Mike
Mein Wecker klingelt und reißt mich aus einem meiner Träume. Halb sieben. Ein und dieselbe Uhrzeit wie jeden Tag. Ein und dieselbe Routine, die ich mache.
Ich schwinge mich aus dem Bett, trotte in die Küche, um zu trinken. Dann gehe ich wieder hoch, sehr darauf bedacht, die knarzende Stufe auszulassen, um Mom und Vater nicht zu wecken. Oben im Badezimmer mache ich mich fertig. Am Ende stehe ich wieder unten und binde meine Schnürsenkel an meinen Laufschuhen, wenig später bin ich draußen, als ich von oben eine Türe aufgehen höre. Also genau rechtzeitig.
Dieses nette Getue, dass wir die perfekte Familie sind, wenn Vater da ist, halte ich nicht aus. Wie Mom sich nicht ein einziges Mal beschwert, wenn er da ist. Wie sie sich immer unterwirft. Jedes Mal. Kein einziges Mal habe ich sie Vater widersprechen gehört. Und das Schlimmste ist, dass ich weiß, dass sie das für mich tut. Damit es mir gut geht. Damit ich es gut habe. Damit ich glücklich bin. Sie will nicht, dass ich mich von anderen Familien unterscheide, deren beide Elternpaare ihre Kinder lieben und beide da sind. Nicht nur eines, weil das andere außer Land ist.
Und genau dieses Wissen macht mich fertig, wenn ich beide streiten höre. Da ist mir dieses Geschrei sogar lieber als diese Nettigkeiten, von denen keine echt ist. Wie ich mir doch einfach wünsche, dass wir das alles hinter uns lassen könnten.
Der Gedanke an Scheidung fliegt mir für eine Sekunde durch den Kopf, aber in der nächsten kommt mir ein weiterer Gedanke. Mom würde das nicht machen. Sie würde ihn nicht verlassen, weil sie sich dann Sorgen um mich machen würde. Wie wir um die Runden kämen. So bleibt sie bei ihm, hat ein Dach für ihr Kind und sich selbst, ebenso das Geld für alle benötigten Dinge.
Als ich anfange zu laufen und die Musik in meine Ohren dringt, vergesse ich alles, was mich im Moment belastet. Alles, was mir durch den Kopf geht. Nur die Musik und meine Atmung sind mir wichtig. Die Sonne ist bereits aufgegangen und erhellt die Straßen, auf welchen ich jogge.
Ich nehme das Brennen in meinen Beinen und meinen Lungen gerne in Kauf. Ein Bein vor das andere.
Ich laufe auf den Sportplatz unserer Schule, als das Lied erneut wechselt. Auf dem Platz mache ich noch einige Liegestützen, bevor ich mich wieder aufrichte. Gerade will ich weiter laufen, als ich merke, dass jemand anderes im Gebäude ist.
Von meiner Position habe ich gute Sicht auf diese Person, die ich als Charlie identifiziere. Ich weiß nicht, wieso, aber meine Beine machen sich selbstständig und gehen auf den Eingang zu, um zu ihr zu gelangen.
Wenig später stehe ich bereits auch schon vor der Türe zum Kunstsaal.
Charlie bewegt ihre Lippen, als würde sie die Worte von dem Song, welcher durch ihre Kopfhörer zu ihr durchdringt, mitsingen. Ihre Schultern wiegen sich im Takt hin und her, während ihre Hand nur so über die Leinwand fliegt, die vor ihr steht.
In diesem übergroßen Hemd, was sie am Körper hat, wirkt sie irgendwie... niedlich. Aus irgendeinem Grund kommt mir dieses Wort am passendsten vor.
Sie hat ihr kurzes Haar von vorne nach hinten gesteckt, dennoch fällt eine einzige Strähne, die zu kurz ist, immer wieder vor ihre Augen, was sie allerdings nicht zu stören scheint. So konzentriert ist sie.
Auf der Leinwand erkenne ich einen Fluss und Wald. So wie sie die verschiedenen Blautöne einsetzt, wirkt es beinahe so, als wäre das Wasser lebendig. Ich schöre, ich kann es plätschern hören.
Ich kann ihr Gesicht nicht vollständig sehen, nur zum Teil ihr Profil, aber das reicht, um zu erkennen, dass sie sich auf die Unterlippe beißt. Ihre Stirn ist gerunzelt und eben richtet sie sich auf, um ihr Werk kritisch zu begutachten. Scheint, als würde ihr etwas nicht gefallen, was natürlich totaler Blödsinn ist, da es perfekt ist.
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Not me. Please.
Romance》Band 2《 Charlie fühlt sich wie im goldenen Käfig. Ihr einziger Wunsch ist es, endlich frei zu sein, doch ihr Vater sowie ihr Bruder Ryder halten sie noch hier. Und Gott bewahre jemand findet den Grund dafür heraus. Alles läuft nach Plan, bis sie Mi...