Die Angriffskröte

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"Allmosen für die Armen! Almosen!"
Izmir ignorierte die Frau mit der Sammeldose, die langsam in seine Richtung kam. "Allmosen für die Armen!" Sie blieb stehen, um im Mülleimer neben der Bank zu wühlen, auf der Izmir saß.
"Eine Spende bitte!", sie schüttelte ihre Dose. "Eine Spende!"
Izmir ignorierte sie.
"EINE SPENDEEE!", wurde sie aufdringlicher.
"Gehen Sie weg!" Izmir nahm eine abwehrende Haltung ein und zog den Block, auf dem er bis eben konzentriert gemalt hatte enger an sich.
Die Frau seufzte und durch das sich entfernende Klirren ihrer Sammeldose erkannte Izmir, dass sie wegging.
Er entspannte sich wieder und verglich kritisch sein Werk mit der Blume vor ihm auf der Wiese, die er versucht hatte zu malen. Die Farben kamen nicht so schön rüber wie sie in echt waren, fand er, und auch die Anordnung der Blüten war ihm nicht ganz geglückt. Eigentlich wollte er das Bild Lana schenken, aber jetzt war er unzufrieden.
Ein alter Rentner kam angeschnauft und ließ sich neben ihm auf die Bank sinken. Er sah auf seine Armbanduhr und murmelte: "15 Minuten. Uiuiui..." Er schaute Izmir an. "Na Junge? Alle haben Spaß auf dem Spielplatz und du?"
Izmir mochte es nicht, wenn alte Leute Menschen unter 30 sahen und dann dachten, sie müssten sich mit einem unterhalten. Doch er versuchte sich seine Genervtheit nicht anmerken zu lassen. "Ich bin nur hier, um auf meine Schwester aufzupassen.", erklärte er.
"So, deine Schwester! Das ist aber sehr verantwortungsvoll von dir. Deine Mutter ist bestimmt stolz!"
"Sie...weiß nicht, dass wir hier sind."
Der Alte schnaufte immer noch. "Wie alt ist deine Schwester denn?"
"Neun!"
"So, neun! Und du bist der große Bruder?"
Izmir nickte. Der Alte lachte und keuchte dabei seltsam. Izmir verstand nicht, was daran so witzig war, doch er ließ dem Mann seine Freude. Er überlegte, mit welcher Farbe er die Blütenblätter seiner Blume noch aufbessern konnte.
"Ist sie das da drüben?" Der Alte zeigte auf zwei Mädchen, die sich Blumenketten geflochten hatten und jetzt fröhlich zusammen schaukelten.
Izmir folgte etwas abgelenkt seinem Blick. "Ach so nee...äh...sie ist da oben auf dem Klettergerüst." Er zeigte auf Nora, die gerade im Klettergerüst saß und einen Jungen gleichen Alters lachend mit ihrem Schal verdrosch.
Izmir ließ seinen Blick durch die Gegend schweifen. Auf der anderen Bank saß eine junge Mutter und schmuste mit ihrem kleinen Kind. Zu ihren Füßen lag ein rostbrauner Hund elegant mit verschränkten Vorderpfoten da und sah sich wachsam hechelnd um. Das wäre eigentlich auch ein gutes Motiv zum Malen, dachte Izmir. Lana würde es bestimmt gefallen!
Seufzend ließ er seinen Blick durch die Gegend schweifen. Eine Bewegung in der Hecke zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er dachte, kurz einen Arm gesehen zu haben. Doch als er hinsah, war nichts da. Dann schwankte die Hecke auf einmal bedrohlich, so als würde sie gleich entwurzelt werden.
Ein Windhauch strich über den Spielplatz und Izmir lief ein Schauer über den Rücken.
"Nun?" Der alte Mann sah ihn erwartungsvoll an.
"Was? Haben Sie was gesagt?!", fragte Izmir erschrocken.
"Ich habe nur gesagt, dass du doch sicher nichts dagegen hast, wenn ich deiner Schwester mal guten Tag sage!"
"Nee nee." Izmir stand auf. "Ich muss da kurz etwas erledigen..."
Noch während er zu der Hecke hinüber lief fiel ihm auf, dass das gerade so geklungen hatte als müsste er aufs Klo, doch das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Er näherte sich langsam, um was immer auch in der Hecke war nicht aufzuschrecken. Er versuchte durch die Zweige hindurchzuspähen, doch er konnte nichts erkennen, was irgendwie auf ein Lebewesen hinwies. Doch irgendwas musste hier sein! Der Wind war bei weitem nicht stark genug, um eine Hecke so zu bewegen!
Als nichts passierte traute Izmir sich näher heran und ging vor die Hecke in die Knie. "...hallo?", rief er leise und kam sich dabei sehr dumm vor. Was erwartete er denn, was passierte? Dass die Hecke antwortete und etwas sagte wie: "Ja hallo, guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?"
Natürlich sprach sie nicht. Izmir holte tief Luft und sammelte all seinen Mut. Dann schob er die Zweige beiseite.
Nichts.
Kein Tier, keine wilde Bestie. Nur Zweige. Erleichtert atmete er auf.
Dann fiel ihm auf wie verwühlt der Boden aussah, als ob jemand mit einer sehr großen Schuhgröße darauf herumgerutscht war.
Izmir ging auf die Knie und kroch mit dem Oberkörper in das Gebüsch hinein. Zwischen den Wurzeln funkelte es. Er scharrte in der feuchten Erde und hob den Gegenstand auf. Es war ein kleiner Diamant! Er funkelte bläulich und war auf einer Seite abgebrochen und rau, auf der anderen war er glatt und glänzte herrlich im Sonnenlicht. Jetzt fand Izmir um die Fundstelle herum noch mehr, halb verscharrt in der losen Erde. Ein Silberkettchen, ein paar Münzen und einen mit bunten Steinen besetzten Anhänger. Darauf war ein winziges Mosaik zu erkennen - der Kopf einer Gestalt mit bunten Steinchen umrandet. Als Izmir den Anhänger berührte, fuhr ein Schlag durch seinen Arm bis hinunter zu seinen Zehen. Ein bisschen wie wenn man an einen Elektrozaun fasst, aber stärker. Izmir fuhr zurück und vor seinem inneren Auge blitzte das verzehrte Gesicht einer Gestalt auf, mit bunten Federn geschmückt heulte sie dem aufgehenden Mond entgegen. In diesem Moment sprang eine Kröte aus dem Gebüsch auf ihn drauf, prallte von seinem Gesicht ab und patschte empört quäkend davon, was ihn zurück in die Wirklichkeit holte.
Er ließ bis auf den Diamanten alles fallen, was er gerade so begeistert gesammelt hatte und rannte schwer atmend zum Spielplatz zurück.
Was war das? Eine Vision? Wurde er verrückt? Hockte ein Mitmensch in den Büschen und spielte mit seinen Gedanken? Er musste sofort hier weg! Hastig rannte er zur Bank und sammelte seinen Block und die Stifte auf. Der alte Mann hatte wohl fertig geschnauft, denn er saß nicht mehr auf der Bank. Izmir drehte sich um und sah ihn neben Nora am Klettergerüst stehen. Er unterhielt sich freundlich mit ihr und hatte liebevoll den Arm um sie gelegt.
Izmir rannte zu seiner Schwester hinüber und riss sie aus der angedeuteten Umarmung.
"Hey, was machst du?", rief sie, als sie unsanft von ihm mitgezerrt wurde.
"Wir müssen hier weg!"
"Mann Izmir, hat das nicht Zeit bis später? Der Mann wollte mich einladen zu sich nach Hause!"
Izmir zerrte Nora zielstrebig Richtung Wohngebiet mit. "Pfff, warum das?"
"Er hat Süßigkeiten zu Hause! Und Hundebabys!"
"Du kannst doch mit Peter spielen!"
"Aber das ist nicht dasselbe! Ich wünsche mir schon sooo lange einen Hund!"
"Du willst ihn doch nur haben, um ihm deine komischen Puppenkleider anzuziehen!"
"Gar nicht wahr!", rief sie erbost. "Was hast du eigentlich in dem Gebüsch gemacht? Hm?"
Izmir antwortete nicht und stiefelte finster dreinschauend voraus.
"Ich hab gesehen wie die Kröte dich angesprungen hat!"
"Ich will nicht drüber reden!"
Nora lachte schallend. "Das sah echt dämlich aus!"
"Halt den Mund!"

Die Ankunft der MitmenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt