Sommerferien. Jeder normale Mensch möchte ausschlafen. Den ganzen Tag im Bett liegen bleiben, sich am Pool sonnen oder in den Urlaub fahren. Ja, auch ich. Aber ich hatte mich entschieden. Ich schwang ich mich auf den Sattel meines viel zu kleinen Fahrrads und radelte zur Kleinmesse. Es würde sicherlich ein stickiges Kassiererhäuschen auf mich warten, in dem ich mir die Schreie übermütiger Kinder anhören konnte. "Wie unterhaltsam", witzelte eine kleine Patty-Kopie in meinem Kopf. Aber für Geld hätte ich einiges gemacht. Allerdings bestand immernoch die Möglichkeit, nicht angenommen zu werden. Ob ich mich freuen, oder viel mehr in einer Ecke zusammensinken würde, falls das eintreffen sollte, konnte ich nicht sagen.
Man hörte die Stimme schon von Weitem. "Wie kannst du es wagen, Benjamin?! Du hast dem Mädchen dort 3€ zu viel zurückgegeben! Willst du mich in den Ruin treiben?" Das war eindeutig er. Mr.Parker. Falls sein Gegenüber etwas erwiederte, hörte ich es nicht. Der Chef hörte auf zu schreien, murmelte noch etwas. Dann knallte eine Tür. Stille. Ich hatte das Atmen eingestellt, stand weiterhin reglos neben dem Langosstand herum. Irgendwie war gerade noch das letzte Fitzelchen Lust auf diesen Job verschwunden. Jemand kam um die Ecke. Ein schlacksiger Kerl, mit kurzem, blonden Haar und Kleidung, die aussah als hätte er sie von der Müllkippe geklaubt. Damit lag ich vielleicht auch nicht ganz so daneben. Fast wär ich mit ihm zusammengestoßen. Er schaute mich an, dann wieder weg, murmelte ein flüchtiges 'Tschuldigung' und wollte an mir vorbeigehen.
"Ähm, entschuldigung-"
Er blieb abermals stehen, drehte sich zu mir um. "...J-Ja?"
"Würdest du mir davon abraten bei diesem Mr. Parker zu arbeiten?"
"Wie? Was? Warum fragst du mich das? Wie kommst du darauf, dass ich bei ihm gejobbt habe?"
"Naja, also du bist doch Benjamin, richtig? Du wurdest doch gerade von ihm angebrüllt."
"Angebrüllt? Du hast uns belauscht?" Er nickte halb anerkennend halb besorgt. Gestresst. Erschrocken.
"Es war nicht zu überhören." Jetzt verschränkte ich die Arme. Irgendwas stimmte da doch nicht. Warum war Benjamin so besorgt, nein, hatte regelrecht Angst, dass ich etwas mitbekommen haben könnte? Oder bildete ich mir das alles blos ein? "Und, was ist jetzt?"
"Was?" Er war eindeutig etwas durcheinander. Ich kniff die Augen zusammen und beobachtete ihn genau. Mimik und Gestik. So etwas in der Art hatte mir Patty immer eingeschärft, wenn sie wieder mit einem ihrer Krimis durch war. Benjamin schien sichtlich nervös. Er kratzte sich am Nacken, schaute auf den Boden und trat von einem Bein auf das Andere.
"Na, ob du es mir abraten würdest!"
"Abraten? Ähm, ja! Klar! Such dir lieber einen anderen Job."
Ich zog, wie so oft, eine Braue nach oben, schüttelte leicht den Kopf und stapfte an ihm vorbei. Nuschelte noch etwas zum Abschied. Er hatte irgendetwas zu verheimlichen. Und wenn Mr. Parker eine noch so unangenehme Gesellschaft wäre - ich würde mich von ihm nicht abespeisen lassen! Warum hatte ich ihn überhaupt gefragt? Was hatte ich mir davon erhofft? Dass ich mich selbst belügen, davon abhalten konnte, überhaupt hinzugehen?
Unübersehbar leuchtete der Schriftzug: "Tretet ein in die Geisterbahn 'Dein letztes Stündlein'" Das Gebäude war mit vielen Gummi-Monstern geschmückt und aus den Lautsprechern drangen eine düstere Melodie und ein hämisches Lachen. Alle kleinen Kinder liefen schnell weiter, wenn sie auch nur in die Nähe davon kamen. Nur die Älteren trauten sich, auch wirklich mitzufahren. Vor neun Jahren hätte ich davor noch Angst gehabt, aber jetzt fand ich es einfach nur peinlich. Das Einzige, was irgendwie gruselig war, war Mr.Parker. Bierbauch, Doppelkinn und Glatze. Das musste er sein. Okay. Nochmal tief Luftholen und los!
Ich wusste noch nicht, was ich damit in Gang setzen würde.
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Schattenstimmen
FantasyEigentlich ist Liz alles Andere als abergläubig. Auch die komischen Ereignisse der letzten Tage lassen sich logisch erklären. Mehr oder weniger. Doch das plötzliche Verschwinden ihrer Freundin und die stark von den ihren abweichenden Erinnerungen de...