Spekulationen

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Wie versprochen tauchte Commander Miller am nächsten Tag wieder auf. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, ich dachte eher ich hatte ihn Gestern ziemlich abgeschreckt.

Meine Schmerzen waren schlimmer als gestern. Vermutlich weil das Adrenalin nicht mehr in meinem Blut war. Manche Menschen hatten genau deswegen nach schlimmen Unfällen überhaupt keine Schmerzen.

Commander Miller ging wie gestern wortlos vor mir in die Hocke und begutachtete mein Gesicht. „Sieht echt übel aus", sagte er. „Aber mach dir nichts draus, selbst so siehst du noch schön aus." Auf seine Lippen schlich sich ein kleines Lächeln.

Ich verstand diesen Mann nicht.

„Ich habe hier erstmal Schmerzmittel für dich." Er drückte zwei weiße Pillen aus der Verpackung und reichte sie mir zusammen mit einer neuen Flasche Wasser. Zwei Tabletten sind gut, eine würde nicht helfen.

„Und nochmal etwas Antibiotikum."

Ich kooperierte mit ihm, immerhin war es zu meinem Vorteil. So könnte ich überleben und war eventuell irgendwann stark genug zu fliehen. Falls ich die weitere Folter überleben würde.

Er kümmerte sich wieder um meine Wunden im Gesicht und an meiner Brust. Die verbrannten Stellen sahen echt übel aus, schmerzten aber immerhin nicht so stark.

„Wenn das Verhör morgen vorbei ist, dann kann ich dir bessere Medikamente geben. Du musst Ihnen morgen sagen was sie hören wollen." Er schaute mich eindringlich an.

„Das werde ich nicht", antwortete ich. „Ich bin loyal."

„Loyal wem gegenüber? Deinem Commander? Deinem General? Deinen Kameraden? Davon ist fast nichts mehr übrig. Es gibt nichts mehr zu retten."

Wortlos schaute ich ihn an. Ich musste mich nicht erklären, außerdem schmerzte reden viel zu sehr.

Commander Miller reichte mir wieder ein Brötchen. Doch dieses mal ging er nicht, sondern setzte sich neben mich.

„Ich bewundere deinen Mut und dein Durchhaltevermögen, du scheinst ein sehr loyaler Soldat zu sein.", fing er an zu sprechen. „Allerdings ist die Situation aussichtslos."

War sie das wirklich? Ich war mir nicht so sicher.

„Es gibt nichts mehr zu verstecken, die englische Armee ist zum größten Teil gefallen. Die wichtigsten Standorte haben wir vor Tagen schon eingenommen oder in die Luft gesprengt." Er drehte seinen Kopf zur Seite und schaute mich an. „Die englischen Oberhäupte sind gefallen. Die Königin und der König haben kapituliert. Für was oder wen willst du denn noch loyal sein?"

Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. „Wirklich?", fragte ich schockiert.

Er nickte. „Ich sage die Wahrheit. Dieser Krieg war von Anfang aussichtslos. Die wenigen Männer und Frauen die jetzt noch kämpfen, kämpfen nur noch auf ihren Tod hin."

„Du weißt was passiert wenn man einen Befehl missachtet", sagte ich. Die Medikamente zeigten endlich ihre Wirkung und linderten die Schmerzen ein wenig. „Mein Befehl ist es, dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen."

Commander Miller seufzte. „Wer soll dich bestrafen, wenn niemand mehr da ist? Hier wirst du sterben wenn du nichts sagst."

Ich konnte meinen Blick nicht von seinen Augen abwenden, ihre Farbe und Form war irgendwie faszinierend. So richtig graue Augen hatte ich noch nie gesehen.

„Hm", sagte ich schließlich und schaute wieder gerade aus. „Ich weiß nicht was ich tun soll."

„Sag Ihnen morgen was du weißt."

„Das zeugt von Schwäche und ich bin alles andere als schwach." Ich war nie schwach gewesen, nicht mal als Kind. So wurde ich erzogen.

„Das ist nicht schwach, sondern klug. Sinnlos in den Tod zu rennen ist dumm. Du bist nicht dumm, das merkt man."

Natürlich war ich nicht dumm, ich handelte immer zu meinem Vorteil.

„Was passiert danach? Dein General lässt mich niemals gehen."

„Nicht jetzt, aber wenn der Krieg vorbei ist. Und das ist er bald."

„Wieso hilfst du mir?"

Er zuckte mit den Schultern. „Ich hab dich nicht gerettet um dich dann sterben zu lassen", sagte er. „Außerdem finde ich deinen Mut und deine Stärke bewundernswert. Mal davon abgesehen siehst du gut aus."

„Wieso sagst du immer das ich gut aussehe?", fragte ich verwirrt. War er schwul? Schwule Soldaten waren 2084 keine Seltenheit mehr. Schon vor rund 60 Jahren hatten sich die Ansichten dazu geändert. Noch früherer war sowas allerdings überhaupt nicht gerne gesehen und wurde verhöhnt.

„Weil das nun mal die Wahrheit ist", sagte er grinsend und stand auf. „Also reiß dich zusammen und rede morgen."

Commander Miller packte sein Zeug wieder zusammen, inklusive der Wasserflaschen und der Aluminiumfolie, denn morgen würde General Winston wieder auftauchen und dürfte nichts davon erfahren.

Kurze Zeit später saß ich wieder in absoluter Dunkelheit. Dieses Mal war es nicht ganz so schlimm, denn die Schmerzmittel würden noch eine Weile wirken. Und ich hatte ein Thema über das ich nachdenken konnte; Commander Miller.

Ich hatte über seine Sexualität spekuliert. Und dadurch auch über meine. Ich hatte nie wirklich Zeit gehabt mich damit zu befassen. Immerhin war ich seitdem ich fünfzehn bin im Krieg und vorher hatte mich mein Vater stark eingespannt. In meiner Schulzeit hatte ich nie bemerkt wenn jemand in mich verknallt war, meine Gedanken waren meistens schon beim Schießtraining mit meinem Vater. Mein bester Freund John hatte es mir dann immer nur im Nachhinein erzählt.

Es war zur nicht der beste Zeitpunkt um über so etwas nachzudenken, aber immerhin konnte ich mir so die Zeit vertreiben.

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Warum wird sich Commander Miller wohl so gut um Nathan sorgen?🤔 Was denkt ihr?

War, Love, and other feelings [Band 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt