"Bist du dir sicher, dass du nicht mit willst?", fragte Annika sicherheitshalber nach, als sie fertig angezogen vor der Zimmertür stand.
"Ja, bin ich. Ich muss mich ausruhen und meine beginnende Grippe kurieren", erwiderte Caro schwach und mit gespielt erkälteter Stimme. Sie war überhaupt nicht krank, hatte sich aber, nachdem sie am Nachmittag ein Mal genießt hatte, eingebildet, dass sie bestimmt am Tag des Balles bettlägerig sein würde. Und jetzt traute sie sich nicht nach draußen in die Kälte.
"Meinst du nicht, dass du ein wenig übertreibst?", kam es von Rebecca, die auf dem Bauch liegend auf ihrem Bett ein Buch las. Sie wollte auch nicht mit ins Barklay's, was aber einfach daran lag, dass sie keine Lust hatte.
"Ich habe das ganze Jahr auf morgen gewartet, da darf nichts dazwischen kommen. Erst Recht nicht eine Erkältung. Wie soll ich bitte mit roter Nase und wässrigen Augen Gabs Partnerin sein? Er wird sich schämen!"
"Ach so einen Quatsch! Du wirst wunderhübsch aussehen und Gab wird stolz sein", widersprach Annika, die sich noch ein letztes Mal im Spiegel begutachtete. Sie hatte ihre Haare mit ein wenig Volume-Spray und Fiber-Wachs unordentlich aufgeputscht, ihre Augen dunkler geschminkt, sich sonst aber schlicht in schwarz gekleidet. Ein typisches Pub-Outfit eben.
"Joe wird stolz sein", kam es betont von Caro, die amüsiert mit den Augenbrauen wackelte. "Du hast dich für ihn ganz schön schick gemacht."
"Ach bitte", schnaubte Annika lachend. "Ich bin sowas von nicht an Joe interessiert!"
"Wer sagt, dass ich mit 'ihn' Joe gemeint habe?" Caro grinste frech.
"Junge Dame, ich denke, Sie sind mehr als gesund!"
"Nein, bin ich nicht", erwiderte Caro, hüstelte gespielt und kuschelte sich noch mehr in ihre Decke.
"Ich werde schon dafür sorgen, dass sie nicht stirbt", murmelte Rebecca und Annika bedankte sich übertrieben bei ihr.
"So, ich mach' mich dann vom Acker. Bis später!" Sie verließ ihr Zimmer und zog sich im Gehen ihre Jacke über. Joe würde vorne am Feldweg auf sie warten, damit sie nicht alleine in der Dunkelheit zum Pub laufen sollte. Die Keilabsätze ihrer Stiefeletten gaben auf dem dunklen Teppich der Flure ein dumpfes "Klonk" von sich, sonst war es ganz still im Internat. Selbst in der Eingangshalle waren nur eine Handvoll Mädchen, die sich leise unterhielten.
Annika klappte ihren Mantelkragen nach oben, öffnete die Eingangstüre und begab sich nach draußen. Ihr Atem zeichnete sich als weiße Wolke vor ihr ab und sie zog ihre Jacke noch enger um sich. Auch vor dem Hauptgebäude war es still und ein wenig gruselig fand sie die Ruhe schon. Nur der Wind jaulte und die kahlen, hohen Bäume im Wald raschelten.
Mit schnellen Schritten ging sie zum Waldrand und erkannte dann auf die Entfernung eine dunkle Gestalt, die lässig an einem Baumstamm lehnte. Das musste Joe sein; lächelnd beschleunigte sie ihren Gang.
Als auch er sie erkannte, stützte er sich vom Baum ab und ging ihr entgegen.
"Hey!", begrüßte sie ihn.
"Hey Süße!", erwiderte er und zog sie in eine kurze Umarmung. Er behielt einen Arm um ihre Schultern und zog sie mit. "Lass uns schnell gehen, ich erfrier hier gleich."
"Hast du lange auf mich gewartet?" Annika sah zu ihm auf.
"Mein ganzes Leben", seufzte er theatralisch und hielt sich eine Hand an sein Herz. Amüsiert lachte sie kopfschüttelnd. Joes Art könnte auf andere vielleicht anmaßend oder flirtend wirken, doch irgendwie kam es für sie so nicht rüber. Joe erinnerte sie ein wenig an Peter und deswegen sah sie in ihm nichts mehr wie einen Cousin oder Bruder.
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Spiel der Liebe
Teen FictionAnnika wächst bei ihren Großeltern in London auf, die alles darauf setzen sie zu einer richtigen Dame zu erziehen und sie auf formvollendeter Weise in die Gesellschaft einzuführen. Annikas Leben ändert sich jedoch schlagartig, als sie auf ein Intern...