E-Mail an Herrn "Ich-will-aber"

45 2 0
                                    

Hallo Papa,

Ich hab noch gehört, dass du nicht verstehst, warum ich nicht mit dir reden will. Was? Das verstehst du nicht? Sag mal, stellst du dich so dumm oder bist du's wirklich?! Ich hab so viele Gründe, warum ich nicht mit dir reden will. Soll ich mal anfangen?

Zu aller erst hast du damals, als ihr noch nicht geschieden wart, immer wieder gesagt, dass du uns verlässt, wenn ich mich weiterhin so benehme. Ich weiß nicht, was ich damals getan hab. Verdammt, ich war erst 3. Und dann bist du wirklich abgehauen. Das saß.

Dann hast du ewig lange keinen Kontakt haben wollen. Du hast mich ignoriert. Als hättest du kein Kind.

Irgendwann kamst du wieder an, da war ich 6 oder so. Hmm, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, aber Mama hat erzählt, dass es sogar so weit kam, dass du hier wieder eingezogen bist und ihr wieder zusammen wart. Irgendwann warst du dann wieder weg, weil es zwischen euch einfach nicht funktioniert hat. Dann sollte ich mal 'ne Nacht bei dir sein. Ich hab die ganze Nacht geschrien, weil ich weg wollte. Versteh das jetzt nicht falsch, ich hab auch damals schon keine Probleme gehabt, woanders zu schlafen und dabei von meiner Mutter getrennt zu sein. Es lag an dir. Ich wollte nicht bei dir sein. Bei dir und deiner damaligen Schnalle.

Danach war der Kontakt dann wieder schlechter. Du hast dich einen Dreck um mich geschert.

Manchmal hast du angerufen. Ein Mal, daran erinner ich mich noch viel zu gut. Da war ich .. hmm .. 12? Da hast du dich nach meinem Zeugnis erkundigt. Weil es so gut war, hattest du mir versprochen, mit mir für 200 Euro shoppen zu fahren. Das war für mich damals eine ordentliche Summe. Naja, 200 Euro sind für mich immer noch viel Geld. Du hast den Tag immer wieder verschoben. Immer und immer wieder. Bis wir dann mal zusammen bei 'ner Kundin waren. Der hat meine Mutter dann die Geschichte erzählt und die hat dir die 200 Euro vom Lohn abgezogen und mir gegeben. Und das war 2 Jahre später. 2 verdammte Jahre später. Und dir tun 200 Euro weniger nun absolut gar nicht weh. Du hättest genügend Geld, um mit mir einmal shoppen zu gehen. Aber nicht für mich, ich weiß.

Dann, als ich 13 wurde, warst du wieder ganz heiß drauf, mich zu sehen. Naja, du konntest ja auch schon mit mir angeben. Ich ging ja schließlich auf's Gymnasium. Worauf du natürlich ungemein stolz sein konntest, weil du ja extrem viel dafür getan hast. Nämlich gar nichts.

Und da, wo du bist, sind sofort Probleme. Ich weiß nicht, wie du das machst, aber du hast nie Geld gehabt. Du verdienst so verdammt viel, aber hast nie Geld. Du scheinst es mit vollen Händen auszugeben, sobald du etwas in der Hand hast. Aber das ist nicht alles. Du bezahlst keine Rechnungen. Du bezahlst nichts. Weder deine Arbeiter, die dadurch nach nur 3 Monaten aufgeben, noch die Miete. Eben gar nichts. Du hast auch meine Mutter nie bezahlt, als sie bei dir ausgeholfen hat. Weißt du, was für Geldprobleme wir dadurch hatten? Und meine Mutter war so dumm und ist immer wieder zu dir losgefahren, auch wenn sie kein Geld dafür gesehen hat. Du hast sie so lange überredet, hast ihr erzählt, du würdest erst nächste Woche Geld kriegen und sie würde dann sofort ihren Lohn bekommen. Hat sie aber bis heute nicht. Und in der Zeit hab ich's kaum ausgehalten. Ich hab meinen ersten Alkohol getrunken, Wodka-Pfeffi- Mische, sehr zu empfehlen. Und danach hab ich oft getrunken, fast jedes Wochenende. Hab bemerkt, dass man auch schon mit 13 Bier kriegt, wenn man genügend Selbstbewusstsein heuchelt. Nur so konnte ich dich und die Geldprobleme vergessen, weißt du?

Und dann hast du wirklich den Vogel abgeschossen. Wirklich. Stephan hat dir alle mögliche Scheiße über mich erzählt, er wollte sich nur bei mir rächen, weil ich mich nicht noch einmal mit ihm eingelassen hab. Und du hast ihm Wort für Wort abgenommen. Sag mal, hast du echt geglaubt, dass ich morgens vor der Schule saufe? Dass ich jeden Kerl in der Umgebung in meinem Bett hatte? Und dafür Geld genommen hab? Tut mir leid, wenn du wirklich so blöd warst. Aber du kanntest mich schließlich eigentlich auch gar nicht. Und weil das mit mir ja nicht so weitergehen konnte, wolltest du mich auf 'n Internat auf der anderen Seite Deutschlands schicken. Ja, auf ein Internat. Bloß nicht zu dir. Sonst hättest du ja den Stress an der Backe. Du hast nicht einmal gefragt, ob die Dinge, die Stephan dir aufgetischt hatte, stimmten. Und das war dein Fehler. Seit dem bist du unten durch. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel ich in der Zeit geheult hab. Alle erzählten mir, dass du mich nicht einfach abschieben kannst, doch das kam bei mir nicht an. Ich hatte nur Angst. Ich hatte so viel Angst, dass ich mich lieber umbringen wollte, als auf dieses tolle Internat zu gehen.
Du hast mich damit so weit getrieben, dass ich mich umbringen wollte, wenn ich umziehen gemusst hätte. Ich hatte meine Abschiedsbriefe in meinem Kopf schon hunderte Male geschrieben. Ich wollte mir die gesamten Arme aufschneiden, von oben bis unten, damit ich auch jeden kleinsten Ramus meiner Arterien und Venen getroffen hätte. Ich hätte in der Badewanne gelegen, dabei Musik gehört. Hätte einen Brief für Mama in den Flur gelegt, dass sie lieber nicht ins Bad gehen sollte. War alles ziemlich gut geplant, dafür dass ich noch klein und dumm war.
Aber ich musste nicht weg. Ich durfte bleiben. Ich hab mein Leben seit dem mehr genossen als zuvor. Ich bin bei der Kirche gelandet. Habe gelernt, wie das ist, ohne Vater. Denn schon da bist du für mich nicht mehr mein Vater gewesen. Ich hab bei anderen gesehen, wie Väter sich kümmern, auch wenn die Eltern geschieden sind. Sogar wenn die Eltern sich hassen. Aber das tut ihr euch ja nicht. Alle Väter haben sich besser gekümmert als du. Und deshalb und wegen der Idee des Internats warst du für mich nur noch mein Erzeuger. Und die Bezeichnung passt am besten. Wirkt abwertend, distanziert und irgendwie ziemlich spöttisch.

30 Briefe an 30 Tagen .. und FortsetzungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt