25 - Der Kaffee hier schmeckt wirklich wie Spülwasser

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„Hey Dad", begrüße ich meinen Vater, nachdem Simon und ich die Straße überquert haben und vor dem Büro stehen bleiben. Zögerlich blicke ich zwischen den beiden hin und her. „Das ist Simon Donovan. Simon, das ist mein Dad."

Mein Vater mustert den großen Jungen neben mir und ein leichtes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. „Hallo Simon. Freut mich, dich mal kennenzulernen."

Oh Gott, bitte sag nicht noch mehr.

„Hallo", erwidert Simon unbeholfen und schüttelt die Hand meines Dads. Anscheinend ist ihm das Wörtchen „mal", welches impliziert, dass er schon öfter Thema bei uns war, in der Begrüßung meines Vaters nicht aufgefallen. Oder er ist einfach nur höflich genug, es zu ignorieren.

Mein Herz klopft rasend schnell in meiner Brust und mein Mund ist ganz trocken, so unangenehm ist mir diese Situation.

„Äh ... Simon und ich haben uns zufällig unterwegs getroffen", stammle ich herum und schließe mein Fahrrad an einem Laternenmast vor dem Büro an. „Und wir sind nur das letzte Stück gemeinsam gegangen."

Ich hoffe, Simon versteht den Wink, dass er sich hier zu nichts verpflichtet fühlen muss, nur weil mein Dad gerade meinte, wir kämen genau richtig. Er scheint ohnehin einen harten Tag zu haben, was ich ihm nicht verdenken kann, denn immerhin ist er total verwirrt von seinem „Traum" und der Tatsache, dass ihm wirklich ein ganzer Tag fehlt.

„Aha", macht mein Vater und mustert Simon unverhohlen von oben bis unten.

Ich bemühe mich, ihm mit meinen Gedanken zu signalisieren, dass er den Jungen nicht so anstarren soll, doch mein Vater scheint gänzlich unempfänglich für meine telepathischen Versuche zu sein.

„Hast du vielleicht trotzdem kurz Zeit, Simon?", fragt er ihn direkt und ich muss mich zusammenreißen, mir nicht beschämt die Hand gegen die Stirn zu schlagen.

Das Schicksal will mich einfach nur foltern, anders kann ich mir das alles nicht mehr erklären.

Simon blickt unentschlossen zwischen meinem Vater und mir hin und her, seine Hände sind nun in die hinteren Taschen seiner Jeans gestopft. „Zeit für?"

Ich lache unbeholfen und greife seinen Arm, um ihn ein Stück von hier wegzuziehen. „Du kannst einfach nein sagen, okay? Ich mache das schon mit ihm, ist nicht schlimm, wenn du nach Hause gehst", murmle ich ihm zu und hoffe, dass mein Vater es damit auch gut sein lässt.

Simons Augen blicken auf meine Hand, die noch immer am Ärmel seiner Jacke hängt und ich ziehe sie erschrocken zurück.

Fuck! Ich hab ihn einfach so angefasst!

Gestern Abend, als er noch Shawn war, war das was anderes, aber jetzt ist er Simon und ich Idiot packe ihn einfach so!

„Ist ... ist kein Problem, Eric", lächelt er mich an und beinahe zeitgleich verwandeln sich meine Knie in Pudding, während er sich zurück zu meinem Vater dreht. „Kann ich irgendwas helfen, Sir?"

„Sir?", lacht mein Dad überrascht und schüttelt amüsiert den Kopf. „Mr. Thompson reicht mir vollkommen. Ich habe einige Lebensmittelspenden, die noch verteilt werden müssten. Du hast nicht zufällig einen Führerschein, Simon?"

Simon nickt lächelnd, während ich überrascht die Augen aufreiße. „Habe ich, Mr. Thompson. Sollen wir irgendwas irgendwohin bringen?"

Mein Dad kratzt sich den Nacken und nickt erleichtert. „Das würde mir enorm helfen. Der Kollege, der eigentlich dafür zuständig ist, ist die ganze Woche schon nicht zur Arbeit erschienen. Ich hätte das jetzt sonst noch gemeinsam mit Eric gemacht, aber wenn ihr zwei das übernehmen könntet, würde ich heute vielleicht sogar den Papierkram schaffen."

Vollkommen verdattert starre ich meinen Vater an.

Ist das sein Ernst?

„Dad?", frage ich verblüfft. „Bist du sicher? Soll ich sonst vielleicht Mom–"

Mein Dad schüttelt den Kopf und hebt abwehrend die Hände. „Nein, Eric. Lassen wir deine Mutter vielleicht einfach einmal ... entspannen, okay?"

Ich nicke und presse meine Lippen fest aufeinander.

Es ist nicht so, dass ich mich nicht über die Aussicht auf einen Nachmittag mit Simon Donovan in einem Auto freue, aber die Reaktion meiner Mutter auf die Tatsache, dass jemand anderes als sie oder mein Dad am Steuer sitzt, kann ich mir nur lebhaft ausmalen.

Mein Dad winkt uns lächelnd in sein Büro und ich gehe hinter Simon in den kleinen, aufgeräumten Bereich, der irgendwann vor langer Zeit mal ein Ladengeschäft war.

„Setzt euch irgendwohin", bittet uns mein Vater, während er auf seinem Schreibtisch zwischen lauter Papier und Zetteln wühlt. „Wollt ihr was trinken? Wir haben nur eine einfache Kaffeemaschine oder du holst euch schnell etwas vom Bäcker an der Ecke, Eric?"

Ich blicke zögerlich zu Simon neben mir, die Möglichkeit, nochmal schnell von hier wegzukommen und allein mit ihm reden und ihm einen Fluchtweg ermöglichen zu können, erscheint mir durchaus verführerisch.

„Danke, Mr. Thompson", überrascht mich der hübsche Junge neben mir. „Kaffee ist vollkommen fein. Haben Sie auch Milch?"

Mein Dad nickt gedankenverloren, ohne die Sucherei zwischen seinem Papierkram zu unterbrechen. „Ja, immer mit Milch."

Augenrollend bedeute ich Simon, mir in die winzige Küche zu folgen, in der gerade einmal Platz für eine Mikrowelle, eine Kühlbox, die an einer der Steckdosen angeschlossen ist, und besagte Kaffeemaschine ist.

„Du musst das nicht–", murmle ich, doch er schüttelt wild den Kopf, während seine blau-grünen Augen mich aufmerksam ansehen.

„Ich möchte aber gern. Ich ... es klingt komisch, aber ich kann jetzt nicht nach Hause." Er senkt den Blick. „Und dieser Traum ..."

„Steckt dir immer noch in den Knochen?", vervollständige ich seinen Satz, woraufhin er zustimmend nickt.

Auch wenn er sich anscheinend nur an Bruchstücke erinnern kann oder mir nicht alles erzählt hat, weiß ich vermutlich am allerbesten, wie es ihm gerade geht.

Ich lächle ihn aufmunternd an und greife nach der gläsernen Kaffeekanne. „Okay, aber ich muss dich warnen."

Neugierig hebt er den Kopf und blickt mich skeptisch an.

„Der Kaffee hier schmeckt wirklich wie Spülwasser. Das wäre deine Chance, dass wir uns doch beim Bäcker oder unterwegs was holen."

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