Ich schlug die Augen auf.
Das Bett, in dem ich lag war groß und weich.
Durch die Fenster schien Sonnenlicht.
Grandmas Gästezimmer hatte golden verzierte Wände, schwere Teppiche und beherbergte auch einen großen Kamin.
Ich setzte mich auf und schlug die Decke beiseite.
Von unten, aus der Küche waren Stimmen zu hören.
Dad!
Schnell sprang ich auf und lief die alte Wendeltreppe hinunter.
Ich rannte in die Küche und fiel meinem Vater in die Arme.
"Guten morgen, Liz." Grandma betonte jede Silbe und sah mich mahnend an.
"Morgen." Auch jetzt ließ ich nicht davon ab, mein Gesicht unaufhörlich in seinem T-shirt zu vergraben.
Glücklicherweise schien ihr dies zu genügen und sie wandt sich wieder ihrer Anrichte zu.
"Tee? Kakao? Saft? Was willst du trinken?""Kakao.", nuschelte ich in Dads Ärmel.
Sie setzte die Milch auf. "Jetzt sprich doch endlich mit ihr, Bernhard!"
Mein Vater drückte mich fester und fing an, mich wie verrückt zu tätscheln. "Mäuschen. Es... es sieht nicht gut aus." Jetzt nahm er mich an den Schultern und sah mir in die Augen. "Du musst jetzt stark sein."
Was auch immer gleich folgen würde, ich wollte es gar nicht wissen.
"Sie haben noch immer keine Spur von ihr und es besteht der Verdacht, dass sie-" Hier stockte er.
Ich senkte den Kopf und eine Träne lößte sich, lief meine Wange hinab.
Es ging um Patty. Natürlich. Ich konnte es immer noch nicht fassen.
"Aber du kannst jetzt endlich wieder nach hause!"
Jetzt hielt ich inne.
Etwas störte mich an dieser Aussage.
"Endlich wieder?"
Dad sah mich mindestens ebenso verwirrt an. "Ja- du warst doch die letzten Tage im Krankenhaus!"
Krankenhaus?
Ich hielt mir den Kopf.
"Alles okay, Liz?"
Nun kamen die Erinnerungen wieder auf. An die Schatten, das Telefonat. An Pattys Schrei.
Aber da war nichts mit 'Krankenhaus'.
"Mäuschen?"
Ich wühlte weiter panisch in meinem Gedächtnis.
Bis mich ein Geistesblitz durchzuckte, wie ein elektrischer Schlag.
"Was ist mit Patty?" Ich schrie schon fast und wieder schossen mir Tränen in die Augen.
"Aber Liz- das sagte ich doch bereits. Die Polizei hat keine weiteren Fortschritte bei ihrer Suche gem-"
"WAS IST MIT IHR?"
Grandma reichte mir eine Tasse dampfenden Kakao. "So beruhige dich doch ersteinmal, Liz!"
Ich nahm das Getränk zitternd entgegen, nippte daran und schloss die Augen.
Dad wühlte nun in seiner Tasche und zog die aktuelle Zeitung heraus.
Er strich einen Artikel glatt und legte sie vor mir auf den Tisch.
Millionärstochter entführt
Erpresser verlangen Lösegeld
Noch immer konnten die Täter - eine Bande namens 'Shadowhunters' - nicht aufgespührt werden. Die Polizei tappt im Dunkeln und Andrea Chave, die bekannte Millionärin weigert sich weiterhin, die erpresste Summe zur Befreiung ihrer Tochter Patty Chave zu zahlen. Schwebt das Mädchen in Lebensgefahr?Auf der Seite war auch ein Bild von Patty gedruckt. Überglücklich grinste sie in die Kamera.
Ich berührte das Foto vorsichtig und zuckte kurz darauf zurück, als hätte ich mich verbrannt.
"Entführt?", hauchte ich.
Was war hier los?
Plötzlich hatte ich zwei Wahrheiten vor mir und wusste nicht, welcher ich Glauben schenken sollte.
War ich jetzt verrückt geworden?
"Mach dir keine Sorgen.", versuchte Grandma mich zu beruhigen. "Die Polizei wird Patty und die Täter sicher bald finden!"
"Du siehst nicht gut aus, Patty." Besorgt legte Dad mir eine Hand auf die Schulter. "Ich glaube, es ist besser wenn wir jetzt heim gehen."
Ich nickte.
Meine Hand krampfte sich noch immer um die Zeitung, so dass die Knöchel weiß hervortraten.
×××
Dad schloss die Tür auf und trat über die Schwelle
Das aufgebrochene Fenster war mit Folie isoliert und das Wohnzimmer ordentlich.
Nichts zeugte mehr von letzter Nacht.
Aber das war doch nicht möglich!
Es war, als hätte jemand die Zeit verdreht.
Oder mein Gehirn.
Einfach alles.
Es passte nichts mehr zusammen!
Als wäre alle Logik verschwunden.
"Willst du das Buch jetzt lesen?"
"Welches Buch?" Ich sah Dad irritiert an.
"Na das, welches du dir von deiner Oma ausgeliehen hast!" Er lachte und hielt mir einen dicken Schmöker hin.
Grandmas Buch.
Ich nahm es entgegen, schlug es auf.
In einer Seite lag ein Flyer von der Geisterbahn.
Mein Flyer.
Dad lächelte aufmunternd. "Schönes Lesezeichen."

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Schattenstimmen
FantasyEigentlich ist Liz alles Andere als abergläubig. Auch die komischen Ereignisse der letzten Tage lassen sich logisch erklären. Mehr oder weniger. Doch das plötzliche Verschwinden ihrer Freundin und die stark von den ihren abweichenden Erinnerungen de...