Commander Isaac Miller

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Widerwillig nahm ich meine aktuelle Situation an, ich hatte so oder so keine andere Wahl. Sobald ich aufstehen würde, würde ich vermutlich sofort wieder zusammensacken.

Ich entschied mich dazu, die Krankenschwestern bei ihrer Arbeit zu beobachten. Um einen der Soldaten kümmerten sie sich besonders intensiv, vermutlich hatte es ihn noch schlimmer getroffen als mich.

Zu gern wäre ich aufgestanden und hätte mich erkundigt. Immerhin schienen das hier meine Kameraden zu sein, wenn ich eins und eins richtig zusammenzählen konnte.

Allerdings waren die meisten der Betten leer. Entweder hatten es die meisten geschafft zu fliehen oder sie waren gestorben. Eine andere Möglichkeit gab es fast gar nicht.

Ich beobachtete, wie sich eine der Krankenschwestern, um die Kopfwunde eines anderen Soldaten kümmerte. Behutsam tupfte sie das getrocknete Blut von seiner Stirn. Anschließend brachte sie das neue Pflaster an und entsorgte den Müll im dafür vorgesehenen Behälter.

Mit langen, graziösen Schritten kam sie auf mich zu, auf ihren Lippen lag ein kleines Lächeln. Mit jedem Schritt den sie machte, wippten ihre blonden Locken auf und ab. Wie eine typische Krankenschwester wirkte sie nicht auf mich. Nicht einmal ihre Haare hatte sie zusammengebunden.

Wortlos begutachtete sie meine Krankenakte, bevor sie anfing sich Handschuhe über zu ziehen. Als erstes entfernte sie den Infusionsbeutel und tauschte ihn gegen einen mit einer leicht rosafarbenen Flüssigkeit aus. Anschließend schob sie weiße Decke etwas beiseite und begutachtete die lange Narbe auf meinem linken Bein.

"Spüren Sie das?", fragte sie in einer hohen Stimme und legte ihre Hand an die Außenseite meines Oberschenkels.

"Nein", antwortete ich knapp.

"Das wird schon wieder, in ein paar Tagen sind sie wieder auf den Beinen."

Sie redete hier gerade mit dem Feind und das mit mehr Worten als eigentlich nötig. Hatte man ihr nicht beigebracht das so etwas Fehl am Platz war? Mit dem Feind werden nur die nötigsten Worte gewechselt. Kein Smalltalk, keine Genesungswünsche und erst recht kein Mut machen. So etwas wie Menschlichkeit existierte in einem Krieg nicht.

Ich antwortete nicht, sondern beobachtete sie nur dabei, wie sie die Wunde anfing zu desinfizieren, bedachte darauf die Fäden nicht zu lockern. Anschließend benetzte sie die Haut mit einer weißen Salbe, legte Kompressen über die Narbe und legte die Decke zurück über meine Beine.

Als nächstes machte sie sich an meinem Oberkörper zu schaffen. Sie wechselte den Verband, brachte ein neues Pflaster an und desinfizierte auch hier kleine Wunden. Meines Erachtens wären ein paar der Berührungen, die sie machte, nicht nötig gewesen. Ihre langen, schlanken Finger berührten meine Haut immer wieder unnütz.

Ich sagte doch, Amerikaner sind dumm. Vermutlich war sie eine von der Sorte, die regelmäßig Abends bei den Commandern im Büro auftauchten.

Zu guter Letzt war mein Gesicht an der Reihe. Gleiche Prozedur wie eben auch; desinfizieren, eincremen und ein neues Pflaster. Immer wieder suchten ihre Augen meine, doch ich blickte einfach starr geradeaus.

"Gut Herr Johnson, das wars dann. Mit etwas Ruhe wird das wieder." Sie notierte etwas auf dem Zettel an meinen Füßen und zwinkerte mir noch zu, bevor sie sich von mir abwendete.

Unloyales, naives, dummes kleines Mädchen.


