38 - Da hast du es

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Als Simons Auto außer Sichtweite ist, spüre ich die Hand meiner Mutter in meinem Rücken. „Möchtest du drüber reden?"

Ganz langsam drehe ich mich zu ihr um und kann noch immer nicht glauben, dass das gerade passiert ist.

Mom streichelt über meine Schulter und lächelt mich aufmunternd an. „Ich fand ihn sehr nett und irgendwas sagt mir, dass er dich auch sehr gern hat."

Ich seufze. „Kann sein, dass du recht hast."

Zärtlich nimmt sie mein Gesicht zwischen ihre warmen, weichen Hände. „Und warum freust du dich dann nicht darüber, Eric?"

Ich zucke mit den Schultern und spüre schon wieder die Tränen, die hinter meinen Augen drücken.

Seit wann bin ich denn so nah am Wasser gebaut?

Mom schiebt mich sanft ins Haus und schließt die Haustür. „Ich denke, ich weiß, was los ist."

Schniefend blicke ich sie an, während sie mich behutsam ins Wohnzimmer führt und aufs Sofa schubst. „Ach echt?"

Mit diesem wissenden Lächeln, das nur Mütter haben können, geht sie zu der Kommode am anderen Ende des Raums und öffnet die obere Schublade.

Die Schublade war bei uns schon immer der Aufbewahrungsort für allerlei ungesunden Kram. Schokolade, Gummibärchen, Chips – all das wird immer an diesem Ort aufbewahrt. Ich denke, meine Eltern wollten früher, als Shawn und ich noch kleine Kinder waren, verhindern, dass wir einfach unkontrolliert Süßkram in uns reinstopften und ich erinnere mich, dass es auch Zeiten gab, in denen die Schublade abgeschlossen und der Inhalt somit für mich unerreichbar war.

Meine Mom kommt mit einer Tüte supersaurer Gummitiere zurück und lässt sich neben mich aufs Sofa fallen.

Ich liebe saure Gummibärchen!

Beherzt greife ich in die Tüte, die sie aufreißt, und stecke mir eins der Teilchen in den Mund. Das Prickeln auf meiner Zunge lenkt mich zumindest kurzzeitig von meinen wirren Gedanken ab.

Sie kaut ebenfalls auf einem herum, verzieht aber beinahe sofort ihr Gesicht. „Wie kannst du diese Dinger so unbeirrt essen?"

Ich zuckend grinsend mit den Schultern. „Das sind die Besten", nuschle ich.

Mom schüttelt sich kurz und legt ihre Hand auf meinen Unterarm. „Können wir jetzt über Simon reden?"

Seufzend atme ich aus und lehne meinen Kopf nach hinten gegen das Sofa.

„Du hast Angst." Es ist keine Frage, sie stellt es vielmehr fest.

Natürlich, sie ist meine Mom. Sie kennt mich besser als jeder andere. Teilweise sogar besser als ich mich selbst. Dass ich ein Teenager bin, ändert für sie rein gar nichts an dieser Tatsache.

Ich presse meine Lippen aufeinander und blinzle mehrmals hintereinander, damit ich nicht direkt losheule. „Ich ... ich ..."

Fuck, ich kann nicht mal in Worte fassen, wovor ich eigentlich Angst habe! Eigentlich müsste ich total aus dem Häuschen sein, dass Simon Donovan Interesse an mir zu haben scheint.

Aber ich denke, genau das ist mein Problem. Vorher habe ich ihn nur aus der Ferne angehimmelt. So wie Daphne Heath Ledger vergöttert. Und irgendwie war es immer klar für mich, dass es so bleiben wird. Ich bin noch nicht mal davon ausgegangen, dass er überhaupt auf Jungs stehen könnte, geschweige denn auf mich!

„Eric", flüstert meine Mutter und zieht mich in eine Umarmung. „Es wird alles gut."

Ich drücke sie fest an mich und atme ihren vertrauten Geruch ein. „Ich hab Angst, dass er mir das Herz bricht", presse ich erstickt hervor.

Sie löst sich wieder von mir, legt ihre Hände aber an meine Wangen und blickt mir eindringlich in die Augen. „Ich denke nicht, dass er das vorhat, mein Schatz." Ihr Daumen wischt eine winzige Träne von meiner Wange und sie lächelt warmherzig.

Ich atme tief durch und lehne mich zurück, so dass ihre Hände sanft nach unten gleiten. So kann ich auf jeden Fall besser atmen. „Vor hat er es wahrscheinlich nicht, aber ..." Ich seufze.

Mom mustert mich fragend. „Aber?"

„Mom, er weiß wahrscheinlich nicht mal, dass er schwul ist", jammere ich. „Was, wenn er plötzlich merkt, dass er nur ..." Verzweifelt werfe ich die Hände in die Luft. „Keine Ahnung! Es mal ausprobieren will. Und dann stellt er fest, dass er es voll eklig findet oder so."

Sie zieht ihre Augenbrauen zusammen und verschränkt die Arme vor der Brust. „Okay, warst du schon mal verknallt?"

„Was?" Ich runzle verwirrt die Stirn.

Was soll das jetzt?

„Warst du schon mal verknallt?", wiederholt sie.

Ich rolle mit den Augen. „Mom, du weißt, dass ich seit Ewigkeiten in Simon verknallt bin."

Sie starrt mich an und lacht, ehe sie den Kopf schüttelt und mit den Händen herumfuchtelt, als wollte sie die Frage nochmal löschen. „Okay, anders gefragt."

Ich betrachte sie misstrauisch und frage mich kurz, ob das Gummitier doch zu sauer für ihr Hirn war.

„Erinnerst du dich an Daphne und diesen Liam?"

„Ja?", frage ich langgezogen.

„Da hast du es! Sie hat ihn so angehimmelt und als er ihr die Zunge in den Mund gestopft hat, war es vorbei mit der Liebe!" Triumphierend ballt sie ihre Hand zur Faust.

Okay, keine sauren Gummis mehr für meine Mutter.

Ich räuspere mich. „Mom, dir ist klar, dass diese Unterhaltung gerade komplett in die falsche Richtung läuft, oder?"

Wild schüttelt sie den Kopf, ihre kurzen, braunen Haare flattern lustig dabei. „Ich will damit sagen, mein Schatz, dass dir das immer passieren kann." Sie greift meine Hände. „Es hat nichts damit zu tun, ob man in einen Jungen oder ein Mädchen verliebt ist. Das ist einfach das Risiko. Du weißt nicht, ob du es magst, bis du es ausprobierst. Für Simon gilt das Gleiche, ebenso wie für dich. Und es hat auch nichts mit Homo-, Hetero- oder irgendeiner Sexualität zu tun. Manchmal klickt es und manchmal eben nicht."

Mit großen Augen starre ich sie an. Ich weiß gar nicht, was ich darauf erwidern soll.

Sie lächelt und drückt meine Hände. „Außerdem solltest du vielleicht einfach vom besten Fall ausgehen. Nämlich, dass es einfach klappt."

Jetzt rollt mir doch noch eine blöde Träne über die Wange und ich wische sie trotzig mit dem Handrücken weg, obwohl ich lächeln muss.

Seit wann bin ich so eine Dramaqueen? Oh richtig, seit mein Bruder kurzzeitig von den Toten zurückkehrte und mir diese ganze Sache eingebrockt hat.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich allein Shawn diese ganze Situation zu verdanken habe.

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