu, der gerade an einem der Wasserspender trinkt.

„Hey Liam", begrüßt Simon ihn mit gespielter Höflichkeit, während mein verhasster Biologiepartner sich vor Schreck an dem Wasser verschluckt, das ihm entgegensprudelt. „Ich könnte jetzt sagen, dass es mir leidtut, dir die Tour vermasselt zu haben, aber ..." Simon schaut zu mir, ehe er weiterspricht. „Das hast du auch gut allein geschafft. Darum sage ich wohl einfach danke."

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