Kapitel 16

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Wenige Tage später spazierten Lily und James kurz vor der Sperrstunde über die Ländereien. Es war dunkel und kalt, doch die Sterne funkelten hell auf das Paar hinab, als sie, die Hände miteinander verschlungen, am Rande des Schwarzen Sees entlang gingen.
Mit einem leisen Seufzer brach die rothaarige Hexe schließlich die friedliche Stille.
Sogleich wandte James seinen Kopf zu Lily und versuchte, in der Dunkelheit einen Blick in ihre grünen Augen zu erhaschen.
Die Augen, die er so sehr liebte.
Die Fenster zu Lilys Seele.
Nur ein Blick in das Smaragdgrün und James wusste immer, was seine Freundin auf dem Herzen hatte, in welcher Stimmung sie war und ob es ihr gut ging.
Und auch wenn die Nacht einiges verschluckte - als der Brillenträger in diese großen, mit Tränen gefüllten Augen sah, wusste er, dass es Lily ganz gewiss nicht gut ging.
"Was ist los?", fragte er und blieb stehen, um sich Lily gegenüber zu stellen.
Diese seufzte erneut, ehe sich die ersten Tränen ihren Weg über ihre kalte Wange bahnten und auf den rot-gold-gestreiften Gryffindor-Schal tropften, den sie sich um den Hals geschlungen hatte.
Wortlos ließ sie sich von James in eine Umarmung ziehen und barg ihr Gesicht an seiner Brust.
Sanft fuhr James ihr immer und immer wieder mit seiner Hand über den Rücken und selbst durch die dicke Daunenjacke, die Lily trug, half diese Geste ihres Freundes, damit sie sich ein wenig besser fühlte.
"Es ist nur wegen... wegen meiner Eltern... Weißt du, es ist jetzt über einen Monat her und ich kann es immer noch nicht glauben... Es ist so unwirklich und es tut so weh", schniefte sie schließlich, um die ihr gestellte Frage zu beantworten.
James nickte.
Er hatte sich schon gedacht, dass Lily deswegen den ganzen Tag schon in keiner guten Stimmung gewesen war.
So wie in den letzten Tagen ebenfalls.
"Ach Lily", seufzte er und drückte ihr einen sanften Kuss auf den Kopf.
"Ich wünschte, ich könnte dir diesen Schmerz abnehmen. Mit allem, was ich über deine Eltern weiß, bin ich mir aber sicher, dass sie sehr stolz auf dich sind, dass du dich von ihrem Tod nicht unterkriegen lässt. Und auch ich bin verdammt stolz auf dich, Lils! Du bist so unglaublich stark! Und ich bin immer für dich da, wenn es dir nicht gut geht, das weißt du, ja?"
Lily nickte.
"Danke", flüsterte sie und James legte sein Kinn auf ihren Kopf.
"Nicht dafür, mein Schatz."

Irgendwann, als sie so eng umschlungen am Rande des Sees standen und die Nähe des jeweils Anderen genossen, fing Lily an, zu zittern.
"Dir ist kalt, oder?"
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, doch Lily nickte trotzdem.
Also legte James seine Hände auf die zierlichen Schultern der Hexe und drückte sie behutsam von seinem Oberkörper weg, sodass er ihr ins Gesicht blicken konnte.
Sanft nahm er ihren Kopf in seine Hände und wischte mit seinen Daumen die Tränen von ihren Wangen, bevor er sie auf die Stirn küsste.
"Komm, Süße. Wir gehen uns aufwärmen."
Lily nickte, griff nach James' Hand und gemeinsam machten sie sich auf den Weg ins Schloss.
Auch ohne Worte waren sie sich über den Weg, den sie einschlugen, einig.
Es war der Weg zur Küche.
Seitdem sie nach den Weihnachtsferien wieder nach Hogwarts gekommen waren, hatten sie den Hauselfen in diesem Raum schon oft einen Besuch abgestattet. Jedoch weniger wegen der kleinen Wesen, sondern vor allem aufgrund der wunderbaren heißen Schokolade, die in dem Raum voller wuselnder Hauselfen serviert wurde, sofern man nett darum bat.
Und auch an diesem Abend kitzelte James die Birne auf dem Gemälde, hielt Lily anschließend die Tür auf und bestellte dann zwei große heiße Schokoladen mit Sahne, Marshmallows, einer Waffel und Zimt.
"Aber natürlich, Mr. Potter, Sir. Finsy wird Ihnen und Miss Evans sofort zwei Schokoladen bringen."
Lächelnd bedankte sich James bei dem kleinen Geschöpf, ehe er sich zu Lily an den Tisch setzte.
Als diese dann schließlich ihre Hände an einer großen, dampfenden Tasse wärmte, schlich sich zu ersten Mal an diesem Abend wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Erleichtert lächelte James ebenfalls.
Er wusste, dass dieses Getränk seine Freundin immer aufmuntern konnte und war dankbar, ihr so vielleicht ein winziges Bisschen mit ihrem Schmerz helfen zu können.

Als Lily in dieser Nacht, lange nach der Sperrstunde, auf leisen Sohlen durch ihren Schlafsaal schlich, um ihre Freundinnen nicht aufzuwecken, dachte sie wie so oft, dass sie den besten aller jungen Männer zum Freund hatte.
Sie war sehr dankbar, dass James sie ohne Zögern auffing, sobald sie drohte, zu fallen. Er trug sie auf seinen Händen, bis sie wieder sicheren und festen Boden unter den Füßen hatte, weit entfernt vom Abgrund. Und selbst dann ließ er sie niemals los.
Lily wusste, dass eine derartig bedingungslose Liebe keine Selbstverständlichkeit war und sie war dafür jeden Tag aufs Neue dankbar.
Doch so sehr James sich auch bemühte, verarbeiten musste Lily die wenige Wochen zuvor geschehenen Ereignisse alleine.
Und so träumte sie auch in dieser Nacht von jenem verhängnisvollen Abend in ihrem Elternhaus.

𝑑ᵢₑ ꜱ𝒑Լᵢ𝑡𝑡ₑᵣ 𝑑ₑᵣ 𝑧ₑᵢ𝑡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt