Der Horrorkeller

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Ohrenbetäubendes Bellen riss Izmir aus dem Schlaf und die Leine in seiner Hand straffte sich und riss seinen Arm herum. Er fuhr zusammen und donnerte mit der Stirn gegen das Getriebe. "Aaaah!", machte er und hielt sich den Kopf. Er hörte Chief vor dem Bus toben und rollte sich langsam herum. Die Schottersteine hatten kantige Abdrücke in seinen Armen hinterlassen. Er blinzelte ins Tageslicht.
Vor dem Bus stand ein riesiger Bär. Ein richtiger Bär, lebensgroß mit dichtem, schwarzen Fell, riesigen Bärenpranken und schwarzen Knopfaugen. Izmirs erster Impuls war, ihn zu knuddeln, seine Hände in dem flauschigen Pelz zu versenken, doch dann fletschte der Bär die Zähne und knurrte und Izmir erinnerte sich, dass er es mit einem fleischfressenden Raubtier zu tun hatte. "Macht die Tür zu!", rief er mit schriller Stimme nach oben. "Lasst mich hier draußen sterben, das ist in Ordnung!"
"Omg ein Bär!", schrie Lana von oben.
Izmir sah zwei beschuhte Füße auf den Schotter springen und erkannte Razdans Waden. "EY! HAU AB!", schrie Razdan den Bär an und drohte ihm mit dem Stock. "SSSCCHHH! GEH WEG!"
Der Bär neigte den Kopf und wich langsam zurück. Razdan verfolgte ihn bis zum Waldrand. "HAU AB! LASS MEINEN HUND IN RUHE!"
Der Bär trollte sich im Zeitlupentempo. Vor dem Straßengraben verlor er die Balance und purzelte ungelenk mit dem Kopf voraus in den Graben. Razdan gab seine drohende Haltung auf und musste lachen.
Der Bär brummte frustriert, kroch auf der anderen Seite aus dem Graben und schwabbelte in den Wald davon.
"Halt dein Maul, Bär!"
"Razdan, bist du irre?", rief Lana aus dem Bus. Chief war noch immer völlig verstört.
Izmir kroch auf allen Vieren unter dem Bus hervor. Vom Schlafen auf dem Schotter war er völlig verstaubt und sah aus, als hätte er in Tafelwasser gebadet.
Razdan musterte ihn von oben bis unten und stieg zurück in den Bus.
Erst jetzt fiel Izmir ihre Mission wieder ein. "He, hat einer von euch einen Mitmensch gesehen?", rief er aufgeregt.
"Nich so laut!" Fred kroch unter der Wolldecke auf dem Fahrersitz hervor. "Was seid ihr Kinder so laut? Wisst ihr nicht, wie viel Uhr es ist?"
"Es ist 10 Uhr!", sagte Lana.
"Eben! Viel zu früh für so einen Lärm!"
"Wo ist Frau Schlotterbeck?", fragte Izmir. Er sah sich besorgt um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. "Wurde sie gefressen?"
"Nee, die ist vorhin für so einen Aktivkram weggegangen.", meinte Razdan.
Lana fummelte vor dem Innenspiegel ihre Ohrringe zurück in ihre Ohren. "Meint ihr sie macht den Aktivunterricht auch alleine mit sich selber?"
"Keine Ahnung."
"Aber hat denn niemand von euch einen Mitmenschen gesehen?!", fragte Izmir.
"Ach so.", sagte Lana, als würde ihr gerade erst der Zweck ihrer Unternehmung wieder einfallen. "Also ich hab nichts gesehen."
Razdan stopfte sich Gummi-Colaflaschen in den Mund. "Nope."
Izmir ließ enttäuscht die Schultern sinken. "Aber wir haben doch im Wald eine Spur gelegt und...und...es hieß, dass hier viele Mitmenschen sind!"
"Vielleicht hatten die keinen Bock auf uns. Oder sie mögen kein Lakritz!", schlug Razdan vor.
"Stimmt. Wer mag das schon? Daran hätte ich denken müssen!"
"Lakritz ist doch lecker!", sagte Lana.
"Nee du, der ganze Lakritzkram den du in Läden kriegst, wurde schonmal benutzt um Straßen zu teeren! Aber Weingummi ist noch schlimmer, besonders für Hunde. Weingummi tötet!", erwiderte Razdan.
Sie sah ihn von der Seite an. "So Razdan, das klingt als hättest du damit Erfahrung..."

Im Bus ging die Aufwachphase langsam in die Frühstücksphase über. Fred bot ihnen Essen aus seinem Lager unter dem Sitz an, doch seine ganzen Nahrungsmittel sahen etwas fragwürdig aus. Lana machte einen Fehler und nahm etwas Milch zu den Cornflakes an. Sie nahm einen Löffel und spuckte die Portion wieder aus. "Bah...was ist das?!"
"Das ist vergorene Ziegenmilch! Ist gut für die Gesundheit, da schwör ich drauf!", rief Fred stolz.
Lana stand wortlos auf und ging hinaus, um das Müsli wegzuschütten.
Aus Protest trank Fred die restliche Milch leer.
Izmir verzehrte eine Packung Happy Hippos. Durch das Fenster sah er Frau Schlotterbeck aus dem Wald herüberjoggen. "Schaut mal, da ist Frau Schlotterbeck!" Izmir sprang auf und lief ihr entgegen. "Frau Schlotterbeck! Haben Sie einen Mitmenschen gesehen?"
Zu seiner Enttäuschung schüttelte sie den Kopf.
"War jetzt alles umsonst, was wir gemacht haben?", fragte Izmir in die Runde, als sie wieder im Bus saßen. Razdan spielte hinten auf der Rückbank mit Chief, Lana aß eine Banane und Fred hatte sich eine Tüte gedreht und zündete sie an. Izmir hustete.
"Mach das aus!", befahl Lana.
Fred schnitt eine Grimasse.
"Es sind Nichtraucher anwesend!"
"Wie könnt ihr Nichtraucher sein? Wie könnt ihr das ertragen? Dieses nicht rauchen?" Er nahm einen kräftigen Zug und löschte die Zigarette an Lanas Jeansjacke.
"Ey!"
"Es ist ja nicht so schlimm, dass wir keinen Mitmenschen gesehen haben.", sagte Frau Schlotterbeck. "Vielleicht haben wir uns einfach zu viel vorgenommen. Immerhin war es gut mal aus der Stadt rauszukommen...was auch immer dieser Ausflug war..."
Lana wollte Fred die Zigarette wegnehmen. Er griff nach seiner Flasche und spritzte ihr Wasser ins Gesicht. "Niemand nimmt mir meine Kippe weg!"
"Hey, hört auf ihr beiden!"
"Sie hat angefangen!"
"Lasst uns zum GGM-Stützpunkt fahren!", schlug Izmir vor.
"Zum GGM-Stützpunkt? Ich dachte wir wollen gerade nicht zur GGM fahren?"
"Ja, aber dort sind garantiert Mitmenschen in der Nähe. Mein Vater ist dort. Er wird uns helfen!"

Die Ankunft der MitmenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt