Giftgasanschlag

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Izmir öffnete die Augen und sein Blick wanderte auf die Digitaluhr im Regal. Er fuhr aus den Kissen hoch. Schon zehn vor acht! Hatte er seinen Wecker etwa nicht gehört? Dann erinnerte er sich: Sein Handy war ja nicht mehr da. Er stürmte in den Flur, wo zu seiner Überraschung Frau Schnobrig aufgeregt mit seiner Mutter diskutierte. Man verstand sie kaum, da sie ihren Schal über Mund und Nase gepresst hielt.
"Mein Peter, er ist weg, ich kann ihn nirgendwo finden!", nuschelte sie.
"Nun beruhigen Sie sich doch, bestimmt hat er sich nur in einer Ecke Ihrer Wohnung versteckt!", versuchte seine Mutter die Frau zu beruhigen.
Wie war Frau Schnobrig hier reingekommen? Stimmt, sie konnten ja nicht absperren...
Seine Mutter bemerkte Izmir und hielt ihn auf. "Izmir! Wir können heute nicht raus und die Schule fällt auch aus!"
"W...was?", stotterte Izmir. "Warum?"
"Ist dir der Nebel nicht aufgefallen? Draußen ist alles weiß, man sieht keinen Meter weit und im Radio sagen sie, dass es kein gewöhnlicher Nebel ist sondern Giftgas!"
Izmir schaute aus dem Wohnzimmerfenstern und bemerkte erst jetzt die weiße Nebelwand hinter dem Glas. "Wooooow...", machte er.
"Wir verlassen auf keinen Fall die Wohnung, hast du verstanden?"
"Ja...aber...woher kommt das Giftgas?", fragte Izmir verwundert. "Kommt es nicht auch ins Haus?"
"Sie wissen es noch nicht genau. Solange wir Türen und Fenster geschlossen halten, können wir es eine Weile hier aushalten."
"Aber mein Kater!", jammerte Frau Schnobrig. "Bestimmt ist er rausgegangen! Er ist doch alles, was mir von meinem Peter noch bleibt!"
Ihr Kater hieß Peter nach ihrem verstorbenen Mann Peter. Ihr Mann hatte ihn damals gerettet, als der Kater von einem Auto auf ein Verkehrsschild geklettert war und das Auto dann weggefahren war.
"Ich helfe Ihnen bei der Suche! Du bleibst hier, Izmir, und niemand von euch öffnet irgendwelche Fenster, unter keinen Umständen!"
Izmir schlurfte zurück in sein Zimmer, wo seine Schwester gerade aus ihrem Bad kam. Sie wollte an ihm vorbei zum Flurschrank, doch als Izmir aus dem Augenwinkel einen dunklen Schatten vorbeihuschen sah, stellte er sich schnell vor die Tür.
"Was soll das, lass mich vorbei!"
"Das äh...geht gerade nicht!", meinte Izmir.
"Der Nebel ist doch draußen und nicht im Flur!"
"Ja aber....Mama hat gesagt du sollst dein Waschbecken putzen!"
Nora kniff die Augen zusammen. "Hat sie gar nicht, ich hab gehört, was ihr geredet habt!"
"Sie hat es gestern Abend gesagt und ich hatte es vergessen!"
Nora verdrehte die Augen und seufzte. "Na guuuut."
Izmir wartete vor der Tür, bis er die Zombienonne mit einer dampfenden Tasse Tee in den spitzen Fingern zurückhuschen sah. "Was soll das, du siehst doch, dass wir zu Hause sind!", flüsterte Izmir.
Die Zombienonne knurrte ihn an und verschwand dann geräuschlos hinter dem Schrank. Izmir öffnete erleichtert die Tür und ging in die Küche, um sich Frühstück zu machen. Nora durfte auf keinen Fall von der Zombienonne in der Wohnung wissen. Sie war noch zu jung für solche Schauergestalten und es würde sie nur traumatisieren.

"Sohn, der Ernstfall ist eingetreten!"
Izmir saß kauend seinem Vater am Esstisch gegenüber und nickte zustimmend.
"Ich werde heute mein Leben riskieren."
"Wieso?", nuschelte Izmir durch sein Brot.
"Niemand weiß wie lange der Nebel anhält. Ich werde mit meiner Atemmaske zur Stadthalle gehen und Sauerstoffflaschen besorgen."
Izmir riss die Augen auf. "Du kannst doch jetzt nicht rausgehen!"
"Mit der Atemmaske werde ich es eine Weile aushalten können. Wir brauchen den Sauerstoff. Nach ein paar Tagen wird der Nebel durch die geschlossenen Fenster dringen und wir werden alle sterben!" Sein Vater war noch nie jemand gewesen, der Situationen schönredete. "Sollte ich bis morgen Mittag nicht zurückkehren, möchte ich, dass ihr in den Keller geht. Dort habt ihr noch mehr Schutz und ich habe einige Konserven und Wasser für den Ernstfall gelagert. Dort unten solltet ihr es etwa zwei Wochen aushalten. Sollte ich dann nicht zurück sein und der Nebel weiter bestehen, müsst ihr selbst um euer Leben kämpfen. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um zu euch zurückzukehren."
"Ich will nicht, dass du stirbst!", sagte Izmir.
"Ich auch nicht, mein Sohn. Doch ich werde tun, was ich in dieser Situation tun muss. Sollte der Nebel sich lichten und ihr überleben, wird dein Bruder Kazimir zum Familienoberhaupt werden. Ich habe die Bank informiert, ihm in diesem Fall sein Erbe auszuzahlen. Auch du, Izmir, sollst deinen Teil erhalten. Ihr werdet stark sein müssen und für eure Mutter und Nora sorgen! Behaltet mich in guter Erinnerung, doch trauert nicht zu lange!"
Izmir war der Appetit vergangen. Seine Mutter kam zur Tür herein und klopfte sich den Staub von der Kleidung. "Wir haben das dumme Vieh endlich gefunden! Er hatte sich nur im Keller eingesperrt und ist allein nicht mehr rausgekommen!"
Sein Vater erhob sich mit ernster Miene vom Tisch. "Schatz, ich mache mich jetzt auf den Weg!"
Izmirs Mutter seufzte. "Meinst du nicht, dass das auch bis morgen Zeit hat? Bestimmt lichtet sich der Nebel bis dahin, so eine Wetterlage bleibt ja nicht ewig bestehen."
"Das hier ist keine gewöhnliche Wetterlage. Wer zu lange zögert, der verliert! Ich werde bald wieder zurück sein, doch weine nicht um mich, falls ich sterbe."
Izmir sah kauend zu, wie seine Eltern sich umarmten.
"Ach Zorlob, du bist immer so dramatisch! Ich gehe noch mit dir zur Haustür!"
Sie traten hinaus in den Flur. "Nein, du bleibst hier!", hörte Izmir seinen Vater sagen. "Die Fenster im Flur sind undicht und durch die Tür dringt schon das Gift herein!"
"Sei vorsichtig!", rief seine Mutter besorgt, dann viel die Haustür ins Schloss.

Die Ankunft der MitmenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt