Kapitel 10

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"Ich soll dieses Blatt jetzt wirklich für einen Monat im Mund behalten?", fragte Ron ungläubig und brachte damit den sonst so besonnenen, geduldigen Remus fast zur Weißglut. Außerdem war der Vollmond nur noch wenige Stunden entfernt, was ebenfalls zu seiner gereizten Stimmung beitrug. "Ron, denkst du, ich gebe dir jetzt eine andere Antwort als die letzten zwanzig Mal?"
Betrübt schüttelte der Rotschopf mit dem Kopf. "Aber ich hatte Hoffnung. Merlin, wie soll man denn damit essen?" Der Werwolf grinste. "Wer, wenn nicht du, würde dafür in jedem Fall einen Weg finden?"
Die beiden grinsten sich kurz an, ehe Remus' blasses Gesicht wieder ernst wurde. Seine Augen wanderten abwechselnd zu dem Alraunenblatt in Rons Hand und zu dessen Gesicht.
"Ist ja gut, ich mach's ja schon!", gab sich dieser schließlich geschlagen und stopfte sich, ehe er sich umentscheiden konnte, das Blatt unter die Zunge.
"Verdammt, das wird anstrengend", seufzte er und Remus lachte.
"Oh ja, das wird es. Aber du schaffst das. Und dann müssen wir uns nach heute Abend mal Gedanken machen, welche Form als deine Animagusgestalt dabei in Frage kommen könnte."

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Am Abend des folgenden Tages fand die zweite Zusatzstunde statt. Der Raum der Wünsche sah genauso aus wie zwei Tage zuvor und auch die Schüler waren unverändert motiviert.
"Heute werde ich den Patronus bestimmt schaffen", sagte Marlene entschlossen.
"Ich werde mich für jeden freuen, der es heute schafft, aber setzt euch bitte nicht unter Druck. Gerade beim Patronus sollte man sich entspannen. Kann man das nicht, so kommt keiner zustande und das kann unter Umständen sehr problematisch werden." Als er das sagte, warf der ältere Sirius einen Blick zu den anderen zwei Zeitreisenden, die als einzige den Schmerz hinter diesen Worten kannten und hörten. Schließlich hatte Sirius sich damals in Godric's Hollow doch selbst nicht entspannen können.
Unwillkürlich fragte sich Harry, wie es nun wäre, wäre es anders geschehen. Was könnte er haben, hätte Sirius damals allen Schmerz über Peters Dreistigkeit und Verrat sowie alle Zweifel bezüglich des Zaubers aus seinem Kopf verbannt?
Er vermisste seine Eltern und manchmal schmerzte es so sehr, dass er kaum richtig atmen konnte. Gerade in dieser Zeit, in der er ihnen so quicklebendig begegnete, in der er ihnen Charaktereigenschaften zuordnen konnte, in der er sie als Menschen kennenlernte, wurde ihm jeden Tag mehr und mehr bewusst, was er damals in dieser Nacht alles verloren hatte.
Kurz schüttelte der Viertklässler den Kopf, um seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Paten zu richten. Dieser erklärte gerade das Prozedere, das er sich überlegt hatte.
"Wir werden die Stunde heute in zwei große Abschnitte teilen. Zuerst wird der Patronus weiter geübt. Wer ihn schon beherrscht, zeigt ihn mir und beschäftigt sich dann mit dem Colloportus. Dieser Zauber verriegelt Türen, Fenster oder Ähnliches, sodass sie nicht mehr von Hand geöffnet werden können. Der Gegenzauber ist Alohomora. Ihr alle solltet in der Lage sein, ein Schloss gut und sicher zu verschließen. Ihr könnt das dann selbst nachprüfen. Wer auch dies schon beherrscht, kommt zu mir und bekommt eine neue Aufgabe. Im zweiten Teil der heutigen Stunde werdet ihr lernen, Menschen in einem Gebäude oder Raum ausfindig zu machen und wie man mit seinem Patronus Nachrichten überbringt. Aber das erkläre ich euch später. Jetzt legt erstmal los", sagte der Erwachsene und machte eine Handbewegung in den Raum hinein. Die Schüler verteilten sich und jeder begann, zu üben, während Sirius hier und da half.

