2 - Vielleicht solltest lieber du in den Schrank

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„Ich hole euch gegen elf ab, okay?", fragt meine Mom wenig später, als sie ihr kleines Auto vor Florences Haus hält.

Während ich bereitwillig nicke und ein zustimmendes „Hm" von mir gebe, verzieht Daphne schmollend ihren Mund und lehnt sich nach vorn, den Hundeblick bis zur Perfektion aufgesetzt. „Geht auch Mitternacht, Mrs. T.? Wissen Sie ... Simon wird auch dort sein."

Die braunen Augen meiner Mutter betrachten mich eindringlich durch den Rückspiegel, ihre rechte Augenbraue ist interessiert erhoben. „Simon Donovan?"

Sofort schießt mir die Hitze in die Wangen und ich bereue es ein wenig, dass unser Verhältnis so gut ist, dass sie sogar über meinen heimlichen Crush Bescheid weiß. In der Hoffnung schnell die Flucht ergreifen zu können, greife ich nach dem Türöffner und stürze schon fast aus dem Auto.

Beinahe zeitgleich ertönt das Surren des Beifahrerfensters, als es nach unten gefahren wird und meine Mutter ruft: „Vielleicht redet ihr auch mal miteinander, Eric. Ich hab gehört, dass sowas ganz gut helfen soll."

Daphne klettert kichernd aus dem Auto und ich schieße ihr wieder einmal einen Todesblick zu.

„Bis später, Mom!", rufe ich in einem Ton, der ihr bedeuten soll, dass unsere Unterhaltung beendet ist.

„Wir sehen uns um Mitternacht!", schallt es aus dem Auto zurück, ehe der Motor gestartet wird. „Und ich will gute Neuigkeiten hören!"

Noch bevor ich darauf etwas erwidern kann, fährt sie bereits die Straße entlang und ich blicke den Rücklichtern ihres blauen Kleinwagens nach.

Daphne schiebt ihre kleine Hand in meine und lehnt sich an meinen Arm. „Gern geschehen", flötet sie und ich knurre lediglich leise.

Ich werde mich ganz sicher nicht für eine zusätzliche Stunde auf einer Party bedanken, auf die ich eigentlich gar keine Lust hatte.

Simon Donovan hin oder her.

Sie blickt zu mir auf und knufft mich in die Seite. „Komm schon, Eric. Das wird super."

Ich rolle mit den Augen und schaue zu dem Haus, aus dem gedämpft Musik zu hören ist. „Yay", mache ich missmutig. „Einen ganzen Abend aus der Ferne schmachten und ignoriert werden. Kann's kaum erwarten."

Daphne löst sich von mir und rümpft beleidigt ihre Nase. „Du könntest ihn auch einfach ansprechen. Aber fein, bleib hier draußen stehen und schmoll vor dich hin, ich gehe jedenfalls rein, statt mir hier den Arsch abzufrieren." Schwungvoll dreht sie sich auf ihren Chucks um und geht mit schnellen Schritten auf das Haus zu.

„Daph, warte!", rufe ich und schließe schnell zu ihr auf.

Sie würdigt mich keines Blickes, aber als ich meinen langen Arm um ihre schmalen Schultern lege, kann ich ein winziges Schmunzeln auf ihren Lippen entdecken.

Florences Eltern sind offenbar wirklich nicht anwesend, denn jeder Raum ihres Hauses scheint mit irgendwelchen Teenagern aus unserer Highschool belegt zu sein. In der Küche mixt eine Gruppe irgendein gruseliges, alkoholisches Getränk mit viel zu vielen Früchten in einer gigantischen Salatschale, im Wohnzimmer spielen ganze acht Leute gegeneinander auf einer Konsole Autorennen, während sie lautstark von den Umstehenden angefeuert werden.

„Hey!", begrüßt uns Florence, die beinahe so groß ist wie ich und sich ihren viel zu langen Pony aus den Augen schüttelt. „Cool, dass ihr da seid."

„Danke für die Einladung", begrüßt Daphne sie. „Sollen wir mit irgendwas helfen?"

Florence winkt ab. „Nein, habt einfach Spaß und passt vielleicht nur auf, dass niemand– hey, Tyler!" Sie wendet sich rasch von uns ab und eilt in einen angrenzenden Flur. „Ziehst du gefälligst den Mantel meiner Mutter wieder aus!"

Daphne dreht sich kichernd zu mir, während ich noch immer skeptisch die Szenerie betrachte.

Da ich keinen Alkohol trinke, ahne ich schon, dass ich dieses ganze Getummel und Gewusel nur bedingt lange aushalten werde.

„Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Eric." Daphne stellt sich auf die Zehenspitzen, legt ihre kleinen Hände an meine Wangen und zieht meine Mundwinkel mit ihren Daumen auseinander. „Lächeln!"

„Awww!", ruft da jemand und als ich meine Augen in die Richtung drehe, entdecke ich Gloria, die den gleichen Kunstkurs wie Daphne und ich besucht. Noch bevor ich mich rechtzeitig abwenden kann, blendet mich der Blitz ihres Telefons und ihr breites Grinsen kommt dahinter zum Vorschein. „Ihr wärt einfach das süßeste Pärchen, ihr beiden", seufzt sie mit ihrem mexikanischen Akzent und hält sich wie ein Fangirl ihr Handy an die Brust.

Ich schnaube genervt und auch Daphne lacht laut auf. „Ich bin leider überhaupt nicht Erics Typ, vielmehr bin ich das genaue Gegenteil seines Beuteschemas."

Unsanft trete ich auf ihren Fuß, um ihr zu signalisieren, dass sie besser still sein sollte und zu meinem Glück klappt ihr Mund auch ruckartig zu.

Gloria betrachtet unseren Austausch mit ihren dunklen Augen und kichert amüsiert. „Ich würde euch trotzdem shippen", seufzt sie und dreht sich zur Treppe, die ins obere Stockwerk des Hauses führt, als jemand ihren Namen ruft. „Bin gleich da!" Sie wendet sich wieder uns zu und wackelt geheimniskrämerisch mit ihren schwarzen Augenbrauen. „Kommt ihr gleich mit hoch?"

Ich hebe skeptisch eine Augenbraue, denn ihr Blick will nichts Gutes verheißen. Meine Hand umfasst die von Daphne, denn ich möchte auch nicht, dass meine beste Freundin mich hier einfach stehenlässt.

Daphne schüttelt ihren Lockenkopf und drückt meine Hand einmal kurz, um mir zu signalisieren, dass sie nicht von meiner Seite weichen wird. „Ich bin noch ganz groggy von der Orgie letzte Woche", rollt sie überdramatisch mit den Augen.

Gloria schaut einen Moment verdutzt, ehe sie den Kopf in den Nacken wirft und laut loslacht. „Orgien finden da auch nicht statt. Aber spannend wird es trotzdem." Damit zwinkert sie uns geheimnisvoll zu und rennt die Treppenstufen nach oben.

„Spannend, aha", mache ich trocken. „Wahrscheinlich spielen sie Flaschendrehen oder machen dieses andere alberne Ding, wo sie zwei Leute in den Schrank einsperren."

Daphne prustet los und nickt eifrig. „Ich dachte immer, das findet nur in FanFictions statt!"

Ich imitiere Glorias Zwinkern und beuge mich zu ihrem Ohr hinab. „Komm Daphne, möchtest du vielleicht mit Liam in den Schrank?", raune ich mit einem gespielten Akzent und meine beste Freundin zuckt kreischend zusammen, während ich lauthals in Lachen ausbreche.

In der siebten Klasse war Daphne unsterblich in Liam aus unserem Mathematikkurs verliebt. Sie schrieb ihm sogar kleine Zettel mit Liebesgeständnissen mit Herzchen als Punkte auf dem i. Die Liebe verflog allerdings, als er ihr im Sommercamp am Lagerfeuer vollkommen unangekündigt die Zunge in den Hals steckte.

Seitdem mache ich mir einen Heidenspaß daraus, sie damit aufzuziehen.

„Vielleicht solltest lieber du in den Schrank, Eric", kontert sie. „Und zwar mit Simon."

Meine Augen formen sich zu Schlitzen und ich will gerade meine Hände um ihren dünnen Hals legen, als mein schlimmster Albtraum wahr wird.

„Was ist mit mir?", höre ich da die Stimme aus den Träumen meiner schlaflosen Nächte hinter mir.

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