Ein paar Stunden waren vergangen, bevor sich wieder jemand an mein Bett begab. Dieses Mal war es allerdings keine Krankenschwester, sondern ein schwer bewaffneter Soldat. Anhand seiner Uniform konnte ich erkennen, dass es der Commander war.

Ein Commander war ein hochrangiger Soldat, welcher die Offizierslaufbahn beendet hatte. Er hatte in der aktuellen Situation das Sagen, bekam seine Befehle allerdings ebenfalls von seinem Vorgesetzten; dem General.

"Sergeant Johnson", sagte der Commander schon von weiten. Wobei er dieses "Sergeant" eher ausspuckte als aussprach.

"Wir haben Fragen an Sie, entweder Sie kooperieren oder es wird schmerzhaft."

So etwas habe ich mir fast gedacht. Sie hatten mich gerettet um an nützliche Informationen zu kommen. Informationen über die Biowaffe. Die Biowaffe die alles zerstört hatte. Doch diese Informationen würden sie niemals von mir bekommen. Nur über meine Leiche.

„Ich hoffe für Sie, dass Sie kooperieren werden. Es wäre tragisch so ein schönes Gesicht verunstalten zu müssen."
Mit diesen Worten verließ er das Krankenlager wieder.

Ich wusste nicht wirklich was ich von dieser Situation halten sollte. Warum waren Amerikaner so komisch?

Drei Tage später

Mit Stützen konnte ich mittlerweile alleine aufstehen. Dafür wurden mir sogar regelmäßig die Handschellen entfernt.
Allerdings durfte ich mich nur innerhalb des Krankenlagers bewegen.

Die beiden Ausgänge wurden vierundzwanzig Stunden am Tag von zwei Wachen mit Sturmgewehren überwacht. Sie besaßen die neusten und modernsten Waffen, absolut verständlich das wir keine Chance gegen sie hatten. Die ICR-1 war weitaus besser als unsere KN44.

Das Lager war ruhig, es wirkte fast so als wäre es ziemlich abgeschottet. Ich hatte keine Ahnung wo wir uns befanden, ich konnte nicht mal sagen ob wir noch in England waren. Vielleicht irgendwo außerhalb. Denn bis jetzt gab es kein einziges Mal einen Bombenalarm.

Die anderen Soldaten kannte ich nicht. Zwar waren es Engländer, dennoch waren sie nicht in meinem Besatzungsteam. Viel Zeit mich mit ihnen zu unterhalten hatte ich sowieso nicht, es wurde uns untersagt. Nach und nach wurden es weniger, ich hatte keine Ahnung wohin sie gebracht wurden.
Manchmal kam einer hinzu. Im Großen und Ganzen waren wir meistens nur zu dritt.

„Sergeant Johnson", hörte ich eine tiefe Stimme sagen. „Wie ich sehe können Sie laufen."

Da war wieder dieser Commander Miller. Er schaute mich von oben bis unten an und fixierte schlussendlich mein Gesicht.

„Wenn es Ihnen schon so gut geht, erwarte ich in vierundzwanzig Stunden eine Entscheidung von Ihnen." Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er hielt sich offenbar für etwas besseres und fühlte sich bestätigt, weil er die Macht über mich hatte. „Wir sehen uns dann morgen um die selbe Zeit", sagte er noch bevor er mich ein letztes Mal musterte und wieder ging.

Kraftlos ließ ich mich auf mein Bett fallen. Mir ging es alles andere als gut. Mehr als ein paar Schritte konnte ich nicht gehen und noch dazu schmerzte mein ganzer Körper. Vor allem meine Rippen machten mir zu schaffen. Bei jedem Atemzug verkrampfte sich die Muskulatur herum um die Brüche.

Der morgige Tag konnte ruhig kommen, ich würde sowieso nichts sagen.

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Was denkt ihr über Isaac Miller?🤔

War, Love, and other feelings [Band 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt