Schattenstimmen

Kapitel 19

Nach einer gefühlten Ewigkeit war ich endlich da.

Ich wankte durch das reich verzierte Gartentor und über den schmalen Kiesweg.

Durch die Dunkelheit.

Die fünf Meter bis zur Haustür schienen mir unendlich lang.

Meine Schritte waren wie auf Gummi.

Erleichtert drückte ich die Klingel.

Der dumpfe Ton hallte in dem alten Gemäuer wieder.

Dann kamen klackernde Schritte näher und die Tür schwang auf.

"Liz!" Meine Oma hielt sich die Hand vor den Mund. "Was machst du denn hier? Es ist mitten in der Nacht!"

Ich fiel ihr in die Arme. "Grandma! Etwas Schreckliches ist passiert!"

"Komm doch ersteinmal herein, Schätzchen! Ich mach dir einen Tee und dann erzählst du mir was passiert ist."

Sie führte mich durch eine große Empfangshalle in das vermeindliche Wohnzimmer.

An den hohen Wänden hingen Gemälde.

Der Familienstammbaum.

Sie wohnte in einer großen Villa, einem alten aber heimeligen Gebäude.

In den unzähligen Regalen, bei denen man schon fast Angst hatte, dass sie plötzlich umkippten, waren alte Familienerbstücke, antike Wasen und dicke, staubige Bücher aufgereiht.

Ich hatte eigentlich schon längst keine Angst mehr, wenn irgendwo plötzlich eine Diele knartzte.

Aber heute zuckte ich bei dem kleinsten Geräusch sofort zusammen.

"Warum so verschreckt?" Grandma stellte zwei Tassen auf den Tisch und schenkte großzügig Tee ein.

Sie trank fast nichts Anderes.

Ich nahm einen großen Schluck und fing an zu erzählen.

Alles.

Wenn mir einer glauben würde, dann sie.

Da war ich mir sicher.

Sie nickte, strich mir über den Kopf und stand auf.

Ich folgte ihr mit dem Blick, als sie mit geübten Fingern ein Regal durchsuchte und nach nicht all zu langer Zeit auch ein altes Buch hervorzog.

"In diesem Buch werden alle magischen Artefakte aufgezählt und erklärt." Sie strich über den Einband und pustete eine dicke Schicht Staub von den Seiten. "Es ist sehr alt - seih also vorsichtig!"

Ich schlug das Inhaltsverzeichnis auf und fand tatsächlich einen Artikel, der sich mit 'Haarbüscheln' befasste.

Das Fell des Umbrae Hominum, zu deutsch 'Schattenwesen', einem seltenen und sehr scheuen Geschöpf, birgt ungeahnte Kräfte. Es haust in den Wäldern Europas und zeigt sich nur bei Nacht. Da es voller Magie steckt, würde ein Büschel reichen, um die absolute Macht zu erhalten. Deshalb wird es von vielen Menschen gejagt und steht kurz vor dem Aussterben...

Ich klappte das Buch zu.

"Magische Kräfte?"