30. Kapitel - Henry

29 7 0
                                    

Es war bereits dunkel als wir an Lorox' Hütte ankamen. Doch wirklich entspannen konnte ich mich nicht.

Eigentlich hielt Lorox sich immer in der Nähe der Hütte auf und war sofort da, wenn er hörte, dass jemand kam. Doch auch nach ein paar Minuten, in denen Erin und ich einfach warteten, kam niemand.

„Lorox!?", rief ich und hoffte auf eine Antwort. Doch nichts.

„Vielleicht ist er bei der Quelle?", vermutete Erin zögernd und seufzte müde. Ich schüttelte den Kopf.

„Nicht bei Nacht", sagte ich und sah zu Erin, die sich müde gegen Pocahontas lehnte und ihr über den Hals strich.

„Wir bringen die Pferde in den Stall und versorgen sie. Und dann essen wir etwas und gehen schlafen", entschied ich und Erin nickte.

Wir führten die Pferde in den angrenzenden, kleinen Stall und schweigend kümmerten wir uns um die Bedürfnisse der beiden, ehe wir anschließend in die Hütte gingen.

Drinnen war es warm, aber nicht auf die angenehme Art. Es war stickig und die Luft fühlte sich verbraucht an, weshalb ich kurzerhand das Fenster weit aufriss und die kühle Nachtluft hineinließ.

Erin kümmerte sich währenddessen um die Feuerstelle und es freute mich, dass sie mittlerweile so gut geworden war und ohne große Probleme ein Feuer entfachen konnte.

„Wie gehen wir morgen vor?", fragte Erin, als wir einige Zeit später gemeinsam am Tisch saßen und eine Kleinigkeit aßen.

Ich zögerte mit meiner Antwort.

Rein theoretisch hatte ich einen Plan, aber ich wusste, dass Erin nicht einverstanden sein würde. Und ganz überzeugt war ich auch nicht von meinem Plan.

„Henry?"

Ich seufzte und fuhr mir durchs Haar.

„Ich werde die Quellen allein aufsuchen und..."

„Was? Nein! Wir sind ein Team. Keine Alleingänge mehr, haben wir gesagt", unterbrach Erin mich sofort und sah mich fassungslos an.

„Ich bin allein schneller und wenn Lorox bis morgen nicht hier auftaucht, dann muss jemand hierbleiben und sich um die Pferde kümmern. Und ich kenne den Weg", erklärte ich und Erin sah mich nachdenklich an.

„Du denkst also, dass Lorox nicht zurückkommen wird?", fragte sie und ich seufzte.

„Ich hoffe, dass ich mich irre und er morgen hier auftaucht und sagt, dass alles in bester Ordnung ist. Aber... wenn ich mich nicht irre und wir beide zu den Quellen gehen, dann bleiben Salima und Pocahontas hier und werden nicht versorgt. Ich weiß, wir sind ein Team und sollten das gemeinsam machen, aber wir müssen auch daran denken, was das Beste in so einer Situation ist", gab ich zurück und hoffte, dass sie meine Beweggründe verstand.

„Also bleibe ich hier und warte", sagte Erin und ich nickte.

„Ja... ich denke so ist es das Beste. Und wie gesagt, ich kenne den Weg und bin alleine deutlich schneller, weil ich von meiner Affinität Gebrauch machen kann. Aber ich mache das nur, wenn du damit einverstanden bist", sagte ich und sah Erin an.

Das war nicht einmal gelogen. Wenn Erin wirklich ein Problem damit hätte, würde ich sie mitnehmen. Salima und Pocahontas sind schlau und ich bezweifelte nicht, dass sie alleine zurechtkommen würden.

„Nein, du hast ja Recht. Es ist sinnvoller, wenn wir uns trennen und du allein weiter gehst. Ich wäre dir bei den Quellen wahrscheinlich eh keine große Hilfe", antwortete Erin und lächelte leicht.

„Okay, dann ist das beschlossen", sagte ich und hoffte, dass dies die richtige Entscheidung war.

Aber vielleicht erübrigte sich unser Plan auch schon morgen, wenn Lorox hier auftauchte und uns sagen konnte, was das Problem war und wie wir helfen konnten.

„Ich denke, wir sollten schlafen gehen. Ich vermute, dass der Weg zu den Quellen nicht einfach ist und du ausgeruht sein solltest", sagte Erin und ich nickte.

Außerdem war ich wirklich müde und auch Erin sah erschöpft aus.

Schweigend machten wir uns bettfertig und ich seufzte leicht, als ich mich auf das Bett niederließ und mal nicht harten Boden spürte, sondern weiches Heu, welches unter einem weißen Laken versteckt war.

„Ich wusste nicht, wie unglaublich gemütlich und weich Heu und Stroh sein kann", murmelte Erin und kuschelte sich in die Decke, während ich noch damit beschäftigt war, die perfekte Schlafposition zu finden.

„Ja, nach knapp sieben Tagen Schlafsack und Waldboden, ist das hier beinahe ein 5-Sterne-Hotel", gab ich zurück und Erin kicherte.

„Was ist dann dein eigenes Bett für dich?", fragte sie und ich sah sie belustigt an.

„Ein Luxus-Resort mit fünf Sternen, in dem ich als VIP gelte", gab ich zurück und entlockte Erin mit dieser Aussage wieder ein Lachen.

Eine Weile herrschte Stille und ich glaubte bereits, dass Erin eingeschlafen war und ich drehte mich vorsichtig um, um sie nicht zu wecken.

Doch Erin schlief nicht. Sie sah mich an und ich lächelte.

„Woran denkst du?", fragte ich und Erin seufzte leicht.

„Was machen wir, wenn wir zurück sind? Wir haben keine Antworten bekommen. Viel mehr sind noch mehr Fragen aufgekommen. Was sagen wir Yilva oder Liron?"

Ich seufzte.

„Ich weiß es nicht. Wir... wir haben noch immer den Spiegel", sagte ich und Erin sah mich zweifelnd an.

„Und welche Frage stellen wir? Wer hat Lenori getötet? Wer hat Thanatos Sohn getötet? Wer hat die Koboldwiesen in Brand gesteckt? Was ist mit den Quellen passiert? Jede dieser Fragen sollte beantwortet werden", sagte sie und ich nickte.

„Ich weiß... deshalb sollten wir uns mit Yilva und den anderen zusammensetzen und uns darüber beraten. Im Moment geht die größte Gefahr von den Nymphen aus, die eindeutig mit einem Krieg drohen. Wir haben vorhin darüber geredet und ich denke am Ende spielt es keine Rolle. Wir haben alles getan, was wir konnten und alle wissen das", sagte ich und Erin schluckte.

„Wieso fühlt es sich dann so an, als hätten wir versagt?"

Darauf hatte ich auch keine Antwort, obwohl ich ebenfalls das Gefühl hatte, wir hätten komplett versagt.

Vielleicht, wenn wir die Reise früher angetreten wären...

„Ich glaube, dass wir nicht das Gefühl haben, versagt zu haben", sagte ich zögernd und versuchte irgendwie die gemischten Gefühle einzuordnen.

„Viel mehr glaube ich, dass wir das Gefühl haben, nicht genug getan zu haben. Oder, dass wir das verhindern hätten können. Ich glaube, dass schon viel länger etwas ganz gewaltig schief läuft in Lavandia. Wir haben es nur nicht mitbekommen", sagte ich zögernd und Erin sah mich nachdenklich an.

„Klingt nach versagen", sagte sie leise und unsere Blicke trafen sich.

Obwohl an der ganzen Situation nichts lustig war, mussten wir beide loslachen und konnten für ein paar Minuten auch nicht damit aufhören.

Erst als wir kaum noch Luft bekamen, beruhigten wir uns und dann herrschte wieder Schweigen, in dem wir beide langsam wegdämmerten und in den Schlaf rutschten.

„Erin?", fragte ich irgendwann schläfrig in den Raum und bekam nur ein leises Grummeln als Antwort, was mich zum Lächeln brachte.

„Der Kuss hat mir auch was bedeutet", murmelte ich und dann schlief ich wirklich ein.

Avaglade - Reise durch Lavandia (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt