Kapitel 20

221 16 9
                                    

Zögerlich setzte Remus einen Fuß vor den anderen, sein Ziel immer fest im Blick.
Viel zu lange war er nicht mehr hier gewesen.
Viel zu lange hatte er diesen Weg vor sich hergeschoben und immer war etwas anderes plötzlich wichtiger gewesen.
Ob die Trainingsstunden mit Ron und teilweise sogar seinen Geschwistern oder Gespräche mit Albus - er hatte jede Ausrede gerne angenommen.
Doch nun wollte und durfte er sich nicht länger davor drücken. Er musste sich dem Ganzen endlich stellen.
An seinem Ziel angekommen, umgeben von bunt blühenden Blumen, die den Sommer verkündeten, kam er langsam zum Stehen.
Gedankenverloren starrte er auf den edlen Stein aus weißem Mamor, welcher von schwarzen und grauen Linien durchzogen war.

Hier ruht, dem Auge fern,
dem Herzen ewig nahe,

Dorcas Meadows
*08.07.1960 †16.09.1981

Und die ganze Welt verändert sich,
weil Du fehlst...

Bedächtig legte der Werwolf einen großen Strauß hellblauer und rosaner Hortensien auf das Grab, bevor er sich auf seinen Knien niederließ. Dorcas' Lieblingsblumen leuchteten farbenfroh, doch in Remus' Innerem breitete sich ein bedrückendes Gefühl aus.
"Happy Birthday, mein Schatz", flüsterte er und strich über die warme Erde.
Das Grab sah Dank eines Zaubers, der es einmal pro Woche pflegte, ordentlich aus. Doch plötzlich verspürte Remus das Bedürfnis, dies selbst per Hand zu tun.
"Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid, Dorcas! Heute wärst du vierunddreißig Jahre alt geworden. Wir hätten mittlerweile heiraten können... Ich verstehe noch immer nicht, wie das damals passieren konnte. Wieso gerade du ihnen zum Opfer gefallen bist. Dorcas, ich vermisse dich so sehr!", flüsterte er.
Seine Sicht verschwamm durch die Tränen, die in seine Augen traten, während er die Erde nach und nach von kleinen Stängelchen des Unkrauts befreite.
Obwohl Dorcas' Tod nun fast dreizehn Jahre zurücklag, klaffte die Wunde in seinem Herzen noch immer. Das Blut lief zwar nicht mehr unaufhaltsam heraus, doch es war auch nichts verheilt. Und selbst wenn das irgendwann einmal geschehen würde, würde eine hässliche Narbe zurückbleiben.
Mittlerweile war mehr Zeit vergangen, in der er sich bloß an sie erinnern konnte, als die, in der sie sich gekannt hatten. 
Remus seufzte und schnäuzte sich leise die Nase, bevor er seine Augen trocknete.
Seine Gedanken wanderten in sein letztes Schuljahr.
Wie hatte er Dorcas angehimmelt, die ganze Zeit über. Wie sehr er sie doch geliebt hatte!
Merlin, er liebte sie noch immer bis in die Unendlichkeit!
Und doch war sie nur etwas mehr als drei Jahre nach ihrem Schulabschluss gestorben. Ermordet von einer grausamen Bestie, die dann jedoch von Harry aufgehalten worden war.
In seiner Brust spürte der Werwolf einen Stich, als er an Sirius' Patensohn dachte.
Damals, nach dieser verhängnisvollen Nacht des Mordes an Lily und James, war sein Leben endgültig in Scherben gerissen worden.
All die geliebten Freunde aus seiner Schulzeit waren tot, nicht mehr bei Verstand oder in Askaban. Auch um Peter hatte der Werwolf damals getrauert. Nun bereute er dies.
Remus hatte sich völlig zurückgezogen und von allem und jedem abgeschottet, anstatt für Harry da zu sein.
Er schüttelte den Kopf.
Wie hatte er dem Jugen derartiges antun können?
Im Nachhinein fraß es ihn förmlich von Innen heraus auf, dass Harry ihn nicht als "Onkel Moony" begrüßen konnte, dass er es vermutlich niemals so tun würde, wie er es mit einem Jahr noch getan hatte. Damals war er immer jauchzend vor Freude in Remus' Arme gesprungen und hatte ihn fröhlich begrüßt.
Als sie sich am Anfang des Schuljahres im Hogwarts Express begegnet waren, zwölf Jahre nach ihrer letzten Begegnung, da hatte es Remus fast das Herz gebrochen, vom Sohn seines besten Freundes gesiezt zu werden.
Doch er war selbst Schuld.

𝑑ᵢₑ ꜱ𝒑Լᵢ𝑡𝑡ₑᵣ 𝑑ₑᵣ 𝑧ₑᵢ𝑡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt