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Am Morgen wurde es voll in den Waschräumen. Viele Studenten, die von dem ungewöhnlichen Besuch gehört hatten, nutzten die Gelegenheit, die Europäer in Augenschein zu nehmen.

Nikos und Tom zogen die Uniformen an. Als sie ihre Käppis und Sonnenbrillen aufsetzten, waren sie kaum mehr als Ausländer zu erkennen, zumal ihr Dreitagebart ihre Züge verdeckte. Serhat riet ihnen, mit dem Taxifahrer vor Fahrtantritt den Preis auszuhandeln. Man einigte sich auf fünf Dollar, was für beide Seiten ein gutes Geschäft war. Der Fahrer versuchte, Tom und Nikos in ein Gespräch zu verwickeln, aber sein Englisch reichte nur, um sie auf die Sehenswürdigkeiten am Straßenrand hinzuweisen.

Gleich, nachdem sie den Nil überquert hatten, passierten sie ein von einer massiven Sandsteinmauer umgebenes Palastgelände. Palace of Muhammad Ali Pascha, so viel verstanden sie, aber mehr auch nicht, obwohl ihr Fahrer das Bauwerk ausführlich pries, allerdings in Arabisch, gespickt mit wenigen englischen Wörtern. Tom verglich die Geschwindigkeit der Fußgänger mit ihrer eigenen – sie wären zu Fuß tatsächlich schneller an ihrem Ziel gewesen, das nur 500 m nördlich des Ramsesbahnhofs lag. In der Nachbarschaft des achtstöckigen Hotelaltbaus gab es ein Krankenhaus und große Gebäude mit staatlichen Einrichtungen, einen kleinen Souk und viele Restaurants.

Die Empfangshalle des Hotels wirkte wie ein Relikt aus lange vergangenen Zeiten. Dicke Teppiche, roter Samt auf schweren, niedrigen Sesseln, Tropenholz und blankpoliertes Messing, Pagen in Uniformen und ein Rezeptionist, der hinter seinem wuchtigen Tresen wie ein Feldherr wirkte, zumal er offenbar auf einem Podest stand und auf seine Gäste hinabsah.

Dann geschah etwas Merkwürdiges. Das Gesicht des Empfangschefs verwandelte sich plötzlich in das Antlitz einer Hyäne, die Tom eindringlich ansah, dann ihr Maul aufriss und sich ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war, wieder in das Gesicht des Ägypters zurückverwandelte. Es war nicht das erste Mal, dass ihm dieses Tier erschien, und immer wenn das passierte, stand ihnen eine gefährliche Situation bevor. Flüsternd erzählte er Nikos von der Erscheinung, und sie waren sich einig, auf der Hut zu sein.

Tom verstand inzwischen, warum sie ihre Uniformen tragen sollten, denn die meisten Hotelgäste waren auch uniformiert. Keiner schien sich über ihre etwas anders aussehende Kluft zu wundern, was vielleicht daran lag, dass die aufgenähten Flaggen an den Oberarmen identisch waren.

Der Empfangschef rief einen Pagen herbei. Er führte Tom und Nikos zu einem Fahrstuhl, der alles andere als vertrauenerweckend aussah. Die schmiedeeiserne Gittertür schloss sich mit einem Geräusch, wie man es aus Gefängnisfilmen kannte. Das Licht flackerte, als der Lift sich ruckhaft in Bewegung setzte, und irgendetwas quietschte. Ein Messingschild unter der Bedienungstafel verkündete stolz „Manchester 1912".

Sie fuhren in das oberste Stockwerk, wo sich ein großes Restaurant befand. Der Page führte sie einen schmalen Gang entlang, an dessen Ende er an einer Tür mit dem Schild „Private" klopfte. Der Besprechungsraum bot nur sechs Personen Platz und war ebenso luxuriös wie das ganze Hotel.

Während die meisten Soldaten unten im Foyer braune Felduniformen trugen, war Oberst Al-Numeiri wieder in strahlendes Weiß gekleidet. Er lächelte seinen Gästen entgegen und lud sie ein, in bequemen Sesseln ihm gegenüber Platz zu nehmen. Der Page schenkte ihnen Tee ein und entfernte sich.

Eine Viertelstunde verging mit dem üblichen Smalltalk über Wetter und Familie. Unvermittelt kam der Oberst dann zum Punkt:

„Ich höre, Sie haben ungewöhnliche Reisegewohnheiten. Unsere europäischen Gäste buchen in der Regel gute Hotels und lassen sich chauffieren. Sie schlafen in einer Hütte, fahren 2. Klasse und prügeln sich auch noch mit einem ägyptischen Soldaten."

Er machte eine Kunstpause, um seine Worte wirken zu lassen. Er wollte etwas von diesen jungen Männern. Ein wenig Einschüchterung könnte ihm helfen, etwaigen Einwänden von vornherein entgegenzuwirken, dachte er.

Die richtigen Leute Band 5: Nikos ToursWo Geschichten leben. Entdecke jetzt