Kapitel 32

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Mike

„Wieso zum Henker haben wir bis heute nichts von Charlie erfahren?", schnauzt Vater, sogleich ich durch die Haustür getreten bin.

„Darren!", mahnt Mom. „Es gibt sicher einen Grund." Sie sieht mich aus ihren schönen braunen Augen an. Und ich kann ganz klar erkennen, dass sie den Grund kennt. Vater. Eine kurze Weile tauschen Mom und ich Blicke aus, bis Vater unseren stummen Austausch mit einem harschen „Mike" unterbricht. Ich zucke vor Schreck ein bisschen zusammen.

„Ja, Vater?"

„Wenn ich dir eine Frage stelle, dann erwarte ich auch eine Antwort. Wieso hast du uns Charlie nicht schon eher vorgestellt?" Es ist mir zuwider, dass er ihren Namen in den Mund nimmt. Sie ist so rein und unschuldig. Unberührt. Vater hingegen ist nicht würdig genug, ihren Namen auch nur zu denken. Ich erschrecke selber über diese Gedanken, aber es ist wahr.

„Ich weiß es nicht.", erwidere ich nach wenigen Sekunden. Vater macht den Mund auf, und endlich verspüre ich einen gewissen Ruck in mir drinnen, der mich dazu bringt, dass zu sagen, was ich jetzt sagen will. „Und es wäre mir lieber, wenn wir nicht über sie reden würden." Meine Erinnerungen mit ihr sind mir wichtig. Sie sind schön. Und das möchte ich nicht in mein verpestetes Umfeld lassen.

Noch nie habe ich Vater widersprochen. Ich weiß nicht, was gleich passieren wird, aber ich bereue es nicht. Er muss wissen, was ich will.

„Es geht nicht immer um das, was du willst, Mike.", feuert Vater zurück. Bevor ich noch etwas sagen kann, was ich diesmal wirklich bereuen könnte, drehe ich mich auf dem Absatz um, lege meine Hand auf die Klinke und schließe die Türe anschließend hinter mir.

***

„Mike!" Adela kommt flotten Schrittes auf mich zugeeilt, ein Tablett in der Hand und ein herzhaftes Lächeln auf den Lippen. „Hey.", sagt sie, als sie vor mir zum Stehen kommt.

„Hi, Kleine."

„Hallo, Mike." Ricardo läuft eben an uns beiden vorbei, ein volles Tablett mit Getränken in den Händen, das er gekonnt balanciert. Ebenso Adela. Sie bewegt sich trotz dieses Dings in der Hand flink und verschüttet, wie Ricardo, nichts. Bevor ich den Chef grüßen kann, ist er auch schon wieder weg.

„Was machst du hier? Besuchst du mich wieder?" Adela grinst breit.

„Wie immer, Kleine. Ich bin an der Bar.", informiere ich sie, was sie wissend schmunzeln lässt. Ich verdrehe die Augen, dann gehe ich ohne weiteres Richtung Halbkreis.

Charlie ist gerade unterhalb des Tresens verschwunden, da sie vermutlich nach etwas sucht. „Hi, Kitty Kat."

Sie fährt zusammen und hebt ruckartig ihren Kopf, was dafür sorgt, dass sie sich beinahe angehauen hätte. „Hey.", grüßt sie vorwurfsvoll zurück. „Mach das nie wieder. Wie oft noch." Trotz ihres Tonfalls sehe ich, dass sie sich ein Lächeln verkneifen muss. Nach einem Augenblick, in welchem sie mich kurz gemustert hat, fragt sie unvermittelt: „Ist alles ok?"

Ich seufze ergeben, mein mit Mühe erhaltenes Lächeln gebe ich auf und lasse mich auf den Hocker plumpsen. „Vater.", murmele ich nur. Verständnis breitet sich auf ihrem Gesicht aus. „Bitte, Charlie. Kein Mitleid."

Augenblicklich verändert sich ihr Ausdruck. Das Mitleid in ihren Augen verschwindet. „Ok. Wenn du das so willst." Sie lächelt mich an, und ich habe das Gefühl, als könnte ich es schaffen. Als könnte ich dieses beschissene Leben tatsächlich überleben. Ohne vorher zusammenzubrechen. „Willst du drüber reden?" Sie lässt es so beiläufig klingen.

Ich schüttele den Kopf. „Nein. Aber danke."

„Gerne, Mickey Maus." Charlie zwinkert mir zu, weshalb mir für eine Sekunde die Luft wegbleibt. „Aber ich habe ein offenes Ohr für dich. Nur, dass du's weißt."

Not me. Please.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt