Fishnado

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Lana wohnte mit ihrer Mutter in einer Wohnung über einer kleinen Tiefgarage. Die Fläche für die Garage gehörte Lanas Eltern und sie verdienten sich damit einen Teil ihres Einkommens. Lana holte die Schlüssel für das große Tor heraus und sperrte auf. Von drinnen drang leise Musik. Als sie den Innenraum der Garage betraten, erkannte Izmir auch, woher die Musik kam: In einem alten Kleinbus hockte ein ebenso alter Typ in Badehose und zerschlissenem Hemd und hörte bei offenen Türen altertümliche Rockmusik. Dabei rauchte er eine Zigarette und wippte fröhlich im Takt mit.
Lana ließ das Tor wieder ins Schloss fallen. "Ey, Sie dürfen hier nicht rauchen!", schrie sie zu dem Alten hinüber.
Er winkte zu Lana und Izmir hinüber und löschte seine Zigarette am Beifahrersitz.
"Ich dachte man darf sich nicht in der Garage aufhalten.", wunderte sich Izmir.
Lana seufzte. "Das ist Fred. Er bleibt nur hier, um noch sein Auto zu checken. Das dauert halt ein bisschen länger. Alle paar Stunden fährt er dann um den Block, damit wir ihn nicht rauswerfen können."
"Das muss doch nerven."
"Ja, er nervt schon sehr, aber meine Mutter hat keine Lust sich damit zu befassen."
"Nein, ich meine alle paar Stunden um den Block zu fahren, nur um in einer Garage wohnen zu können."
Sie gingen an den anderen geparkten Autos vorbei und stiegen die Stufen zur Haustür hinauf. Lana sperrte auf. Izmir war erst einmal bei Lana zu Hause gewesen und das auch nur kurz, aber er mochte ihre Wohnung. Sie hatte eine sehr entspannte Atmosphäre. Vor einiger Zeit hatte Lanas Mutter angefangen, sich jedes Mal Fische aus der Zoohandlung zu holen, wenn sie einen schlechten Tag gehabt hatte. Jetzt stand die Wohnung voller bunter Aquarien und das Blubbern der Filter und die hin und her paddelnden Fische strahlten eine hypnotische Ruhe aus. Die Säuberung der Aquarien blieb jetzt meistens an Lana hängen, weil ihre Mutter oft nachts auf der Plantage arbeitete und wenig zu Hause war.
Izmir fiel ein großer, schillernder Fisch auf, der in einem Aquarium im Eingang zum Wohnzimmer zusammen mit ein paar kleinen Fischen und einer Wasserschnecke herumblubberte. "Wow, der sieht ja cool aus!"
"Der ist neu!" Lana legte die Schlüssel auf der Komode ab und versuchte etwas unbeholfen, ihre Stiefel abzustreifen. "Meine Mutter hat ihn letztens mitgebracht, nachdem ihr Auto nicht mehr angesprungen ist und sie es über die Landstraße und die Autobahn bis in die Stadt schieben musste."
Izmir dachte daran wie er vor ungefähr zwei Wochen an der Autobahn Temple Run nachgespielt hatte und dort eine Frau ihr Auto mit purer Muskelkraft über die Brücke geschoben hatte. Er klopfte fröhlich mit dem Finger gegen die Scheibe.
"Mach das nicht, das erschreckt die Fische!" Lana ging ins Wohnzimmer, das gleich an die Küche grenzte. "Hast du Hunger? Ich glaube wir haben noch Chips da!"
Während Lana die Chips suchte, sah Izmir sich im Wohnzimmer um und stellte sich vor, wie jemand hier mit einem Hockeyschläger fuchtelte und einen Tsunami aus Wasser und Glasscherben auslöste. Er ging zum Bücherregal an der Wand. Lanas Mutter hatte sehr viele Bücher und die meisten waren schon alt und hatten viel mehr Text als Bilder. Lana gehörte die linke Ecke des Regals, wo sie auch einige Bücher und Zeitschriften aufbewahrte. Wahrscheinlich war sie deswegen so schlau. Auf dem Wohnzimmertisch vor dem Sofa stand ein Aufgebot an Weinflaschen und Gläsern.
"Deine Mutter trinkt aber ganz schön viel.", stellte Izmir fest.
"Ich weiß!", sagte Lana. "Wenn du willst kannst du was davon haben."
Izmir schaute sie erschrocken an.
"Was? Das merkt die gar nicht, wenn ein bisschen was fehlt."
"Nein...ich meine...ich kann doch keinen Alkohol trinken!"
Lana grinste. "Natürlich. Geht genauso wie bei jedem anderen Getränk."
"Aber das trinken Erwachsene! Wir dürfen das nicht!"
Lana kam mit einer Schüssel voller Chips zu ihm. "Erzähl mir nicht du hast noch nie Alkohol getrunken!"
Izmir starrte nur.
Lana überlegte und schob ein paar Gläser zur Seite, damit die Chips noch auf den Tisch passten. "Ich habe wohl grade was in dir zerstört, lass uns lieber einen Film schauen!", schlug sie vor.
Izmir erwachte aus seiner Starre. "Klar, gerne!"
Lana wühlte in der Sofaritze nach der Fernbedienung und zog einen labbrigen Goldfisch heraus. "Oh...", machte sie. "Ich hab mich schon gefragt, warum es so komisch riecht."
Sie verscharrten den Goldfisch in der Erde einer Zimmerpflanze.
"Das wird für die Pflanze wie Dünger. Wusstest du, dass auf Vancouver Island in Kanada ein ganzes Ökosystem auf Lachsen beruht?"
"Nein.", sagte Izmir erstaunt.
"Die Bären fangen die Lachse aus dem Fluss und tragen sie in den Wald. Was sie dann nicht fressen bleibt dort liegen und verrottet und wird dann zu Dünger für die Bäume. Genial, oder?"
Izmir nickte freundlich.
Lana verdrehte die Augen. "Ja gut, ist ein bisschen trivial, aber seit ich diese Doku gesehen habe muss ich immer daran denken, wenn Vancouver Island erwähnt wird."
Sie setzten sich wieder zurück aufs Sofa und diesmal fand Lana die Fernbedienung ohne Fisch. Sie schaltete den Fernseher an und sie lehnten sich Chips essend zurück.

Die Ankunft der MitmenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt