Keine Schlauheit

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Die Person blieb abrupt stehen und schaute sie kurz eindringlich an, dann machte sie einige langsamme Schritte auf sie zu.

"Na sieh mal einer an", murmelte Annika, raffte den Rock des Kleides und drehte sich um. "Mr. Darcy is in town..."

"Nick schaute sie kurz verwirrt an und begrüßte sie dann. "Cullum, was für eine... Überraschung!" Ein gekünsteltes Lächeln huschte über seine Lippen, ehe sein Blick kurz nach unten schweifte und das Kleid begutachtete, dass sie soeben trug. Nick schien davon jedoch nicht sonderlich begeistert zu sein, denn desinteressiert schaute er ihr wieder in die Augen. Das waren gerade die ersten Worte, die sie seit Wochen direkt und privat miteinander gewechselt hatten. Annika schluckte und wollte diese neue Situation nicht gleich in den Eimer befördern. Vielleicht konnten sie irgendwie wieder von vorne anfangen. Das würde sie sich zumindest wünschen.

"Auch übers Wochenende Zuhause?", fragte sie ihn deshalb, verschränkte aber die Arme vor der Brust. Sie fühlte sich plötzlich in diesem trägerlosen Kleid sehr bloßgestellt vor ihm.

"Sieht ganz so aus", meinte er lediglich und es schien nicht so, als würde er etwas hinzufügen.

"Und was treibst du hier? Hast du auch ein Faible für gigantische Abendkleider?", fragte Annika ihn zuckersüß. Seine Lippen zuckten leicht, aber dann schüttelte er den Kopf.

"Nicht wirklich. Ich bin nur hier um meinen neuen Anzug und ein Abendkleid für meine Schwester abzuholen." So so, Nick hatte eine Schwester. Das wusste sie nicht. Woher auch? Trotzdem fand sie die Vorstellung interessant, vor allem da er seiner Schwester einen Gefallen tat. Das kannte sie nicht unbedingt von ihm. Aber viel wusste sie im Allgemeinen ja sowieso nicht über ihn.

"Na dann will ich dich nicht länger aufhalten!", gab Annika von sich und hoffte inständig, dass er verschwand, bevor Diana wieder auftauchte. Sie würde ihn sonst noch über alles Erdenkliche ausfragen und sicherlich noch zum Abendessen einladen. Darauf konnte sie verzichten! Nick schien leicht vor den Kopf gestoßen, nickte aber dann und wandte sich zum Gehen.

"Man sieht sich", murmelte er und hob die Hand. Er blieb jedoch gleich wieder stehen und warf Annika einen Blick zu. "Das Kleid steht dir übrigens sehr gut", sagte er dann, nickte wieder und ging. Annika schaute ihm geschockt hinter her.

Was zum Teufel war das gerade eben? Hatte er ihr gerade freiwillig und ernst gemeint ein Kompliment gegeben? Und das, nachdem sie ihn letztens so unmöglich angefahren hatte? Oder log er sie nur an um nett zu spielen? Oder um sie womöglich dazu zu bringen, dieses Kleid anzuziehen, um sich selber zu blamieren, weil es ihr eigentlich gar nicht stand?

"Oh Annika, wer war denn der nett aussehende Herr eben?", fragte sogleich ihre Oma und Annika fuhr erschrocken zusammen.

"Oh, das war nur mein Handballtrainer von der Carmelot-Schule", versuchte Annika ihre Oma abzuwürgen, die ihm misstrauisch hinterher schaute.

"Ach, du spielst immer noch diesen schrecklichen Sport? Das werde ich niemals verstehen...", meinte sie kopfschüttelnd. "Aber wie heißt er?" Mit einer kurzen Handbewegung ließ sie der Angestellten verstehen, dass sie die neu ausgewählten Abendkleider in die Umkleidekabine hängen sollte.

"Ähm, Nick Brighton", murmelte Annika.

"Brighton? So, so...", meinte Diana kühl und Annika befürchtete schon, dass sie ihn kannte. "Hast du ihn zum Essen eingeladen?", fragte sie dann gefühllos, aber Annika schüttelte lediglich den Kopf. "Ach Annika, ich dachte die Schule hätte dir einige Manieren beigebracht!", schimpfte sie und schubste Annika Richtung Umkleidekabine, aber irgendwie glaubte Annika nicht, dass ihre Oma den Tadel Ernst gemeint hatte.

"Ähm Oma, ich bin mir mit diesem Kleid ein wenig unsicher. Meinst du nicht, wir finden vielleicht ein besseres?", fragte Annika dann auf dem Weg und erntetet von ihrer Oma deswegen nur einen strengen Blick.

___

Als Annika in den Flur ihrer Londoner Wohnung eintrat, stieg ihr der wohlbekannte Duft nach schweren Teppichen, Mahagoni-Holz und Earl Grey Tee in die Nase. Sie atmete einmal tief ein und merkte, wie sie sich entspannte. Doch, das hier war immer noch ihr Zuhause.

Diana schubste sie genervt weiter, damit sie nicht die Tür versperrte und rief schon Anweisungen in die Küche. Wie Annika soeben festgestellt hatte, waren für das Abendessen Gäste eingeladen. Natürlich wurde also nichts aus einem gemütlichen Entspannen vor dem Kamin mit William werden.

Annika stolperte einige Schritte weiter und zog sich ihren Mantel aus. In dem Moment nahm sie links von sich eine Bewegung war.

"Annika, Liebes", hörte sie ihren Opa sagen und schon fand sie sich in seinen Armen wieder. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie den wohl bekannten und geliebten Duft ihres Opas einatmete. "Ich habe dich so vermisst", flüsterte sie ihm mit heiser Stimme ins Ohr. William entgegnete darauf nichts, aber als sie sich nach einiger Zeit voneinander lösten, nahm Annika die leichten Tränen in seinen Augen wahr und wusste, dass er wegen einem Kloß im Hals nicht hatte antworten können. Sie schauten sich liebevoll an, wurden aber jäh von Diana unterbrochen.

"Was steht ihr hier so rum? Die Gäste kommen in einer halben Stunde und Annika, du musst dich noch fertig machen!", herrschte sie ihren Mann und ihr Enkelkind an. Diese grinsten sich wissend an, folgten aber Dianas Anweisungen.

"Wir reden später", flüsterte William Annika noch zu, bevor er in die Küche ging um nach dem Rechten zu sehen.

Also begab Annika sich in ihr altes Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Es war komisch in ihrem so vertrauten Zimmer zu stehen, in dem sie fünf Wochen nicht gewesen war. Aber alles war beim Alten. Die weißen Gardinen, ihren großen weißen Schreibtisch, der riesige in die Wand eingebaute Schrank, ihren fliederfarbenen Teppich unter dem schwarzen Bett, der graue gemütliche Sessel mit dem Schafsfell, ihr Bücherregal, vollgestopft mit literarischen Schätzen. Sie machte ihre Nachttischlampe an und schmiss sich für einige Minuten auf ihr Bett.

Wie um alles in der Welt war es möglich, ihrem teilweise verhassten Handballtrainer in einer Millionenstadt wie London zufällig über den Weg zu laufen? Sie legte eine Hand auf ihre Stirn und unterdrückte die leichten Andeutungen von Kopfschmerzen.

Nachdem sie sich im Geschäft von Nick verabschiedet hatte, hatte sie dauernd an ihn denken müssen und konstant nach ihm Ausschau gehalten. Gesehen hatte sie ihn aber nicht wieder. Entweder war er vorbei gehuscht, als sie in der Umkleidekabine war, oder er hatte eine andere Treppe nach unten genommen. Annika fand dies die wahrscheinlichere Variante. Nick hatte sie bestimmt nicht wieder treffen wollen.

Müde stand sie auf um sich fertig zu machen und dachte, während sie ihr Make-Up auffrischte, dass sie einfach nicht aus ihrem Trainer schlau wurde.

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Sodala meine Lieben, eine schnelle, aber relativ kurze Fortsetzung :)

Ich hoffe es hat euch trotz der Vorhersehbarkeit gefallen ;)

Lasst gerne eure Meinung mit Hilfe eines Votes oder eines Kommentars da!

Tyskerfie <3

Spiel der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt