25. Kapitel - Erin

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Henry schlief tief und fest und vorsichtig löste ich mich aus seinen Armen und achtete darauf, ihn nicht zu wecken.

Als er kurz das Gesicht verzog und sich bewegte, hielt ich inne.

Doch Henry schlief weiter und so leise wie nur irgendwie möglich, zog ich mir einen dunklen Pullover und eine etwas dickere Hose über, ehe ich in meine Socken und Schuhe schlüpfte.

Ich zog das Buch vom alten Gambitz aus meiner Tasche, riss die Karte heraus und mit einem letzten Blick auf den friedlich schlafenden Henry, verließ ich das Zelt.

Im Lager der Zentauren war es still und nur vereinzelt hörte man das Schnarchen und die Atemgeräusche, der schlafenden Wesen.

Ich sah rüber zu der Stelle, an der Pocahontas und Salima waren. Beide Pferde hatten sich hingelegt und waren nur noch als große, stille Berge zu erahnen.

Es wäre viel zu gefährlich, wenn ich Pocahontas mitnehme. Hier ist sie sicher und wird gut versorgt!

Ein letztes Mal sah ich zum Zelt, ehe ich das Lager verließ und mich auf den Weg machte.

Das schlechte Gewissen, war mein ständiger Begleiter und obwohl ich müde war und noch immer meine Füße schmerzten, lief ich zum Fluss und folgte ihm, bis ich zur Abzweigung kam, die tiefer in den Wald führte.

Ich schluckte, als ich in das dunkle Dickicht spähte und irgendwo in der Ferne den Ruf einer Eule vernahm. Außerdem glaubte ich noch andere Tiere zu hören, die im Schatten lauerten.

Komm schon Erin! Du packst das!

Zielsicher lief ich los und folgte immer weiter dem Flusslauf. Unterwegs kam es häufig vor, dass ich stolperte, oder mir Äste ins Gesicht peitschten.

Meine Kleidung war mittlerweile völlig verdreckt und durchnässt und mit jedem Meter, den ich ging, wuchs das schlechte Gewissen.

Wie wird Henry sich fühlen, wenn er aufwacht und feststellt, dass ich fort bin? Nach unserem Kuss...

Ich wusste nicht genau, was genau dieser Kuss zu bedeuten hatte, aber ich wusste, dass er etwas bedeutet hatte. Es hatte sich gut angefühlt. Und richtig.

Ich hatte geglaubt, der Kuss mit Cory wäre der beste Kuss meines Lebens gewesen, aber ich hatte mich geirrt.

Als Henry mich geküsst hatte, waren plötzlich alle meine Zweifel und Ängste weggewesen. Sie waren in die Ferne gerückt und in mir hatte sich ein warmes, wohliges Gefühl ausgebreitet.

Mein gesamter Körper hatte angefangen zu Kribbeln und ich konnte alles vergessen, was um mich herum geschah.

Wir waren plötzlich nicht mehr in einem Zelt, mitten im Wald. Ich wusste nicht wo genau wir waren, aber egal wo, in dem Moment, in dem Henry mich küsste, hätte ich in Flammen stehen können und es wäre mir egal gewesen.

Weil Henry bei mir war.

Ich schluckte und mein Fuß blieb an einer Wurzel hängen. Sofort fiel ich der Länge nach hin und unterdrückte einen Schmerzensschrei.

Tränen sammelten sich in meinen Augen und schluchzend blieb ich einfach liegen.

Was tat ich hier eigentlich gerade? Wie konnte ich Henry so verraten und einfach abhauen? Nachdem er mir das Leben gerettet- und so viel für mich getan hatte?

Ich verrate nicht nur Henry... ich verrate ganz Lavandia...

Ich setzte mich auf und sah nach oben. Durch das dichte Blätterdach der Bäume konnte ich nur vereinzelt die Sterne sehen, die es irgendwie schafften, hell genug zu strahlen.

Avaglade - Reise durch Lavandia (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt