Machtkampf oder Reiz?

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Gleich am Montagmorgen in der zweiten Woche wurde Annika in Geschichte ausgefragt und die Stunde darauf schrieben sie in Mathematik eine unangekündigte Ex. Annika hatte bei beiden Prüfungen ein gutes Gefühl, aber sie wurde sich des schulischen Drucks deutlich bewusst. Sie mochte eigentlich die Schule, vor allem weil sie es liebte, Neues zu lernen. Aber nicht mal in den Ferien konnte sie sich entspannen, weil sie immer etwas für die Schule zu erledigen hatte. Und als Perfektionistin machte sie so etwas nicht einfach nebenbei.

Besonders interessant fand Annika das Fach 'Stil und Etikette'. Es war unglaublich, dass so etwas überhaupt unterrichtet wurde, aber an dieser Schule ging es ja auch um Erziehung. Deswegen lernten sie, wie man höflich Konversation betrieb, sich beim Essen richtig verhielt, beim Begrüßen die richtigen Worte und Gesten wählte und es sonst vermied in Fettnäpfchen zu treten. Diese Stunden waren mitunter auch die lustigsten, denn die Mädels machten sich manchmal komplett zum Affen, sehr zum Vergnügen von allen, sogar von Madame Henricy. Die ungefähr siebzigjährige Französin unterrichtete nicht nur ihre Muttersprache, sondern hatte in ihrem Heimatland auch eine Schule für die Erziehung zu gesellschaftsfähigen und adäquaten Frauen geleitet. Auch an der Carmelot Schule legte sie viel Wert auf die richtige Einstellung zum Unterricht, sie konnte aber durchaus das Humorvolle an diesen Stunden sehen.

Am Abend schlenderten Annika und Nora gemütlich zum Handballtraining. Annika freute sich auf das Training. Handball war einfach ihre große Leidenschaft, sie hatte fast das Gefühl, dass sie dafür lebte. Nach ihrem Sieg am Samstag waren alle Mädchen dazu in heiterer Stimmung und für die weitere Saison äußerst motiviert. In der Umkleidekabine herrschte große Gelassenheit, in der Halle wurden alle jedoch von Nick wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

„Ich möchte noch ein paar Worte zu Samstag sagen, Mädels", fing er an. Er stand mit verschränkten Armen und einem nachdenklichen Gesichtsausdruck vor der vor ihm sitzenden Gruppe. „Also erstmals, klar, ich freue mich riesig, dass wir gewonnen haben. Das war der beste Saisonstart, den man sich als Trainer wünschen kann. Mit sieben Toren zu gewinnen ist außerdem gut für die Tordifferenz. Gut an dem Spiel an sich war aber nur die zweite Halbzeit. Ich denke ihr wisst alle, dass wir das Cullum zu verdanken haben." Nicks Blick huschte kurz zu ihr, bevor er vor sich auf den Boden schaute und weiteranalysierte. „Die erste Halbzeit war unter aller Sau. Das hat mehrere Gründe..."

„Erstens, Annika hat nicht gespielt!", warf Nora stichelnd ein. Nick schaute sie finster an.

„Der erste Grund ist, dass von der linken Seite überhaupt kein Druck ausgegangen ist. Ich weiß Megan, du kannst nichts dafür. Aber versuch's das nächste Mal mit Einlaufen, dann vergrößert sich das Spielfeld und du wirst anspielbar. Perdita, du musst viel engagierter an die Sache ran gehen. Eine gelangweilte und desinteressierte Attitüde von wegen dir ist es egal, wer gewinnt, können wir hier gar nicht gebrauchen." Die junge Frau schaute beschämt zu Boden, anscheinend hatte Nick den Nagel auf den Kopf getroffen.

„Zweitens wart ihr alle in der Abwehr viel zu freundlich. St. Michael's hat nicht besonders gute Werfer. Trotzdem haben die in der ersten Halbzeit 13 Tore hingekriegt. So etwas darf einfach nicht passieren! Ihr müsst euch absprechen und zusammen arbeiten. Klar, wir wollen schlimme Fouls vermeiden, aber lieber an einem Freiwurf, als an einem Tor schuld sein. Einfach aggressiv an die Spieler rangehen, gleich von der ersten Sekunde an. Dann wissen die auch, woran sie sind, dass sie nicht einfach machen können, was sie wollen. Wenn ihr sie dauernd festmacht, traut sich am Ende keiner mehr von denen auch nur einen Schritt nach vorne zu gehen. Und das müsst ihr in jedem verdammten Spiel machen. Deswegen werden wir heute verstärkt Abwehrübungen machen." Nick schaute in die Runde und konnte an den nickenden Mädchen erkennen, dass sie ihm Recht gaben.

„Und zu guter Letzt geht es um den Angriff. Mädels, ihr könnt alle gezielt werfen und ihr könnt alle bei einer guten Chance ein Tor schießen. Das Problem am Samstag war einfach, dass ihr diese Chancen gar nicht hattet. Ihr habt es nicht geschafft, dass sich Lücken auftun. Woran lag das?", fragte er. Keine der Mädchen machte Anstalten zu antworten, also wandte Nick sich Annika zu. „Cullum, du hast alles von außen beobachtet, was war das Problem?"

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