Kapitel 29
Hitch
Sie konnte nicht einfach weglaufen, sich nicht einfach verstecken und tatsächlich glauben, er würde das alles einfach geschehen lassen. Wenn Hitch ehrlich war, hatte er nur darauf gewartet, dass bei Veronika diese Mauer aus Ignoranz und purem Trotz anfing Risse zu bekommen und sie von ihrer Trauer hinweggespült wurde wie ein Papmascheehaus. Denn sie trauerte nicht nur um ihre Mutter, sondern auch um sich selbst, da war er sich sicher. Veronika war unfassbar charakterstark, aber wenn es um ihre Gefühle ging, war sie noch nie dazu in der Lage gewesen, damit gesund umzugehen. Sie schloss alles so lange weg, bis ich die Tür nicht mehr zuschieben ließ und sie unter der Welle, die sie dann begrub, fast erstickte.
Selbst wenn sie weglief und sich versteckte, in der Hoffnung niemand würde ihr diese vermeintliche Schwäche ansehen, so würde Hitch doch niemals zulassen, dass sie das alleine durchmachen musste. Dass wie weiter in diesen Ozean ertrank.
Er war doch hier. Er würde sie im Arm halten, sie trösten und sich um sie kümmern, so wie er es am vergangenen Abend getan hatte. Und sie würde ihm gewähren lassen, wie sie es ihm versprochen hatte.
Deswegen zögerte Hitch auch nicht, die Damentoilette zu betreten und sich genau vor der einen verschlossenen stellte.
"Sperr mich nicht aus, Kitten. Nicht nach gestern Abend, das hast du versprochen", meinte er und konnte seine Frustration selbst kaum zurückhalten. Er war auf ihrer Bitte hin dageblieben und hatte ihr klargemacht, dass er das nur tun würde, wenn sie aufhörte ihn davon zu stoßen. Denn das würde er verdammt nochmal nicht mehr verkraften.
Veronika konnte sich nicht an ihn drücken, auf Trost hoffen und erwarten, dass ihn das kaltließ.
Dafür war das, was zwischen ihnen gewesen war und immer noch irgendwo in seinem Inneren lauerte, zu intensiv. Doch anstelle einer Erklärung hörte er lediglich ein hicksendes Luftholen, als versuchte sie immer noch nicht zu weinen.
"Veronika, mach auf oder ich schwöre dir, ich trete diese Tür ein, schleif dich auf dein Zimmer und erzähle jedem die Wahrheit darüber, warum es dir gerade so schlecht geht!", drohte Hitch und bei der Aussicht auf diese Weise enttarnt zu werden, reagierte Veronika genau so, wie er es sich gedacht hatte.
Sein Kitten riss die Tür von innen auf und funkelte ihn aus tränen nassen, aber wütend glitzernden Augen an. Das Kätzchen hatte die Krallen ausgefahren und war dabei so hinreißend, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte.
"Das wagst du nicht!", meinte sie mit schwacher Stimme, aber Hitch verschränkte nur die Arme vor der Brust und sah mit einer hoch gezogenen Augenbraue an, die ihr alles darüber verraten sollte, was er sich alles wagen würde.
Er mochte Elija und Melody, war dankbar für die Einladung zur Hochzeit gewesen, weil er so in Veronikas Nähe hatte sein können, aber seine oberste Priorität galt nicht Melodys Traumhochzeit.
Veronika sollte ihre Trauer nicht herunterschlucken müssen, damit war er seit gestern schon nicht einverstanden, er verriet sie nur nicht, weil er ihren Willen respektierte. Doch dieser Respekt endete genau an der Stelle, an dem es ihm zum Nachteil gereichte. So einfach war das. Er war in Bezug auf Veronika ein knallharter Opportunist.
"Versuch es, Kitten. Ich würde eine ganze Menge Dinge tun, um dafür zu sorgen, dass du dich endlich so verhältst, wie du solltest!", meinte er und Veronika schnaufte abfällig und mit verschniefter Nase ertönte dabei ein kleines hohes Fiepen, dass er unwillkürlich niedlich fand.
"Ach und du weißt natürlich, wie man sich in meiner Situation verhalten sollte, ja?", fragte sie, aber Hitch nickte selbstbewusst. Natürlich wusste er sehr gut, dass jeder anders trauerte. Vielleicht auch so kalt reagierte, wie es Veronika versuchte. Aber alleine die Tatsache, dass sie selbst jetzt in ihrer Wut, kaum die Tränen zurückhalten konnte bewies, dass ihre Art der Trauer alles andere als kalt ablief. Das hätte auch nicht zu ihr gepasst. Veronika war alles andere eiskalt. Sie war hitzköpfig, exzentrisch und so intensiv, dass es ihn damals fast verbrannt hätte.
Aus dem unbändigen Wunsch heraus, ihr zumindest ein wenig Trost zu spenden, streckte Hitch eine Hand nach ihr aus, worauf sie fast panisch zurückwich.
"NICHT!", meinte sie nun kein bisschen mehr wütend. Sie schien fast verzweifelt. Wesswegen verstand er nicht wirklich und er zwar der festen Überzeugung,dass auch Veronika es nicht wirklich wusste. Vielleicht würde sie das erst in ein paar Stunden selbst verstehen oder niemals. So waren Gefühle eben, meistens war man eher der beherrschte als der Herrscher über sie.
"Ich halte das nicht aus, wenn du mich berührst!", gestand sie erstickt und für einen Moment dachte Hitch darüber nach, tatsächlich wieder auf Abstand zu gehen, aber dieser verletzte Ausdruck in ihrem Gesicht machte es ihm unmöglich.
Er ging wieder ein paar Schritt auf sie zu, in die Kabine hinein, die Veronika keine weitere Möglichkeit gab sich zurückzuweichen. Dann zog er sie in seine Arme und für einen Moment war es so still zwischen ihnen, dass Hitch schon glaubte, sie wäre in seinen Armen zersprungen.
Sie weigerte sich einen laut von sich zu geben während ihr die Tränen wie ein Bach die Wange herunterliefen und sie dinge murmelte die für ihn auf den ersten Blick keinen Sinn ergaben.
"Ich will nicht so um sie trauern. Ich will nicht so viel für sie empfinden. Sie war keine gute Mutter. Sie war egoistisch und toxisch", schniefte sie und Hitch legte seine Hand auf ihren Hinterkopf und fuhr ihr über die Haare.
Vielleicht war es rational betrachtet tatsächlich merkwürdig, dass Veronika so um ihre Mutter trauerte, aber seit wann war ein Gefühl wie Trauer rational? Seit wann vermissten Menschen nur die Leute, die ihnen außschließlich gut getan hatten, seit wann hörte man einfach so auf jemanden zu lieben, weil dieser einen schlecht behandelte? Gerade wie eine so reine und bedinungsloseliebe wie ein Kind sie für seine Eltern empfand.
"Ich will mich nicht an diese glücklichen Stunden mit ihr erinnern. Mich nicht damit quälen. Nicht nur das sehen, was ich als Kind nur hatte sehen wollen. Ich will mich an sie erinnern, wie sie wirklich war", hauchte sie und dabei musste Hitch nun wirklich etwas lächeln. Ja. Wenn das doch so einfach wäre. Ein Kind, dass seine Eltern so sah wie sie tatsächlich waren, unverfälscht ohne die Gefühls-getrübte Sicht auf das alles. Ob es das je irgendwo geben wird.
"Du musst dich für deine Tränen nicht schämen, Kitten. Dir keine Vorwürfe machen, weil es dir nahe geht. Sie war deine Mutter. Vielleicht hat sie deine Gefühle nicht verdient, aber darum geht es nicht. Es geht um dich, also weine, wenn dir danach ist. Erinnere dich an die guten Zeiten, vergiss alles gemeine und fiese an ihr. So lange wie es dir damit besser geht, ist es perfekt", meinte er und jetzt hörte er ein ernsthaftes Schniefen und ihre zierlichen Finger krallten sich an ihn als wäre er ein Fels in der Brandung.
So standen sie eine Weile da, Veronikas Gesicht an sein Hemd gedrückt und er mit schlechtem Gewissen, weil es sich viel zu gut anfühlte, sie auf diese Art in den Armen zu halten, wo Veronika doch gerade litt.
Doch lange konnte er sich damit nicht befassen, denn vor der Toilette war lautes Gewese zu hören und Hitch ahnte, dass er nicht der Einzige war, der Veronika beistehen wollte.
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Let me Deep, Kitten - Seven Sins
RomansaSie war nie die Protagonisten in ihrer eigenen Geschichte gewesen. Nicht, als die Klischee Neue ihr, dem beliebtesten Mädchen der Schule, den Freund ausspannte und dann auch noch, sie selbst die Böse in dem Spiel sein sollte, und auch nicht als sie...