Während Lily, James, Sirius, Remus, Dorcas, Alice und Frank ihre Erfolge der gestaltlichen Patroni still feierten und sich daran machten, Türen zu verschließen, rief Marlene nach einiger Zeit erfreut: "Jawoll! Ich hab's geschafft!" und bedachte ihren Patronus mit einem stolzen Blick. Auch die anderen Schüler sowie der ältere Sirius unterbrachen ihre Tätigkeiten, um sich den Beschützer der jungen Hexe anzusehen. "Wow", flüsterte Lily und beinahe alle anderen nickten andächtig.
Alle bis auf sechs Jugendliche.
"Tatze, das... du... seht ihr das auch?", stotterte James leise an seine drei besten Freunde gewandt. Diese nickten, doch keiner wandte seinen Blick von dem großen, bärenartigen, zotteligen Hund, der fröhlich mit dem Schwanz wedelnd eine Runde durch den Raum drehte.
Auch Harry und Hermine tauschten einen verwirrten Blick, ehe sie zu Harrys Paten sahen. Dieser machte eine Geste, die die beiden auf später vertröstete. Er wusste, er würde ihnen nun alles erzählen müssen und er hoffte, es würde ihn nicht zu sehr schmerzen.
Während er das Ebenbild seiner Animagus- und Patronusform anstarrte, sah er nicht nur dieses, sondern auch eine veränderte Form.
Das weibliche Gegenstück.
Es würde bald soweit sein und sein jüngeres Selbst würde der glücklichste Mensch auf Erden sein. Doch innerhalb so weniger Jahre sollte alles zerstört werden.
Er würde alles verlieren, was er je liebte.
Alles.
"Professor? Professor Star, geht es Ihnen gut?" Leise drang Franks besorgte Stimme zu ihm durch und er verdrängte die Gedanken an seine Vergangenheit in das hinterste Eckchen seines Gedächtnisses. Dann nickte er bestätigend.
"Alles bestens."

Nachdem ihm die Schüler noch einige prüfende Blicke zugeworfen hatten, machten sie sich wieder an die Arbeit. Als sowohl Hermine als auch Emmeline, Sirius, James und Remus ihre Patroni zustande gebracht und den Colloportus gemeistert hatten, gab ihr Lehrer ihnen, Harry, Lily, Marlene, Dorcas, Alice und Frank eine anspruchsvolle Aufgabe, bevor sie zum zweiten Stundenteil übergehen würden: "Versucht, diese Zauber nonverbal auszuführen. Erst den Colloportus, dann den Patronus, falls ihr noch Zeit habt. Dabei ist es wichtig, die eigene Stimme in Gedanken hören zu können, wie sie den entsprechenden Zauberspruch sagt oder ruft. Kommt zu mir, wenn ihr Hilfe braucht."
Voller Eifer machten sich die Schüler daran, das ihnen Aufgetragene zu üben und zu perfektionieren.

