31 - Alles bleibt unter uns

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Mit großen Augen starre ich Simon Donovan an, der verlegen nach unten blickt und mit seinen Fingern am Reißverschluss seiner dicken Jacke herumfummelt.

„Warum sollte ich das tun?", frage ich zurück und hoffe, dass er das schnelle Pochen meines Herzens nicht hören kann. In meinen Ohren ist es jedenfalls unnormal laut.

Simon zuckt nur mit den Schultern, schaut aber nicht zu mir auf.

Ich atme tief durch und lege vorsichtig meine Hand auf seine Schulter. „Zunächst einmal könntest du nichts dafür und außerdem ist es doch wichtig, wie wir uns verhalten und nicht wie viel Geld wir haben."

Langsam hebt er seinen Kopf und mit Erschrecken stelle ich fest, dass seine hübschen blau-grünen Augen mit Tränen gefüllt sind. „Und ... wenn ich doch etwas dafür könnte?"

Ich ziehe fragend meine Augenbrauen zusammen. „Wie solltest du?"

Er atmet einmal zittrig ein und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. „Das bleibt unter uns?"

„Alles bleibt unter uns, Simon", erkläre ich aufrichtig. „Nicht mal Daphne erfährt davon, dass wir heute gemeinsam unterwegs waren, wenn du das nicht möchtest."

Er schüttelt den Kopf und winkt ab. „Das macht mir nichts aus. Ich ... ich fand es wirklich schön." Ein kleines Lächeln erscheint auf seinem Gesicht und unwillkürlich macht mein Herz einen Hüpfer.

„Fand ich auch", erwidere ich ebenfalls lächelnd.

Simon holt einmal tief Luft und umfasst entschlossen das Lenkrad, als würde er eine Art Anker benötigen. „Meine Mutter ist ... weg."

„Weg?"

Wow, Eric. Eine Meisterleistung in der Gesprächsführung, die ihresgleichen sucht!

Er nickt. „Mein Dad hat vor einem Jahr seinen Job verloren und sie haben sich nur noch gestritten. Sie war schon immer sehr ... oberflächlich und darauf bedacht, wie sie und wir in der Gesellschaft dastehen."

„Hat sie selbst nicht gearbeitet?"

Simon schnaubt abfällig und schüttelt den Kopf. „Natürlich nicht. Wie hätte das denn ausgesehen? Sie hat stattdessen ständig Geld ausgegeben und ich bekam ihre Streits natürlich mit, wenn er ihr sagte, dass sie sich etwas einschränken müsste, bis er etwas Neues hätte.

Einen Nachmittag kam ich früher von der Schule nach Hause und da stand ein neues Auto vor der Tür. Ich bin total ausgeflippt, weil sie am Abend zuvor noch darüber gestritten hatten, wie viel Rückerstattung es gibt, wenn sie den Sommerurlaub stornieren würden.

Also habe ich sie angeschrien, dass sie nicht einfach losgehen und ein neues Auto kaufen kann, wenn wir gerade nicht über die Runden kommen und sie sagte einfach nur: ‚Als dein Vater und ich noch zu zweit waren, hatten wir solche Probleme nicht.'"

Ich schnappe entsetzt nach Luft, während eine einzelne Träne über Simons Wange läuft.

„Sie ist nach oben gegangen, hat ein paar Koffer gepackt und ist einfach mit dem Auto weggefahren. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe", flüstert er.

„Oh Simon", seufze ich. „Das ... das ist furchtbar. Was ... was hat dein Dad dazu gesagt?"

Wieder schüttelt er den Kopf und wischt sich trotzig über die Wange. „Ich hab ihm gesagt, dass sie schon weg war, als ich nach Hause kam. Ich konnte es ihm nicht erzählen. Er ließ alle Kreditkarten sperren, aber sie hatte noch Zugriff auf ihr gemeinsames Konto und es dauerte mehrere Tage, bis er ein Neues eröffnet hatte und das wenige übrige Geld für uns sichern konnte."

„Scheiße", ist alles, was mir einfällt, denn ich weiß, dass ich nichts tun oder sagen könnte, das es besser machen könnte.

„Wir verkauften alles, was sich irgendwie zu Geld machen ließ", redet er weiter. „Möbel, elektronische Geräte, sowas eben. Ich schlug vor, dass ich Nebenjobs in der Stadt annehmen könnte, im Supermarkt oder auf einem Bauernhof, aber er wollte nicht, dass die Leute mitbekommen, dass–" Seine Stimme bricht und er schluchzt einmal leise.

„Dass ihr kein Geld habt und deine Mutter einfach abgehauen ist", vervollständige ich seinen Satz.

Simon nickt und beißt sich auf die zitternde Unterlippe. „Mein Dad hatte vorher einen angesehen Job in diesem Immobilienbüro, aber die Firma hat sich verkleinert und ihm einfach gekündigt. Er wollte auf gar keinen Fall plötzlich für seine ehemaligen Kunden im Supermarkt die Einkäufe verräumen oder deren Hecken schneiden."

„Das verstehe ich."

„Also sucht er uns Jobs in weiter entfernten Städten, wo uns keiner kennt, wir aber trotzdem genügend Geld verdienen, um über die Runden zu kommen", beendet er seine Erzählung. „Das, was dein Dad da macht und auch dass ihr so verschwiegen damit umgeht und so vielen Leuten helft ..."

Ich streichle beruhigend über seine Schulter. „Simon, ich kann gern mit meinem Dad reden, dass ihr auch auf die Liste–"

Abrupt reißt er seine Hände in einer abwehrenden Haltung nach oben. „Nein! Mein Dad würde ausrasten, wenn er wüsste, dass ich mit jemandem darüber geredet habe!"

Seufzend nicke ich und widme mich wieder meinem Papierfetzen.

Simon atmet erleichtert aus und fährt sich mit den Händen durch seine kurzen, braunen Haare. „Es hat einfach schon total gut getan, mit jemandem darüber zu reden. Danke, Eric."

„Jederzeit", erwidere ich mit einem halben Lächeln. „Aber du kannst mir nicht verdenken, wenn ich dir jetzt helfen möchte. Natürlich geheim."

Er lacht leise und schüttelt den Kopf, während er den Zündschlüssel im Schloss herumdreht und damit den Motor des Autos startet. „Das Reden hat mir schon total geholfen. Wirklich. Es ist komisch, ich bin heute früh nach diesem total absurden Traum aufgewacht mit diesem selbstgeschriebenen Zettel neben meinem Bett, ich kann mich irgendwie so gar nicht an die letzten zwei Tage erinnern, aber ..." Er zuckt mit den Schultern und schenkt mir dieses Lächeln, das mein Innerstes zu Pudding werden lässt. „... ich bin total froh, dass es so gekommen ist."

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