15 - Stell dich hinten an

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Nervös reibe ich meine Handflächen aneinander, nachdem ich meine Zimmertür verschlossen habe. „Bist ... bist du noch?"

Simon lacht und zwinkert mir zu.

Ich kann nicht verhindern, dass mein Herz dabei einen kleinen Hüpfer macht.

„Meinst du nicht, es wäre etwas merkwürdig, wenn ich Simon wäre und einfach so abends durch dein Fenster hereinklettern würde?" Er schaut sich interessiert in meinem Zimmer um. „Wow, du hast umgeräumt."

Ich räuspere mich und zucke mit den Schultern.

Zugegeben, merkwürdig und unerwartet wäre es auf jeden Fall, aber nicht unerwünscht ...

Hilfe, was stimmt denn nicht mit mir? Mein Bruder steckt in diesem Körper!

Shawmon, wie ich ihn wieder in meinem Kopf nenne, steht auf und schlendert neugierig durch mein Zimmer. Gelegentlich nimmt er Dinge in die Hand, die er auf meinem Schreibtisch oder in meinem Regal sieht, legt sie aber wieder zurück an ihren Platz.

„Ich kann verstehen, dass du auf ihn stehst", sagt er gedankenverloren.

Ich reiße erschrocken die Augen auf. „Was?"

Er grinst mich an und fährt mit den Händen über seinen Körper. „Er sieht echt gut aus. Vor allem unter der Dusche, da–"

Entsetzt schlage ich mir die Hände an die Ohren und kneife meine Augen zu. Dass diese Worte von meinem Bruder kommen, fühlt sich auf jede erdenkliche Weise falsch an.

Mit etwas Verzögerung sickert ein weiterer Gedanke in meinen Kopf. „Warte." Ich nehme die Hände runter und schaue ihn direkt an. „Du ... du bist schwul?"

Shawmon lacht und schüttelt den Kopf. „Nee, ganz bestimmt nicht. Aber dass die Ladys ... und du ... und wer weiß noch ... auf ihn abfahren, kann ich verstehen. Meinst du, ich hätte in der Montur eine Chance bei Daphne? Wann ist die eigentlich so hot geworden?"

Ich kann ihn nur mit offenem Mund anstarren. Ist das jetzt wirklich sein Ernst?

„Stell dich hinten an", gebe ich trocken zurück.

Wissend nickt er und lässt sich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. „Kann ich verstehen, dass die Typen ihr scharenweise nachlaufen."

Angewidert schüttle ich den Kopf, um den Gedanken daran, dass mein großer Bruder – tot oder nicht – auf meine beste Freundin steht und sie hot findet, zu vertreiben.

„Was tust du überhaupt hier?", lenke ich das Thema in eine hoffentlich für mich angenehmere Richtung. „Und warum hast du nicht einfach geklingelt?"

Simons Gesicht wird urplötzlich traurig und er weicht meinem Blick aus. „Ich ... ich denke nicht, dass–"

Sofort tut mir meine Unbedachtheit leid. Natürlich, wie dumm von mir.
„Mom und Dad."

Er nickt langsam. „Ich denke nicht, dass ich ihnen einfach so gegenüberstehen könnte, ohne–"

Beim letzten Wort bricht seine Stimme und ich gehe vorsichtig zu ihm, um meine Hand auf seine Schulter zu legen. „Tut mir leid, ich hab nicht nachgedacht."

Sehnsüchtig blickt er zu meiner Zimmertür, seine Augen feucht glänzend. „Sind sie ..."

Ich nicke. „Ja, sie sind unten und schauen fern. Wie jeden Abend. Mom ist wahrscheinlich eingeschlafen. Relativ normal."

Shawmon atmet tief durch. „Und ... mein Zimmer?"

Ich schlucke und gehe zurück zu meinem Bett, auf das ich mich fallen lasse. „Noch genauso wie nach deinem Auszug. Dein Bett und dein Schrank sind noch da, aber Mom hat ihre Nähmaschine und dieses ganze DIY-Zeug dort aufgebaut."

Eine betretene Pause tritt ein, in der keiner von uns etwas sagt.

„Aber sie hat es seitdem nicht wieder benutzt", füge ich leise hinzu.

Shawmon wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und auch in meiner Kehle steckt ein trockener Brocken, gegen den ich verzweifelt schlucke.

Schließlich räuspert er sich und reibt mit den Handflächen über seine jeansbedeckten, muskulösen Oberschenkel. „Was genau weißt du eigentlich so über Simon, Eric?"

Ich setze mich auf und runzle meine Stirn.

Kommt jetzt die Aufklärung seiner kryptischen Nachrichten?

„Galante Themenwechsel waren schon immer dein Ding." Ich rolle amüsiert mit den Augen. „Nun, ich weiß, dass er irgendwo im Westteil der Stadt lebt, in einem dieser hübschen Vorstadthäuser, die da ganz neu gebaut wurden. Ich glaube, er ist Einzelkind und er spielt im Footballteam, aber nicht als Quarterback. Keine Ahnung, welche Position, ich kenne mich mit Football überhaupt nicht aus. In der Schule ist er relativ gut, denke ich? Wir haben dieses Jahr keine gemeinsamen Kurse."

Shawmon nickt, bedeutet mir aber mit der Hand fortzufahren.

„Er hat einen Führerschein, aber ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob er ein eigenes Auto hat. Auf jeden Fall kommt er manchmal mit einem Auto zur Schule, aber nicht immer", grüble ich weiter. „Sein Vater arbeitet irgendwas mit ... hm ... Immobilien oder sowas? Ich glaube, der hatte mal dieses Immobilienbüro in der Innenstadt, aber ist jetzt irgendwo anders. Zumindest steht das Büro jetzt leer. Seine Mutter? Keine Ahnung."

„Noch mehr?"

Ich schüttle den Kopf. „Ich schätze, das war es."

Er lehnt sich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und fährt mit seinen großen Händen durch seine braunen Haare, während er laut und tief durchatmet.

„Shawn, du machst mir Angst", sage ich ehrlich und betrachte ihn erwartungsvoll. „Hast du irgendwas über Simon rausgefunden, das ihn in Schwierigkeiten bringt? Er dealt nicht mit Drogen oder sowas, oder?" Hektisch stehe ich auf und beginne, durch mein Zimmer zu tigern. „Ich habe ihn noch nicht mal mit einer Zigarette gesehen und auf der Party hat er, wie du gesagt hast, auch keinen Alkohol getrunken. Es sind keine Anabolika, oder? Ich meine, Ryan würde ich sowas zutrauen, aber Simon? Der sieht eher so aus, als würde er einfach gut und oft trainieren."

„Nein!", unterbricht er mich und reißt ertappt die Augen auf, als er selbst bemerkt, wie laut er gerade war. „Nein", zischt er. „Keine Drogen."

Erleichtert lege ich mir die Hand über die Brust und atme aus. „Aber ... was ist es dann?"

Shawmon leckt sich mit der Zunge über die Lippen. „Du darfst es keinem sagen, okay? Ich denke nicht, dass es überhaupt irgendjemand weiß."

Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an.

Was zur Hölle ist es, was er mir sagen will?

Ein plötzliches Klopfen an der Tür lässt uns beide zusammenzucken.

„Eric?", ruft unser Vater aus dem Flur. „Ist alles okay bei dir?"

Shawmon beißt sich auf die zitternde Unterlippe und ich räuspere mich, ehe ich rufe: „Ja, Dad. Alles cool. Ich telefoniere mit Daphne."

„Okay", kommt es gedämpft zurück. „Mach nicht ganz so laut, ja?"

„Okay, Dad!"

Als seine Schritte sich wieder entfernen, blickt Shawmon mich fragend an und ich winke ab. „Mom hat ihn bestimmt geschickt, weil sie nicht immer wie ein Helikopter wirken will."

Er lächelt und nickt verständnisvoll, ehe er die Hände aneinanderreibt und sich vielsagend räuspert, um mir Simons Geheimnis zu verraten.

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