Als Sirius sie später erneut zusammenrief, um den zweiten Stundenteil einzuleiten, beherrschten sein jüngeres Selbst, James, Lily, Frank, Alice, Dorcas, Marlene, Remus, Harry und Hermine den Colloportus ungesagt. Harry, Remus, Marlene, Lily und James konnten außerdem einen Patronus nonverbal erzeugen, wobei Harry immer penibel darauf geachtet hatte, seinen Patronus nicht von den Rumtreibern erblicken zu lassen.
Den normalen gestaltlichen Patronus beherrschten nun alle aus der Gruppe zumindest schemenhaft und auch der Colloportus war bei fast allen nahezu perfekt.
"Ihr habt sehr gut gearbeitet und wir werden auch bald Schluss machen. Vorher bekommt ihr allerdings noch eine halbe Stunde Zeit, um einerseits den Homenum revelio und andererseits die Patronus-Kommunikation zu lernen und zu üben. Mit dem Homenum revelio enthüllt ihr alle Menschen, die sich in eurer Umgebung befinden, egal, ob sie getarnt sind oder nicht. Ihr müsst einfach nur den Spruch sagen und euch auf das Gebiet, das ihr durchsuchen wollt, konzentrieren und dann sollte das funktionieren. Die Nachrichtenübertragung durch einen Patronus ist schon schwieriger, denn dabei muss man sich sehr stark konzentrieren. Ihr dürft das Glücksgefühl nie verlieren, sonst verblasst der Patronus, der übrigens für diese Art von Zauber gestaltlich sein muss. Zudem müsst ihr euch auf die Nachricht, die das Tier überbringen soll, konzentrieren und sie in Gedanken sprechen. Wenn ihr sie eingesprochen habt, stellt ihr euch vor, wie der Patronus diese Nachricht zu einem oder mehreren Empfängern überbringt. Ihr müsst die entsprechende Person ganz klar vor Augen sehen. Wenn sich euer Patronus anschließend bewegt und zu einer Kugel formt, dann wisst ihr, dass ihr auf jeden Fall eine Nachricht überbringen werdet. Ob diese jedoch verständlich ist, hängt davon ab, wie gut ihr sie dem Patronus übermitteln konntet. Habt ihr das verstanden?"
Alle nickten, doch Emmeline fragte zögerlich: "Professor, wenn die Kugel entstanden ist, müssen wir das Glücksgefühl dann immer noch aufrecht erhalten?"
Lächelnd schüttelte der Erwachsene mit dem Kopf.
"Nein, Emmeline. Das ist dann nicht mehr nötig. Die Kugel speichert genug Glück in sich, um die Nachricht vollständig zu überbringen."
Nachdem alle Fragen beantwortet waren, wies Sirius seine Schüler an, sich in Zweierpaaren zusammenzufinden, aus denen sich jeweils einer an eine Seite des Raumes stellte, und wünschte sich anschließend eine Mauer zwischen den Schülern eines Paares.
"Führt nun bitte einmal alle den Homenum revelio aus. Konzentriert euch dabei auf den Raum der Wünsche. Wenn ihr es richtig macht, wird der Zauber euch alle Personen, die sich in diesem Raum befinden, zeigen. Ich denke, das schafft ihr alle problemlos. Wenn das erledigt ist, versucht ihr, eurem Partner hinter der Mauer durch euren Patronus eine Nachricht zu überbringen. Auf geht's!"
Er klatschte in die Hände und die Jugendlichen machten sich ab die Arbeit. Alle schafften es auf Anhieb, den Enthüllungszauber korrekt auszuführen, bei der Nachrichtenübertragung scheiterten jedoch einige - Peter, weil sein Patronus nicht stark genug war, Emmeline und Marlene, weil sie die Nachricht nicht deutlich genug formuliert hatten und Sirius und Harry, weil sie sich den Empfänger nicht mit genügend Detail vorgestellt hatten. Nach weiteren Versuchen jedoch hatten alle bis auf Peter den Dreh heraus und der Raum war erfüllt von leuchtenden, blauen Kugeln, die sich zu den unterschiedlichsten Tieren entpuppten.
Es war ein Wunder, dass weder Harrys Patronus gesichtet wurde noch Marlene Sirius' Patronus zu Gesicht bekam und so beschloss der ältere Sirius, dieses Glück nicht weiter herauszufordern und beendete die Stunde.
"Ihr wart sehr gut drauf und ich bin stolz auf euch! Wir sehen uns morgen beziehungsweise am Montag. Gute Nacht."
Nach und nach strömten alle aus dem Raum, nur die drei Zeitreisenden blieben zurück. Abwartend sahen Harry und Hermine den Hundeanimagus an, doch dieser schüttelte mit dem Kopf. "Nicht mehr heute, ihr beiden. Das hätte nur Nachteile. Lasst uns morgen Abend darüber reden, ja?", bat er.
Ergeben nickten die beiden Neugierigen.
Anschließend gingen auch sie ins Bett, um sich wenig später in Morpheus' Armen zu verlieren.

𝑑ᵢₑ ꜱ𝒑Լᵢ𝑡𝑡ₑᵣ 𝑑ₑᵣ 𝑧ₑᵢ𝑡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt