Fragen zu Mitmenschen

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Sein Vater war unglücklich, als Izmir um 6 Uhr verdreckt und nass nach Hause kam. Auch seine Mutter war schon wach und schüttelte bekümmert den Kopf, als sie die Nachbarwohnung betrat, wo sein Vater bereits den heutigen Versuch aufbaute. "Och Izmir, langsam bist du doch wirklich zu alt für die Spiele auf der Autobahn!"
"Ich hab nicht auf der Autobahn gespielt! Ich war bei Lana und es gab eine Explosion, sodass ein Loch im Haus war und dann mussten wir ihre Fische retten und ich hab einen Mitmenschen gesehen!"
Sein Vater fuhr zusammen und ließ die Pressspahnplatte fallen, die er gerade im Schraubstock befestigen wollte. "Ein Mitmensch?! Wo?!"
"Wollt ihr beide nicht erstmal frühstücken?", fragte Izmirs Mutter.
"Nein, das muss warten, ich habe heute früh wichtige Messungen vorzubereiten!"
Izmir stimmte ihrem Vorschlag begeistert zu und seine Mutter ging hinüber in ihre Wohnung. Izmir wollte ihr folgen, doch auf der Türschwelle drehte er sich nochmal um. Sein Vater zog sich Handschuhe und eine Schutzbrille über.
"Papa?"
"Hm?", machte sein Vater.
"Lana hat gesagt, Mitmenschen gibt es gar nicht. Und dass die Regierung sich die Mitmenschen nur ausgedacht hat." Er zuckte zusammen, als sein Vater mit einer groben Handbewegung die Werkzeuge vom Tisch fegte, um Platz für eine Platte aus porösem Schaumstoff zu schaffen. Er stellte eine Stoppuhr.
"Das ist doch völliger Unsinn! Die Mitmenschen bedrängen uns seit Jahren! Wegen ihnen sind wir in die Stadt gezogen und können sie nicht mehr verlassen! Zwar habe ich noch nie selbst einen Mitmenschen gesehen, aber eins kann ich dir sagen: die Mitmenschen sind sehr real und du solltest dich in Acht nehmen, denn sie bringen nur Unglück und Verderben! Im Übrigen....solltest du nicht die ganze Nacht wegbleiben ohne mein Einverständnis. Du weißt, dass wir unter besonderen Bedingungen leben und unsere Familie ist das Allerwichtigste."
Izmir nickte.
"Nun entschuldige mich, Sohn. Die Bedrohung lässt sich bald nicht mehr aufhalten und ich bin sehr beschäftigt."
Izmir hielt sich die Ohren zu und beobachtete noch kurz seinen Vater beim auf Gegenstände einschlagen, schließlich folgte er doch seiner Mutter in die Wohnung.

Nora starrte ihn mit großen Augen an, als Izmir sich an den Tisch setzte. "Hast du in einem Sumpf geschlafen?"
"Ich war bei Lana und es gab eine Explosion draußen!", erzählte Izmir.
Kazimir schaufelte bereits Essen in sich hinein, als gäbe es kein Morgen. Vielleicht war das ja auch so.
Es gab wie fast jeden Morgen Müsli und seine Mutter hatte noch Waffeln gemacht. "Die sind aus verschiedenen Mehlsorten.", erzählte sie stolz. "Weizenmehl, Dinkelmehl, Buchweizenmehl, Hafermehl, Gerstenmehl...und...was war die letzte Sorte? Fällt mir gerade nicht ein, naja. Wenn man sich nicht entscheiden kann, muss man eben alles nehmen." Sie lächelte und biss in ihre Waffel. "Meine Güte, das schmeckt ja furchtbar!"
Kazimir schaute von seinem Essen auf. "Stimmt doch gar nicht!"
"Die sind ja gar nicht richtig aufgegangen!"
Izmir betrachtete verwundert den fluffigen Waffelteig.
"Nein, die sind perfekt geworden!"
Izmir fragte sich, ob wohl heute Gegenteiltag war, weil Kazimir etwas Nettes gesagt hatte. Er entschied sich, nicht weiter darauf einzugehen und nahm sich auch eine Waffel. "Mama, weißt du noch, als du gesagt hast, dass es so ein Klischee ist wenn du Essen machst, weil du ja die Mutter bist und die Familie versorgen musst und dass Papa auch oft kocht und im Haus hilft, aber seitdem hast du schon mindestens vier Mal Essen gemacht und Papa kein einziges Mal!"
"Izmir, kann es sein, dass du dumm bist?", fragte Kazimir.
"Ja, kann es sein, dass du einen an der Waffel hast?", fragte Nora.
Izmir bewarf sie mit seiner Waffel und sie schubste seine Stuhllehne, sodass er fast vom Stuhl fiel.
Seine Mutter runzelte die Stirn und bestrich ihre Waffel dabei kunstvoll mit Apfelmus. "Weißt du was Izmir, eigentlich hast du Recht. Da läuft etwas gewaltig falsch. Der Haussegen hängt schief!" Sie stand auf und verließ die Wohnung.
"Welcher Haussegen?", fragte Izmir.
Sie hörten Lärm durch die Wand zur Nachbarwohnung.
"Toll gemacht Izmir, jetzt bist du Schuld wenn Mama und Papa sich scheiden lassen oder wir Waisenkinder werden!", beschwerte sich Nora.
Kazimir war völlig unbeeindruckt. "Quatsch, ist doch super, wenn wir Waisenkinder werden. Dann kannst du so viele Nutellagläser löffeln, wie du willst."
Nora überlegte kurz. "Stimmt!", meinte sie zufrieden und aß weiter.

Die Ankunft der MitmenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt