Hallo du, ich bin's nur ..

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Hallo du,

Ich denke, irgendwann wirst du dies hier lesen, die Frage ist nur wann. Aber ich hab Zeit.

Ich habe es immer noch nicht verarbeitet. Ich bin nur gerannt. Ich renne immer noch. Der ständige Kampf, so zu tun, als hätten wir uns 'nur' auseinandergelebt, ist hart genug. Ich kann nicht daran denken, es zerstört mich immer noch von innen.

Nur schlucken? Ja, schön wär's gewesen. Gott sei Dank hab ich das nicht in der Uni gelesen. Wenn ich da auf einmal anfange zu flennen, ist das nicht ganz soo geil. Denn das hab ich. Ich bin nicht so gefühlskalt wie ich es manchmal gern wäre. Ich war es mal. Aber das bin ich schon viel zu lange nicht mehr. Müsstest du eigentlich wissen, denn du gehörst zu denjenigen, die mir dieses Gefühlsgedusel beigebracht haben.

Ich denke öfter an dich, als du glaubst. Ich probiere zwar, dich zu verdrängen, aber das klappt ungefähr genau so gut wie Diabetes zu heilen. Und jetzt, wo du mich auch noch hier verfolgst, kann ich dich erst recht nicht verdrängen. Vielleicht soll ich das ja auch gar nicht. Sondern ich soll endlich abschließen oder vergeben. Ich weiß aber nicht, ob ich auch nur eines davon schaffe. Ganz zu schweigen von einer neuen Freundschaft zu dir.

Eigentlich hab ich auch gerade andere Probleme. Zwar keine großen, aber groß genug, dass ich mir darum Sorgen mache.

Ich würde so gerne die Zeit zurückdrehen und unsere Jahre noch einmal leben. Ja, auch mit all den Höhen und Tiefen. Aber ohne wär's ja auch schon fast langweilig.

Aber das kann ich nicht.

Du hast dich ja auch verändert. An deine schwarzen Haare werde ich mich einfach nie gewöhnen. Na ja, ich weiß ja nicht mal, ob sie wirklich immer noch schwarz sind.

Ich weiß eigentlich gar nichts mehr über dich. Durch diese Briefe hab ich noch ein kleines bisschen erfahren, aber meistens kam ich nicht mit, weil ich die Menschen weder kenne noch jemals von ihnen gehört hab. Ich weiß nicht, ob sie ich glücklich machen. Ich weiß nicht, ob du ihnen vertraust oder nicht.

Aber damit muss ich mich wohl in der derzeitigen Situation arrangieren.

Dann kommt Karl noch dazu. Er war nie mein bester Freund. Kurzzeitig komme ich ganz gut mit ihm aus, aber nicht auf die Dauer. Und zum Ende hin warst du nur noch bei ihm. Wenn wir uns also hätten treffen wollen, dann bei ihm. Das wollte ich einfach nicht. Vielleicht hätte ich da schon was sagen sollen. Vielleicht wär dann einiges zwischen uns anders geworden. Aber egal, denn ich hab ja geschwiegen.

Ich toleriere ihn. Er macht dich glücklich. Zumindest meinem letzten Stand nach. Und das zählt. Ich muss ihn nicht lieben, sollte ich ja wahrscheinlich auch nicht. Es ist dein Kerl und nicht meiner.

Verdammt, ich fang schon wieder an zu kratzen. Das hab ich mir nämlich angewöhnt seit .. na ja, du weißt. Ich kratze mir die Kopfhaut auf. Teilweise so sehr, dass ich richtige Stellen auf dem Kopf hab. Eigentlich geht es zur Zeit. Denn ich bin glücklich hier in Gießen. Ich hab neue Leute, eine davon ist dir ziemlich ähnlich. Also so wie du früher warst. Ich hab Abstand zu meiner Mutter. Ich hab schon fast den Ruf im Studiengang weg, die Verrückte zu sein. Ich hab also alles, was ich brauche. Und doch kratze ich mir alles auf. Seit ich wieder mal auf unserer Seite gepostet habe und du jetzt hier rumspukst. Es kommt alles langsam wieder hoch. Und zerstört mich langsam.

Ich würde gern mit jemandem drüber reden, weiß aber nicht mit wem. Über's Telefon ist kacke, also fallen alle weg, denen ich genügend vertraue. Und hier? Ich kann das noch nicht meinen neuen Leuten erzählen. Selbst Johanna nicht. Das ist die, die dir so ähnlich ist. Meinem Inder? Nein, der hat wieder seine sentimentale Phase und überlegt, mich zu heiraten, sobald er zwei Jahre lang in Deutschland ist. Man, da hast du auch alles verpasst. Er studiert ja jetzt meinetwegen in Kanada. Noch gute anderthalb Jahre. Dann sucht er sich nen Job in Deutschland. Und will mit mir zusammenziehen.

Dann hast du auch noch ganz viel mit Tim verpasst. Ja, er kleine Punker-Tim. Ich will seinen Namen hier nicht nennen, aber ich glaub, du weißt, wen ich meine. Da könnte ich dir soo viel erzählen, das würde Stunden füllen.

Ich will dir auch von Tristan und Wieland erzählen.

Dann noch über das Studentenleben. Über die teilweise echt heißen Typen hier. Über Blondi und Edward und Es und Legolas und .. oh man, es gibt hier so viele davon.

Von dem tollen Essen in der einen Mensa, von meinem kleinen Schälchen mit Pudding, das überläuft.

Oder einfach nur, dass es keine neuen Bücher mehr von Cody McFadyen geben wird.

Von der guten Band, die ich gerade gefunden hab. YouTube ist schon 'ne geile Sache.

Aber irgendwas hält mich ab, einfach alles zu erzählen oder zu schreiben. Vielleicht kommt es mit der Zeit wieder. Vielleicht werde ich aber auch nur Tim und Laura davon erzählen und mit ihnen darüber lachen.

Du warst zu unseren besten Zeiten genau die Freundin, die ich brauchte. Durch dich habe ich angefangen, meinen Pelz an den Beinen zu entfernen, Spongebob viel zu oft geguckt, VIVA lieben gelernt, bin in die Kirchenszene gerutscht und hatte jemanden, mit dem ich unter der Bettdecke furzen konnte.

Ich wünschte, wir hätten nicht so ein Ende gehabt. Eigentlich wünschte ich mir, wir hätten nie ein Ende gehabt. Aber jetzt. Tja, es sieht wohl ziemlich anders aus.

Es tut mir leid, wenn ich dich runtergezogen hab, wenn ich deine Stimmung unnötig ins negative gezogen hab, wenn du nächtelang wach warst, wenn du tagsüber abgelenkt warst, weil du an mich gedacht hast. Auch der Streit meinetwegen mit Kai tut mir leid.

Lass mich gehen, wenn es dir dann besser geht.

Vielleicht geht es mir dann ja auch wieder besser.

30 Briefe an 30 Tagen .. und FortsetzungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt