30 Briefe an 30 Tagen .. und Fortsetzung

Tag 30 - Mein Spiegelbild

Hallo Stupsi, hallo Marikiki, hallo Horst, hallo Hulk, hallo Mama,

Ihr alle seid meine Spiegelbilder. Und ihr alle gehört zu mir, wie mein richtiger Name. Eine Ansammlung von Spitznamen, auf die ich in den letzten 18 Jahren mal irgendwann gehört habe. Jeder Name hat einen Hintergrund, ich habe mir nicht einen davon selbst ausgesucht. Und ich bin auch auf alle diese Namen stolz. Die zeigen mir, dass Menschen mich mögen.

Ich kenne dich, mein Spiegelbild, ganz gut, ich weiß, was du durchlebt hast. Und dafür, muss ich sagen, hast du dich recht gut entwickelt. Du hast den Streit mit deinem Erzeuger überlebt, hast jahrelanges Mobbing in der Schule durchmachen müssen, du hast 'ne Menge falsche Freunde gehabt. Und doch bist du jetzt recht selbstbewusst. Manchmal ist seine Selbstsicherheit nur geheuchelt, aber das ist eher selten der Fall.

Du weißt, dass du nicht der schlechteste Mensch auf Erden bist. Aber auch definitiv nicht der beste. Du bist auch nicht der schönste Mensch auf Erden. Deine Narben im Gesicht, deine kleinen, schiefen Zähne, deine eigentlich zu schmalen Lippen, deine unreine Haut, deine viel zu schnell fettenden, dünnen Haare. Aber das gehört alles zu dir. Genau wie deine Art zu dir gehört. Bitte änder dich nicht. Denn deine Art mögen viele Menschen.

Ja, Menschen mögen dich. Warum? Ich kann's dir auch nicht sagen. Vielleicht mögen sie an dir, dass du loyal bist, du stehst zu ihnen, egal, was sie getan haben. Du liebst deine Freunde. Meistens bist du ehrlich zu ihnen. Menschen mögen auch, dass du konsequent bist. Kinder brauchen das. Du bringst schnell und einfach die Leute zum Lachen. Manchmal rettest du den Tag anderer Menschen, nur durch einen kleinen Spruch deinerseits. Dir fällt immer schnell ein unfreundlicher Spruch zum Kontern ein.

Aber es gibt auch Menschen, die dich hassen. Warum? Das kann ich dir sagen. Du bist zu oft sarkastisch, siehst manches zu locker, manches regt dich auf, ohne dass du sagen kannst warum. Du passt dich nicht oft der Gesellschaft an, du bist immer irgendwie anders. Manche mögen nicht, dass du so verrückt bist, immer einen fiesen Kommentar auf den Lippen hast und dass du auffällst. Du vernachlässigst manchmal deine Freunde. Und du bist nicht die Schönste. Du passt nicht in das Bild eines Mädchens, dafür fehlt einiges an Make-Up, dich stört Drecksarbeit nicht, wenn du weiß trägst und du lästerst zu wenig.

Aber es gibt jedoch Menschen, die dich als perfekt bezeichnen. Die so sein wollen, wie du, wenn sie groß sind. Und ich bin froh, dass ich so bin wie du. Denn du bist nur mein Spiegelbild. Mein zweidimensionales Abbild. Aber mit diesem Bild kann ich ganz gut leben. Auch mit dem, was vor dem Spiegel steht. Ich mag mich und ich mag mein Spiegelbild. Beides wird auch von anderen gemocht. Hoffentlich denke ich immer daran.

Tja, damit beende ich auch schon meinen Brief an dich, du Spiegelbild.

Bleib wie du bist.

Marike