Kapitel 90.

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Jungkook

Am nächsten Morgen war Taehyung immernoch hier. Eine ganze Nacht lang verbrachte er neben mir, las aus den verschiedensten Büchern vor, half mir bei meinen Aufgaben und tauschte gelegentlich den kalten Lappen auf meiner Stirn aus. Trotzdem bemerkte ich seinen gesenkten Blick und das enttäuschte darin. Nicht unbedingt von mir. Zum Teil bestimmt auch, doch ganz besonders war er enttäuscht von sich selbst. Und bald schon klärte er mich auch auf, warum.

"Wieso hast du mir nichts gesagt, Jungkook. Ich war vorgestern... Hart und dabei warst du die ganze Zeit schon unglaublich krank" Die Antwort darauf war leicht. Und zum Teil durchaus selbstsüchtig. Ein Grund mehr, wieso sich das hier für mich förmlich beschämend anfühlte. Ich tat so vieles, um seine Sorge in keinster Weise zu verdienen. Trotzdem saßen wir hier. In seiner Hand ein Lappen, den er eine ganze Nacht lang immer wieder aufs nass machte, damit er kalt blieb und ihn auf meine Stirn legte. Mir Schweiß von der Stirn oder Brust entfernte, damit ich nicht darin baden musste.

Doch griff ich dieses Mal, als er den Lappen erneut waschen wollte, nach seinem Handgelenk und sah tief in seine Augen. Mein Blick war gekränkt und ein paar Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich versuchte es zu verhindern, jedoch gewann ich momentan sowieso nicht gegen meinen eigenen Körper. Dieser hatte offensichtlich seinen eigenen Willen. Oder gar keinen, je nachdem wie man es betrachtete.

"Taehyung... Hör auf, bitte. Du tust dir... Hiermit doch nur weiter weh. Und ich habe dir schon genug angetan." Seine Antwort blieb vorerst ein Schweigen. Mit einem leicht strengen Blick, mit dem er seine tatsächlichen Emotionen vor mir versteckte, musterte er mich dabei und machte es mir schwer, unseren Augenkontakt aufrecht zu erhalten. Er hatte keine Ahnung, wie hart es war, ihn anzusehen. Meistens träumte ich von genau diesem Gesicht und seinen Augen, welche voller Hilflosigkeit und Wut in meine starrten. Ich erlebte in Albträumen, dass Lee all seine Drohungen wahr machte und den Älteren vor mir damit vollkommen zerstörte.

Denn das würde es. Wenn er erst einmal wüsste, wovon meine gewaltvollen Träume handelten, die auf wahren Drohungen basierten. Von einem Mann, der mir weiterhin das Leben zur Hölle machte. Und sich irgendwann holte, was er begehrte. Er ließ sich bloß Zeit, da ihm das Spiel gefiel. Vorerst sorgte er dafür, meinen Willen vollkommen zu brechen. Erst wenn er dies geschafft hätte fand er umso mehr seinen Spaß daran, mich auf jede erdenkliche Weise zu erniedrigen. Durch Vergewaltigung und weitere körperliche Gewalt. Ich wartete nur so auf den Tag, an dem er mir das letzte bisschen Stolz raubte, das ich besaß.

"Du hast meine Frage nicht beantwortet" erinnerte mich der Ältere aber, als überhörte er meine Worte von zuvor einfach. Sein Blick blieb stur und emotionslos, ließ kein einziges Mal ab oder mich hinter die Fassade sehen. Obwohl ich dennoch den Schmerz in seinen Augen erkannte. Ganz egal wie sehr er versuchte diese Emotionen zu unterdrücken, in seinen Augen sah man alles so genau, wenn man bloß richtig hinsah.

Es war weiterhin kaum auszuhalten, den Älteren so zu sehen. Jemand, der mir wichtiger nicht sein konnte und den ich unglaublich sehr liebte. Ich wünschte mir viel zu oft, dass niemals etwas zwischen uns passierte und wir einfach unbeschwert bleiben durften. Jedoch blieben es Wünsche und Träume. Die Realität sah anders aus. Grau, dunkel und mit einer Menge an Schmerz und Trauer verbunden.

Und doch spürte man inmitten all dieser negativen Gefühle etwas warmes und angenehmes in der Gegenwart des anderen. Deswegen brachte ich es kaum übers Herz, ihn zum Gehen zu überreden. Nicht, dass ich glaubte, er würde überhaupt gehen. Dafür war Taehyung momentan zu stur. Verständlicherweise. An seiner Stelle würde ich sicher auch darauf beharren. Ganz besonders mit dem Hintergedanken, womöglich endlich eine Antwort auf all seine Fragen zu bekommen.

Dennoch seufzte ich. Die Antwort auf seine Frage war selbstsüchtig und störte mich selbst. Ich hätte gehen sollen. Es garnicht erst so weit kommen lassen dürfen doch stattdessen gab ich nach. Ließ mein Verlangen leiten und allen voran meine immense Sehnsucht nach ihm. Ich wünschte, seine Nähe würde sich nicht so angenehm und beruhigend anfühlen. Doch das tat sie. Und wie sogar. Die letzten Wochen nagten an meiner Psyche. Ich hatte keinen, mit dem ich sprechen konnte, selbst meinen besten Freund bezog ich nicht ein. Aus Angst, was Lee in der Lage wäre, zu tun.

Ganz zu schweigen von Taehyung. Lee schaffte es durch seine Drohungen, eine förmliche Panik in mir auszulösen, bloß daran zu denken. Für ihn ein Zeichen der Effizienz seiner Drohungen. Es freute ihn sicher, wenn er davon wüsste. So wie ich den Älteren kannte war ihm das auch mehr als bewusst.

Ich log diesen wundervollen Kerl vor mir schon so lange an. Umso schlimmer, dann sein besorgtes Gesicht zu erkennen, weil er sich trotz dem Passierten Sorge um mich machte. Ohne einen Grund dazu zu haben.

Erneut seufzte ich. Meine Antwort auf die Frage wieso ich nichts gesagt hatte lag eigentlich auf der Hand. Egoismus. Lust. Verlangen.

"Ich wollte es... Tae. Es ist selbstsüchtig, weil ich dir nahe sein wollte, dabei sollte ich mich eigentlich endlich von dir fern halten. Und jetzt bist du hier und pflegst mich gesund... Obwohl mir das Schicksal genau das gibt, was ich verdiene" Dieses Mal seufzte er und senkte den Blick dabei. Er schien hin und her gerissen, durcheinander und unglaublich verwirrt von den vielen Gefühlen in ihm. Ich konnte mir vorstellen, wie sich das anfühlte. In etwas anderer Form spürte ich es ja auch. Und den Älteren musste es dahingehend umso schlimmer gehen.

Und dies behielt er auch nicht für sich.

"Fuck Jungkook wieso... Wieso glaube ich dir nicht, dass du mich mit Absicht verletzt hast. Wieso... Lässt du mich daran zweifeln, obwohl ich so, so wütend auf dich bin". Ich hörte die  Verzweiflung in seinen Worten. Es war eigentlich förmlich unmöglich, sie nicht zu hören.

"Es... Tut mir so leid, Taehyung" durchaus keine besonders befriedigende Antwort, jedoch fehlten mir die Worte. In seiner Nähe und seinem Zustand sowieso. Ich war dafür verantwortlich. Für jedes seiner Probleme und dem Gefühlschaos in ihm, welches den Älteren verrückt machen musste. Dann noch in meiner Nähe zu sein, konnte sich ja nur unerträglich anfühlen. Und auf der anderen Seite doch so erleichternd, da er seine anscheinend starken Gefühle für mich nicht einfach ignorieren und unterdrücken konnte.

Und dann sah er mich. Krank, mit einem gebleichten Gesicht, einer leicht geröteten Nase, einem schwachen und maltretierten Körper, sowie zerstückelte Seele. Ein Häufchen elend, das in seinem kleinen Bett versauerte und an seiner Kotze erstickte.

Eine Weile blieb es still zwischen uns, sodass ich meine Gedanken lauter hörte. Keiner von uns beiden ergriff eine lange Zeit lang das Wort, sondern führten unsere unausgesprochene Routine fort. Zumindest bis Taehyung die Entscheidung traf, mein Shirt austauschen zu wollen. Eine nachvollziehbare, nachdem ich in meinem Schweiß stand und kaum die Kraft dazu besaß, selbst mein Shirt auszuwechseln. Jedoch konnte ich so meinen Körper nicht vor dem Älteren verstecken.

Und all die Markierung, die ein anderer Mann auf meinem Körper hinterließ. Dementsprechend fiel Taehyungs Gesichtsausdruck aus. Sofort wurde sein Blick weicher, seine Augen größer und der Mund geweitet. In dem Moment, als er den riesigen blauen Fleck erkannte, der meine helle Haut zierte. Wie ein riesiger Schandfleck und die Hinterlassenschaften eines gewaltvollen Hass-Aktes. Meinen Körper konnte ich durch meine Erkältung schon kaum bewegen, doch der blaue Fleck, welcher mich an die vielen Schläge erinnerte, machte es keinesfalls besser. Außerdem kotzte ich zum ersten Mal direkt nach Lees Besuch, all das ungegessene Essen in mir, was auch immer ich in mir gehabt hatte zum auskotzen.

"Das... Ist frisch, Jungkook. Gestern Abend hattest du noch keine einzige Schramme an deinem Körper" Abgesehen von seinen Handabdrücken an meinem Hintern oder Taille, oder den vielen Knutschflecken überall auf meinem Körper. Doch das hier, der dunkle aus Blut und Schmerz in der Mitte meines Bauches war nicht von ihm. Selbst wenn ich es verdienen würde.

"Wer hat dir das angetan? War... War ich das?"

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