Kapitel 26

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Mike

Charlies Blick ist starr auf meinen Mund gerichtet. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, aber ich will sie unbedingt küssen. Nein, muss. Ich trete einen Schritt näher auf sie zu und presse meine Lippen auf ihre. Es ist, als würden sich alle meine Muskeln endlich entspannen. Als würde die Spannung, die immer zwischen uns steht, verschwinden.

Sie gibt einen süßen Laut von sich. Ganz leise, dennoch höre ich ihn. Als auch sie beginnt, ihre Lippen auf meinen zu bewegen, bin ich es, der vor Erleichterung aufseufzt. Ich habe bis eben nicht bemerkt, wie sehr ich das wollte. Es brauchte.

Meine Arme schlinge ich um ihre Taille, um sie näher an mich zu ziehen. Ihr Körper presst sich an genau den richtigen Stellen an meinen eigenen. Als sie ihre Arme um meine Schultern legt, wird der Kuss hungriger. Leidenschaftlicher. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, ich stütze sie. Gleichzeitig bewegen wir uns auf die geschlossene Tür zu, an der wir auch beide schließlich aufprallen. Meine freie Hand stütze ich an der Tür ab, die andere begibt sich an ihr Kinn.

Wir wechseln immer wieder den Druck auf den Lippen, aber die Verzweiflung, mit der wir uns küssen, bleibt. Hin und wieder stöhnt sie auf, was mich mit purer Erleichterung flutet. Scheint, als wäre ich nicht der einzige, der die Gefühle für sich behalten hat.

Irgendwann lösen wir uns voneinander. Mit meinem Daumen fahre ich ihre Unterlippe nach, was sie erzittern lässt.

„Wow!", hauche ich. Grinsend sehe ich sie an und bemerke zufrieden, wie sich ihr Brustkorb schnell hebt und senkt, genau wie meiner. „Das wollte ich schon immer machen." Sobald ich die Worte ausgesprochen habe, wird mir die Bedeutung dieser richtig bewusst. Aber es stimmt. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich tatsächlich solche Gefühle für Charlie hege.

Noch wird mir bewusst, warum ich mir so unsicher wegen Mijou war. Weil ich nicht mehr so wie früher für sie empfinde. Unbewusst hat sich Charlie hineingeschlichen und etwas erblühen lassen, von dem ich gedacht habe, es würde nie wieder wachsen. Doch nun steht es in voller Blüte.

Die ganze Zeit habe ich auf ihren Mund geschaut. Jetzt hebe ich den Blick. Doch was ich da finde, lässt meine Freude und Erleichterung verschwinden.

Zerrissenheit. Und die nächsten Worte aus ihrem Mund, von dem ich nun weiß, dass er genauso weich ist, wie er aussieht, versetzen mir einen Stich, von dem ich denke, er könnte mich tatsächlich das Leben kosten.

„Ich kann das nicht, Mike." Bedauern macht sich auf ihrem Gesicht breit. Die Hände, mit denen sie meine Handgelenke umschlossen hat, löst sie und ich verspüre eine seltsame Wehmut. Ich fröstele angesichts des Verlustes. Als sie ihre Hände auf meine Brust legt, weiß ich nicht, ob sie mich wegdrücken oder näher zu sich ziehen will, denn sie gräbt ihre Finger regelrecht in meinen Kragen. Hat mein Herz vorher unnatürlich schnell geschlagen, so hat es jetzt beinahe endgültig aufgehört. „Ich kann nicht." Sie schüttelt ihren Kopf und schiebt mich letzten Endes zur Seite.

Wie noch nie zuvor kann ich in ihren Augen ablesen. Ein Wirbelsturm fegt hindurch. Verzweiflung, Angst, Bedauern, Entschlossenheit. Tränen schimmern darin, was mir das Herz zerreißt.

Ich nicke. Erleichtert blinzelt Charlie und lässt die angestaute Luft raus. Ohne weitere Worte greife ich an den Türgriff. Dabei vermeide ich konsequent jeden Blickkontakt mir ihr, was um einiges schwerer ist, als gedacht. Ich muss hier raus. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich schon wieder Gefühle für jemanden entwickelt habe, der sie nicht erwidert. Und jetzt ist unsere Freundschaft zerstört. Aber ich kann sie nicht verlieren.

Deswegen brauche ich Abstand.

„Mike..." Ich reagiere nicht, sondern öffne die Türe und trete in den Flur. „Mike!" Ich gehe einfach weiter, doch sie greift meinen Unterarm.

Not me. Please.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt