Kapitel 36

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POV Chan

Die Art und Weise wie Hyunjin und meine Mutter miteinander umgehen erwärmt mein Herz.

Während mein Geburtstagsgeschenk für die nächsten dreihundertfünfundsechzig Tage am Kühlschrank hängen wird, hat Hyunjins Bild einen extra Platz bekommen. Die Leinwand mit dem Porträt von mir hängt in unserem Wohnzimmer direkt über dem großen Sofa, sodass man mein Gesicht aus jedem Winkel gut betrachten kann.

Normalerweise wäre das wahrscheinlich den meisten unangenehm und auch ich finde es ein wenig seltsam so ein riesiges Ebenbild von mir zu sehen. Aber dann ist da dieser Gedanke, dass Hyunjin der Künstler dieses Werks ist.

Hyunjin hat meine Gesichtszüge darin eingefangen und jedes noch so kleine Detail zur Geltung gebracht.

Wann immer ich auf die Leinwand sehe spüre ich die ehrlichen Gefühle, die mein Freund mit mir verbindet. Die Wärme und die Sicherheit, die ich in ihm auslöse, spiegeln die Atmosphäre des hellen Farbspiels wieder.

„Der Junge ist wirklich ein sehr talentierter Künstler, wenn auch ein bisschen sehr verschlossen."

Mit einem Nicken nehme ich die Anwesenheit meiner Mutter war und bleibe weiter an dem Bild hängen.

Ein Schmunzeln schleicht sich dennoch auf meine Lippen, denn Hyunjin hätte sich bestimmt voll erschreckt an meiner Stelle und der Gedanke daran amüsiert mich immer wieder aufs Neue.

Ein Teil von dem Satz meiner Mutter hallt in meinen Gedanken jedoch nach.

„Sind das nicht alle Künstler? Also so verschlossen und irgendwie so dramatisch traurig."

Der tadelnde Blick meiner Mutter verrät mir, dass das definitiv die falsche Wortwahl war. Sie sagte trotzdem nichts und wuselt stattdessen im Wohnzimmer herum. Immer wieder stellt sie Kleinigkeiten weg und deckt den Tisch im Gegenzug ein.

Ich selbst hole die große Tischdecke, um ihr mit den letzten Vorbereitungen zu helfen. Als ich zurück ins Wohnzimmer komme hält meine Mutter inne und mustert mich intensiv wie es nur eine Mutter macht, wenn sie etwas aus der Miene ihres Kindes herausfinden will.

Dazu kommt, dass meine Mutter auch noch Kunsttherapeutin ist und ihre Augen noch schärfer sind als die eines Adlers.

Sofort überkommt mich das Gefühl etwas sagen zu müssen. Irgendetwas was sie sowieso hören will, aber was könnte es sein? Was vermutet sie und will es deshalb nur bestätigt bekommen?

„Eure Gefühle zueinander sind so ehrlich und leidenschaftlich, dass ich besorgt und fasziniert zugleich bin."

„Was?"

Perplex verharre ich in meiner Position. Ich weiß nicht was ich erwartet habe, aber das kommt mir dann doch zu plötzlich.

„Komm mit, lass uns im Atelier sprechen mein Schatz."

Die Braunhaarige hakt sich bei mir unter und zieht mich vom Wohnzimmer zur Terrasse und weiter in ihren geliebten Rückzugsort.

Beim Betreten des kleinen Häuschens schlug mir sofort die Heizungsluft entgegen. Egal wie oft man dieser Frau sagte, dass es nicht gesund und vor allem nicht billig ist hier durchgehend zu heizen, sie will einfach nicht drauf hören.

Egal wo man hier hinsieht es ist überall Chaos. In den offenen Regalen stapeln sich die Pinsel und Farben, tausende Stifte in etlichen Kisten und überall steht irgendeine Leinwand angelehnt.

Meine Mutter schleift mich weiter bis zu ihrem Ziel und stellt mich direkt vor das Werk von Hyunjin, welches er gestern angefangen hat.

Genauso wie gestern verschlägt es mir kurz die Sprache. Für die Verhältnisse des Jüngeren wirkt das Bild unfertig, doch ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es wirklich nicht beendet ist.

Draw my love, little boy | ChanJinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt