Ich wiech einer besonders großen Pfütze aus und lief etwas schneller. Wenn ich nocheinmal zu spät zur Kleinmesse kam, würde mir Mr. Parker eigenhändig den Kopf abreißen. Ungefähr so hatte er es zumindest formuliert und ich legte keinen großen Wert darauf, den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu überprüfen. Gut. Ich musste nurnoch über die Straße und war dann praktisch schon da.
"Hey, Liz! Warte doch mal!" Ich drehte mich um, stolperte über den Bordstein und landete unsanft auf dem Gehweg. Eindeutig, das war Patty. Ihr lachendes, immerfröhliches Gesicht konnte man schon von Weitem erkennen. Es war ihre große Besonderheit, das, was sie von den anderen, grauen Menschen im noch triesteren Alltag unterschied. Das mochte ich so an ihr und wahrscheinlich machte sie genau das zu meiner besten Freundin. Sie kam auf mich zugerannt, mit zwei Zetteln wedelnd, zog mich auf die Beine und grinste freudestahlend. "Ich habe dich bei der Kleinmesse gesucht und gefunden!" Mit stolz geschwellter Brust strich sie sich einmal durch die Locken. "Du arbeitest doch hier, ne?"
"Ich-"
"Egal!", unterbrach sie mich. "Das hier ist wichtiger!" Das, was sie da in den Händen und mir mittlerweile direkt unter die Nase hielt, waren Kinokarten. Mr. Parker verlor sofort an Wichtigkeit. Ich rückte ein Stück ab, um den Filmtitel lesen zu können. Patty hatte es scheinbar bemerkt, hielt sich nun eine Hand an die Wange und fing an, übertrieben zu schwärmen: "Riechst du das? Der Geruch von frisch bedruckten Kinokarten, die uns beiden heute abend eine völlig neue Welt eröffnen werden. - Vorrausgesetzt, du hast Zeit." Dabei sah sie mich erwartungsvoll an.
"Und welche Welt, wenn ich fragen darf?"
"Spongebob Schwammkopf natürlich, du Dödel!" Sie stieß mir spielerich den Ellenbogen in die Seite.
Ich grinste. Wenn sich jemand mit 16 noch so etwas anschaute, dann Patty. Lange musste ich nicht darüber nachdenken. Die Vorstellung, sich in dem Alter im Kino einen solchen Film anzuschauen, war schon etwas peinlich, aber dort würden wir wenigstens keinem aus unserer Klasse begegnen. "Gut. Ich komme mit."
"Wunderbar!" Patty lächelte. "Ich kenne sonst wirklich niemanden, der mit mir in so einen Film geht!"
"Ja, Nostalgie." Ich sah auf die Uhr der nahegelegenen Kirche. "Was? Schon so spät? Ich muss los, Patty!" Mit diesen Worten schwang ich mich auf mein Rad. "Wann beginnt der Film?"
Mit den Händen formte sie einen Trichter vor den Mund, rief mir hinterher: "Heut abend um sechs!"
"Ich werde dort sein!" Ich hob die Hand zum Abschied, Patty wedelte ihre fast schon penetrand hin und her. Keine Frage, ich würde zu spät kommen.
Mr. Parker empfing mich mit grimmiger Miene - natürlich rauchend. Sofort stieg mir der Qualm seiner Zigarre in die Nase und machte sich in meiner Lunge breit. Ich musste husten. "Entschuldigung, ich wurde aufgehalten.", keuchte ich, als ich wieder zu Atem kam.
"Du hast Glück, dass ich heute meinen freundlichen Tag habe!", blaffte er mich unfreundlich an. "Sei froh, dass ich meine Meinung noch nicht geändert hab', und dich trotzdem befördere. Wird zwar ein bisschen laut, aber du kannst dann zumindest wieder atmen." Wenigstens war er ehrlich, auch wenn mir eine Beförderung ausgerechnet an meinem letzten Arbeitstag relativ wenig brachte. In dem Häuschen, in dem ich vorher gearbeitet hatte, gab es außer einem kleinen Loch in der Glasscheibe vorne nichtmal ein Fenster zum lüften. Und man merkte, dass er in Notsituationen auch mal selbst darin saß. - Ich bezweifelte nicht, dass er ein Großteil der Kundschaft dadurch schon vorzeitig verschreckte. Den Tabakgeruch bekam man jedenfalls nichtmehr aus der Wand oder meiner Kleidung. Mein Vater hatte nach meinem ersten Arbeitstag sogar gedacht, dass ich mit Rauchen begonnen hätte. Mr. Parker drückte seine Zigarre aus, und zog mich ins Innere der Geisterbahn.
![](https://img.wattpad.com/cover/40858805-288-k652378.jpg)
DU LIEST GERADE
Schattenstimmen
FantasyEigentlich ist Liz alles Andere als abergläubig. Auch die komischen Ereignisse der letzten Tage lassen sich logisch erklären. Mehr oder weniger. Doch das plötzliche Verschwinden ihrer Freundin und die stark von den ihren abweichenden Erinnerungen de...