Kapitel 6

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"Hier." Mr.Parker drückte mir einen großen Sack in die Hand. "Zieh das an."

Mit dem 'Wieder-atmen-können' hatte er es wohl ziemlich gut gemeint, denn ich steckte wenig später in einem fragwürdigen King Kong-Kostüm, in dem man eindeutig weniger als halb so gut atmen konnte wie in meiner vorherigen Unterkunft und drehte mich vor einem alten Spiegel in alle Richtungen. "Ist das nicht ein bisschen geschmacklos?", fragte ich ihn und zog scharf die Luft durch die Nase ein. "Außerdem stinkt es hier drin!"

"Ja, der Letzte der das anhatte war so blöd, auf den Wägen, die hier durchkommen zu lange mitzufahren." Ich sah ihn verständnislos an. "Hatte schwache Nerven. Reingekotzt."

Angeekelt zog ich mir die Maske vom Kopf. "Kann ich das nicht wieder ausziehen?"

"Nope. Es ist das einzige Kostüm und ich werde es nicht ersetzen, solange es noch gut ist." Man sah ihm an, dass er keine Wiederrede dulden würde.

"Und waschen geht auch nicht, oder was?" Mein Ton war wohl etwas zu scharf, denn er wechselte seinen normal-strengen Gesichtsausdruck ins Empörte. Nach einer Weile in Stille gab ich nach, verdrehte die Augen und setzte mir den Affenkopf wieder auf.

Auch Mr. Parker kam langsam wieder in die Gänge. "Los, los! Zeit ist Geld, Geld ist knapp! Du hast schon lange genug getrödelt!" Er schob mich an den Schienen entlang durch die Gänge und wies schließlich auf eine Lücke zwischen einem Monster und einem Skelett. Unter dem Haufen küstlicher Spinnenweben dazwischen, war gerade genug Platz für einen Generator. Wär ja auch ausreichend gewesen, wenn da nicht schon einer gestanden hätte. "Hier wartest du, bis der nächste Wagen vorbeikommt. Du machst keinen Muchs und rührst dich bis dahin auch nicht von der Stelle. Klar?" Er sah mich fragend an.

"Ähm, ja, Klar!"

"Es ist deine Aufgabe, den zahlenden Kunden Angst zu machen. Besonders denen, die von meiner Gruseldeko noch nicht beeindruckt genug sind. Und mit beeindruckt meine ich, dass sie schlotternd im Wagen kauern! Klar?"

"Klar."

"Und fahre nicht weiter als bis zum nächsten Raum. Klar?"

"Klar."

"Machst du Dummheiten, fliegst du sofort hier raus! Klar?"

"Klar."

Er warf mir noch einen letzten, zögernden Blick zu, bevor er sich auf den nächsten Wagen stellte und aus meinem Blickfeld verschwand. Ich atmete noch einmal durch, hockte mich in Position und wartete. Aus dem letzten Raum hörte man gedämpft ein kreischendes Kind. Dann kam auch schon das erste Gefährt in Sicht. Darin saßen ein kleines Mädchen und ein etwas gelangweilt wirkender Junge. Torsten aus meiner Parallelklasse. Und seine kleine Schwester. Wie peinlich. Sie fuhren an mir vorbei. Eigentlich wär ich lieber sitzen geblieben, aber ich sprintete hinter dem Wagen her, holte ihn ein und schwang mich auf das hinten angebrachte Brett. Sofern man von 'schwingen' reden kann. Hoffentlich erkannte er mich nicht. Das würde mich mein ganzes restliches Leben lang verfolgen.

Ich streckte den Kopf über die Lehne nach vorn. Die kleine starrte mich an. Ich starrte zurück. Gut. Und was jetzt? Was sag ich nun? "Buh." NEIN! 'Buh'? Ernsthaft, Liz? Von allen Wörtern dieser Welt musstest du ausgerechnet 'Buh' wählen? Mir schoss das Blut in den Kopf. Das Mädchen kreischte los, klammerte sich an ihren Bruder.

"Buh zurück.", grüßte dieser "Hi, Liz. Seit wann arbeitest du in der Geisterbahn?"

Was? Wie hatte er mich erkannt? Ich trug ein Bulliges Ganzkörperaffenkostüm, welches mehr als genug Platz zum atmen ließ! Er schaute mich an, als könnte er mir durch die Maske direkt in den Kopf blicken. Bis vor kurzem hätte ich nicht gewusst, wie ein solcher Blick auszusehen hatte. Wenn man jetzt alle Gesichtsmuskeln locker ließe und dann Brauen sowie Mundwinkel leicht anhöbe, die Lieder hingegen etwas schließe, würde das vielleicht so in etwa hinhauen.

"Deine Stimme, Liz. Deine unverkennbare Stimme hat's mir verraten."

Ich hatte das Gefühl platzen zu müssen. Aber einen jämmerlichen Versuch, die Peinlichkeiten abzuwenden hatte ich noch. "Äääähm...Liz?", fragte ich mit einer extra tiefen Stimme. "Ich bin nicht Liz." Doch das machte es warscheinlich nur noch schlimmer.

Er verdrehte die Augen und wandt sich wieder seiner Schwester zu. "Keine Sorge, Lenchen. Das ist blos Liz aus der 10c." Wie konnte ich nur derart tief sinken? Vor uns öffnete sich eine letzte Tür. "Siehst du? Ist schon vorbei!" Schon vorbei? Ich schluckte erschrocken und sprang schnell ab. Wenn das Mr. Parker erführe... würde es sicher etwas ungemütlich werden. Drei Wägen  fuhren auf dem Weg zu meinem Posten an mir vorbei.  Allesamt hatte ich verpasst.

Ich erschreckte noch ungefähr ein dutzend Leute. Falls man das 'erschrecken' nennen konnte. Die Meißten ignorierten oder lachten mich aus. Ein paar Kinder hatten sogar
Angst oder versuchten, mir die Maske vom Kopf zu ziehen. Und eine Oma, die scheinbar mit ihrem Enkel hier war, schlug mir sogar ihre Handtasche um die Ohren. Irgendwann fing ich an, die Wägen zu scannen, bevor ich aufstieg. Manche ließ ich deshalb auch einfach aus, da ich mir keine sonderlich großen Hoffnungen machte, einen der darin Sitzenden auch nur annähernd zu erschrecken.

Daher bemerkte ich Mr. Parker auch früher als er mich. "Spring auf!", rief er mir zu, nachdem er mich in der Dunkelheit ausgemacht hatte. "Feierabend!" Schnell kletterte ich zu ihm in den Wagen und wir fuhren zum Ausgang.

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