29. Kapitel - Erin

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Bis zum Gebirge war es nicht mehr weit und immer mehr machte sich in mir die Erkenntnis breit, dass wir schon bald unsere Aufgabe erledigt hatten.

Wenn auch nicht ganz erfolgreich.

Wir hatten keinen Anhaltspunkt darauf, wer für Lenoris Tod verantwortlich war und die Zentauren hatten uns auch nicht wirklich helfen können.

Diese Reise sollte eigentlich unsere ganzen Fragen beantworten, jedoch waren nur noch mehr Fragen aufgekommen.

Wer hatte Thanatos' Sohn getötet und wieso hatte man mir versucht das in die Schuhe zu schieben?

Ich sah zu Henry, der im Gras lag und die Augen geschlossen hatte, während ich in meinem Skizzenbuch die Eindrücke der letzten Tage verewigte.

Ich hatte die Zentauren gezeichnet und einen Moment hatte ich das Gefühl gehabt, dass Mum mir über die Schulter blickte und zufrieden lächelte.

Außerdem hatte ich einen Löwenbären gezeichnet und die Höhle, sowie den unterirdischen See und den Spiegel.

Irgendwie war das Skizzenbuch zu eine Art Tagebuch geworden und jetzt gerade zeichnete ich Henry, wie er im Gras lag und die Mittagssonne genoss.

Als er sich aufsetzte, sah ich ihn fragend an.

„Wir sollten weiter. Die Koboldwiesen sind jetzt nicht mehr weit und dann können wir morgen zum Gebirge aufbrechen und die erste Quelle aufsuchen", sagte er und stand auf.

Ich nickte, packte meine Sachen zusammen und wir machten uns wieder auf den Weg.

„Ist es wirklich so ungewöhnlich, dass weniger Kobolde auf dem Markt sind? Sie haben so einen weiten Weg...", überlegte ich lauf und sah zu Henry.

„Es ist ungewöhnlich, ja. Kobolde reisen nicht, wie wir es tun. Sie haben, so wie Elfen, magische Fähigkeiten. Auch wenn die sich darauf konzentrieren, sich zu teleportieren und Gestein zu finden", erklärte er und ich verstand.

„Das wusste ich tatsächlich noch nicht", murmelte ich und Henry zuckte mit den Schultern.

„Schwer zu glauben, aber in den meisten Büchern werden Kobolde nicht so ausführlich beschrieben. Dabei sind sie wirklich tolle Wesen. Etwas frech, so wie Gnome, aber deutlich kooperativer und freundlicher, als die Zwerge", antwortete Henry und ich nickte leicht.

„Und die Bergriesen? Sie sind kleiner als die Waldriesen und sie sorgen dafür, dass die Quellen sauber sind und genügend Wasser in den Fluss fließt", sagte ich und sah wieder zu Henry.

„Aber wie sind sie so von der Art her?"

„Sie sind gastfreundlich und höflich. Lorox zum Beispiel hat extra für uns Hüter eine Hütte gebaut, mit einem angrenzenden Stall, für die Pferde. Generell sind Riesen wirklich liebevolle Giganten", antwortete Henry und lächelte leicht.

„Wie groß genau sind Bergriesen?", fragte ich und hatte unweigerlich ein Bild im Kopf, wie ich versuchen würde in ein viel zu hohes und großes Bett zu steigen.

Immerhin hatte ich bei meiner Hüterzeremonie einen Waldriesen gesehen und Waldriesen waren bis zu sieben Meter groß.

„Ungefähr drei Meter groß. Sie sind auch flinker und flexibler, als Waldriesen", sagte Henry und sah mich an.

„Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Im Gegensatz zum Rest der Reise, ist dieser Teil hier jetzt schon fast einfach", fügte er hinzu und lächelte.

„Ich mache mir keine Sorgen. Ich... mir ist nur gerade durch den Kopf gegangen, dass wir theoretisch danach nur noch nachhause reiten müssen und unsere Reise dann vorbei ist. Und obwohl wir zwei Tage nicht vollständig durchgeritten sind, liegen wir super in der Zeit", sagte ich und seufzte.

„Wenn wir gut durchkommen, dann verlassen wir in drei Tagen das Gebirge bereits und reiten an Tag elf nachhause. Und wenn wir schnell sind, dann brauchen wir wirklich nur sieben Tage zurück..."

„Okay, wo ist das Problem? Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich freue mich schon auf mein eigenes Bett und eine heiße, lange Dusche", gab Henry zurück und grinste.

„Ja, ich freue mich ja auch, aber... was ist dann? Wir haben weder herausgefunden, was mit Lenori geschehen ist, noch wer hinter allem steckt. Viel mehr sind noch ganz neue Fragen aufgekommen und... es fühlt sich so an, als hätten wir... versagt", sagte ich und sah Henry an.

Henry seufzte und fuhr sich durchs Haar.

„Wir haben noch immer den Spiegel. Und... selbst wenn wir nur eine Antwort erhalten, obwohl wir so viele Fragen haben, haben wir unser Bestes gegeben. Und nur das zählt", sagte er und unsere Blicke trafen sich.

Und irgendwie schaffte ich es endlich, die Frage zu stellen, die mich seit zwei Tagen quälte.

„Und was ist mit uns?", fragte ich und sah schnell weg.

„Ich meine... wir haben noch nicht über... über den Kuss geredet und... na ja... ich weiß, danach habe ich es echt vergeigt, weil ich einfach abgehauen bin und den Spiegel gesucht habe, aber... ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll und deshalb habe ich das Gespräch auch wirklich aufgeschoben. Aber wir sollten darüber reden, weil irgendwie hängt das ja doch zwischen uns und auch wenn wir beide es irgendwie hinbekommen, so zu tun, als wäre nie etwas gewesen... also ich tu so. Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, oder ob du den Kuss äh... vielleicht längst vergessen, oder verdrängt hast und..."

„Okay, hol Luft Erin", unterbrach Henry mein nervöses Gestotter und lachte leicht.

Ich atmete tief durch.

„Was ich sagen will: ich weiß nicht genau, was der Kuss bedeutet hat, aber... er hat mir etwas bedeutet", sagte ich und hielt den Blick gesenkt.

„Oh shit", sagte Henry und ich schluckte.

Oh shit war jetzt nicht die Reaktion, die ich erhofft hatte. Vor allem nicht, nachdem Lenoris Geist ja der festen Überzeugung war, dass er mich liebte.

„O-okay... ich... verstehe schon. Ich hätte... ich hätte einfach die Klappe halten sollen und..."

„Nein, Erin schau", sagte Henry und ich hob den Blick. Henry sah nach vorne und in seinem Gesicht stand tiefe Sorge. Ich folgt seinem Blick und schluckte.

„Was zum...?", fing ich an und hielt mir die Hand vor dem Mund.

Henry sprang vom Pferd und lief voraus. Ich folgte ihm, auf die völlig verbrannte Fläche, die vor uns lag.

„Marus?! Hallo?!", rief Henry und ich wäre beinahe in eines der Erdlöcher getreten. Die Höhlen der Kobolde.

„Marus?!", schrie Henry und ich schluckte.

„Was ist nur passiert...", murmelte ich und ließ meinen Blick über die Koboldwiesen schweifen, die völlig niedergebrannt waren.

Nicht eine Spur von Leben war noch zu sehen. Henry war stehen geblieben und langsam ging ich zu ihm.

„Sie sind weg... ich... ich hoffe sie haben das Feuer überlebt. Wieso sind sie nicht zu uns gekommen? Sie hätten doch sagen können, was passiert ist..."

Vorsichtig griff ich nach Henry Hand und drückte sie sanft.

„Vielleicht sind sie es ja. Der Brand kann doch gewesen sein, als wir bereits unterwegs waren. Sicher sind alle in Lavandia und Yilva überlegt, wie sie helfen kann", sagte ich und Henry sah mich an.

„Du hast Recht... Wir... wir sollten weiterreiten und noch heute versuchen zu Lorox zu kommen. Umso schneller wir die Quellen untersucht haben, umso schneller kommen wir nachhause", sage er und ich nickte.

Wir stiegen zurück auf die Pferde und galoppierten los.

Avaglade - Reise durch Lavandia (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt