20 Billy Bilski

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Tom beobachtete fasziniert, wie Przybilski beim Essen Daves Text überflog. Die Schrift war gewöhnungsbedürftig, nicht nur wegen der andersartigen englischen Schreibweise, sondern auch, weil Dave gerne Abkürzungen benutzte und sehr klein schrieb. Bilski brauchte dennoch nur eine halbe Stunde, und Tom war sicher, dass er sich jede Einzelheit gemerkt hatte.

„Hat Dave Dir noch irgendwas gesagt, das nicht hier drin steht?" fragte Bilski schließlich.

„Weiß ich nicht, ich hab's ja noch gar nicht gelesen."

„Grob gesagt schreibt er, in dem Lager sind zwar Deutsche, aber nicht die richtigen, also die Linken. Er hat die Namen notiert, das ist gut, aber das sind nicht die Leute, die unser Dienst sucht. Die Palästinenser bekämpfen Palästinenser, es ist zum Weglaufen. Andererseits, so lassen sie wenigstens Israel in Ruhe. Diese Deutschen, für die sich der Geheimdienst interessiert, sind in Jordanien, und geplant ist auch etwas. Wir müssten in das Lager dort, wenn wir rauskriegen wollen, was sie vorhaben. Ich befürchte nur, da könnt Ihr uns auch nicht helfen."

Tom verstand das Problem. Daves Bericht bestätigte die Annahmen der deutschen Sicherheitsbehörden, dass Palästinenser eine Aktion im Umfeld der Olympischen Spiele planten. Was immer geplant wurde, und von wem es durchgeführt werden sollte, wäre nur in dem Lager in Jordanien in Erfahrung zu bringen, zu dem die deutschen Geheimdienste keinen Zugang hatten. Die Zeit drängte. Tom dachte einen Moment lang nach, und dann wurde ihm bewusst, dass es vielleicht doch eine Möglichkeit gab, die wichtigen Informationen zu beschaffen.

„Sagen wir mal so," sagte Tom etwas zögerlich. „Ich kann nichts versprechen, aber vielleicht können wir doch helfen. Dazu müsste ich erst mal mit Basilis telefonieren, und zwar von einem Apparat, der garantiert nicht abgehört wird. Und eins ist klar: wenn wir Euch helfen sollten, wäre das sehr, sehr teuer."

Bilski überlegte kurz. Die Sache mit dem abhörsicheren Telefon war gar nicht so einfach an einem Sonntag. Am besten wäre eine Telefonzelle gewesen, die garantiert nicht abgehört wurde, aber Gespräche nach Griechenland waren aus Telefonzellen nicht möglich. Die zweitbeste Alternative war ein x-beliebiger unverdächtiger Privatanschluss.

Sein jüngster Sohn würde sich freuen, mal Besuch von seinem alten Herrn zu bekommen, dachte Bilski ironisch. Obwohl Jürgen in Bonn studierte, war er aus seinem Elternhaus ausgezogen, angeblich, um näher an der Uni zu sein. Er wohnte mit zwei Freunden in einem Neubau-Wohnblock in Bonn-Tannenbusch, ganz in der Nähe einer Autobahnauffahrt, was Tom sehr entgegenkam, weil so schneller zuhause sein würde. Das würde trotz des kurzen Wegs zur Autobahn kaum vor Mitternacht sein, wenn er jetzt „mal eben" Bilskis Jordanien-Problem lösen half.

Als Tom und Bilski die Studentenbude betraten, erinnerte Tom den Politiker:

„Denk dran, wir sind nur zum Telefonieren hier. Du hättest Deinen Sohn anrufen sollen, damit er eine Chance hat zu lüften, bevor wir kommen."

„Und wenn mein Telefon abgehört wird, Du Schlaumeier? Dann können wir ja gleich von meinem Haus aus telefonieren."

Bilskis Sohn Jürgen war Tom auf Anhieb sympathisch, nicht nur wegen des bekannten süßen Dufts, der die Luft der Wohngemeinschaft schwängerte. Er sah dem Politikersohn kurz in die Augen und wusste: wäre Jürgen mal in Athen gewesen, wäre er bei Nikos' Gruppe gelandet. Jürgen erkannte in Tom auch seinesgleichen:

„Du bist der, der im Souk abgestochen wurde und zwei Tage später mit dem Fallschirm abgesprungen ist?"

„Ich gebe es zu."

„Bevor Du hier telefonierst, gibst Du mir Deine Adresse und Telefonnummer. Wir müssen reden."

Bilski sah mit gemischten Gefühlen, wie Tom seinem Sohn seine Visitenkarte gab. Jürgen hatte immer schon den Drang nach draußen, nach Freiheit und Abenteuer. Er war ein Jahr in England zur Schule gegangen und hatte seinen Vater zweimal auf Dienstreisen nach Afrika begleitet, nachdem er monatelang gebettelt und gedrängelt hatte.

Die richtigen Leute Band 5: Nikos ToursWo Geschichten leben. Entdecke jetzt