43 - Keine Raupen oder verlorene Gliedmaßen

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Simon scheint es ähnlich zu gehen wie mir, denn er verdreht nachdenklich die Augen, während sein Kopf weiterhin auf seine Hand gestützt ist. „Und ... hast du wieder irgendwelche merkwürdigen Dinge geträumt? Raupen, die dir Gliedmaßen abbeißen oder ähnliches?"

Ich lache laut auf und schüttle den Kopf. „Dass du dir das allen Ernstes gemerkt hast!"

„Na hör mal", kichert er. „Sowas Spektakuläres kann man doch nicht vergessen."

„Keine Raupen oder verlorene Gliedmaßen." Grübelnd ziehe ich die Augenbrauen zusammen. „Ich glaube, ich habe tatsächlich gar nichts geträumt oder zumindest kann ich mich nicht erinnern. Du?"

Simon kaut gedankenverloren auf seiner Lippe, sagt aber nichts. Stattdessen huscht sein Blick hin und her, nur nicht zu mir.

Neugierig betrachte ich ihn, meine Hände noch immer hinter meinem Nacken verschränkt. „Du weißt, dass so ziemlich nichts meine Raupengeschichte in Sachen Peinlichkeit toppen könnte, oder?"

Er grinst und verzieht skeptisch sein Gesicht. „Da wäre ich mir nicht so sicher."

Ohne nachzudenken stupse ich ihn seitlich mit meinem Knie an und kichere. „Jetzt mach es nicht so spannend. Ich verspreche auch, dass ich nicht lache."

Und vollkommen aus dem Nichts heraus beugt Simon Donovan sich zu mir nach unten und legt seine weichen Lippen auf meine.

Es ist nur ein klitzekleiner Moment, fast wie ein Wimpernschlag und doch ist das Gefühl, das mich durchfährt, das komplette Gegenteil von dem, das ich hatte, als Shawn in seinem Körper steckte. Mein Puls rauscht so laut in meinen Ohren, dass ich befürchte, davon taub zu werden und ich habe einfach aufgehört zu atmen.

Er hebt seinen Kopf nur ein kleines Stück, seine Augen geweitet, als wäre er selbst geschockt über seine spontane Handlung, als hätte er selbst nicht damit gerechnet, dass er das tut.

Und als wäre diese Art der Kurzschlusshandlung ansteckend, lege ich meine Hand in seinen Nacken und hebe meinen Kopf, um ihm in der Mitte zu begegnen und ihn erneut zu küssen.

Die Berührung ist so zart und vorsichtig und doch entfacht sie in meinem Inneren ein wahres Feuerwerk. Meine gesamte Haut prickelt bis in meine Fingerspitzen, die sanft über die weichen Haare in seinem Nacken streichen, bis in meine Zehen, die sich in meinen Schuhen zusammenrollen.

Ich weiß nicht, wie lange dieser Kuss dauert, aber er dauert länger an als der vorherige und erst als meine Lungen fast zerbersten, weil ich keinen Sauerstoff mehr bekomme, lasse ich meinen Kopf wieder nach unten sinken und unterbreche so unsere Verbindung.

Hilfe, mir ist ganz schwindelig. Ich kann mich nicht erinnern, schon jemals in meinem Leben so mutig gewesen zu sein. Es war nur eine Sekunde, nur eine winzige Handlung, aber für mich selbst war es ... alles. Ich habe damit praktisch meinen Lebenstraum erfüllt. Mein erster Kuss. Mein erster echter Kuss. Und das mit Simon Donovan.

Ich starre in seine blau-grünen Augen auf der Suche nach einer Reaktion. Irgendeiner Reaktion.

Und bevor meine Panik und Zweifel eine Chance haben, sich vollständig in meinen Gedanken auszubreiten, aus wie vielen Gründen das gerade die dümmste Idee meines Lebens war, strahlt mir Simons schönstes Lächeln entgegen.

Er lächelt! Er hat mich gerade geküsst und dann habe ich ihn zurückgeküsst und er lächelt!

Seine Zunge befeuchtet seine Lippen, von denen ich jetzt weiß, wie weich sie sind. „Ich ... hm ... ja, also sowas in der Art hab ich geträumt", murmelt er heiser.

Ich runzle die Stirn und kann noch immer nur auf seinen schönen Mund starren. „Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen neidisch bin, dass du sowas träumst."

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